Es ist noch kein Jahr her, da warnte Daniel Stucki: «Es nützt dem Klub nichts, wenn unsere Junioren in St.Gallen oder Luzern Profis werden. Der Kanal nach oben, in die erste Mannschaft, muss offen sein.» Damals war Stucki Nachwuchschef beim FC Basel. Seither wurde er zum Sportchef der Profimannschaft befördert. Den Sprung ins Profiteam hat im vergangenen Sommer in Basel kein Junior geschafft. Dafür hat der FCB während Stuckis erstem Mercato Xherdan Shaqiri zurückgeholt und sieben Ausländer verpflichtet.
Waren Stuckis Worte im Dezember 2023 nur heisse Luft? Tragen die FCB-Transfers gar nicht seine Handschrift, sondern führt Stucki nur die Anweisungen von oben aus? Oder bildet der FCB keine Super-League-tauglichen Junioren aus? Stucki verweist gegenüber CH Media auf Leon Avdullahu, der seit Winter Stammspieler bei den Profis ist. Und sagt, dass mit Roméo Beney und Junior Zé Eigengewächse ihre Chancen erhalten, aber bislang nicht genutzt hätten: «Grundsätzlich ist es nicht so, dass jedes Jahr zwei, drei Spieler den Sprung aus dem Nachwuchs in die erste Mannschaft schaffen. Das gelingt nur besonderen Talenten. Und oft geht das auch nicht von heute auf morgen.»
Dabei ist es keineswegs so, dass man in Basel den Fokus nicht auf Junge legt. Rund 50 Prozent aller FCB-Einsatzminuten in der Saison 2023/24 wurden von Profis unter 23 Jahren absolviert - mit Abstand der Topwert in der Super League. Aber: U23-Spieler mit einem Schweizer Pass bestritten nur rund einen Fünftel dieser 50 Prozent.
Andere Beispiele: Beim FC St.Gallen, der stark mit der Verankerung in der Region kokettiert, sind nur drei Feldspieler Eigengewächse – von ihnen ist Corsin Konietzke (18) der einzige im U21-Alter. GC liefert sich gerade einen Rechtsstreit mit Eigengewächs Florian Hoxha (23) - der Verteidiger wurde aus dem Profikader geworfen, weil der Klub auf seiner Position mit Noah Persson einen bei YB durchgefallenen, 21 Jahre jungen Schweden verpflichtet hat.
Das Bild lässt sich auf die gesamte Liga projizieren: Der Anteil der Spielminuten von Jungprofis steigt von Saison zu Saison, ist europäisch mittlerweile ein Spitzenwert. Hingegen sinken die Minuten für Schweizer Talente seit 2019 dramatisch. 2023/24 waren es im Schnitt pro Klub noch 3101 Einsatzminuten für solche Spieler, die für die Schweizer U21-Nati oder jüngere Auswahlen einsatzberechtigt waren. Weniger als 10 Prozent der möglichen Einsatzminuten pro Klub.
Zusammengefasst: Die Super League ist sehr wohl eine Ausbildungsliga. Nur bilden die Klubs die Falschen aus - zumindest wenn man die Perspektive wählt, dass künftige Schweizer Nationalspieler ihre ersten Profischritte in der Super League machen sollten. Statt an Schweizer Jungprofis gehen die meisten Einsatzminuten an Franzosen, Portugiesen oder Afrikaner. Bilden im Gegenzug diese Länder im grossen Stil junge Schweizer aus? Natürlich nicht – warum sollten sie?
Beim Schweizerischen Fussballverband ist das Problem erkannt. «Der Trend gefällt uns nicht», sagte Patrick Bruggmann jüngst im «Tages-Anzeiger». Bruggmann ist beim Verband der Direktor Fussballentwicklung, er sagt mit Blick auf die sinkenden Einsatzminuten Schweizer Jungprofis: «Entweder fahren die Sportchefs eine komplett neue Linie, oder unsere jungen Spieler sind vielleicht doch nicht gut genug.» Was dann darin resultiert, dass ein Super-League-Klub als Back-up hinten links einen Ausländer rekrutiert, statt im eigenen Nachwuchs zu suchen und fündig zu werden.
Absurd, wenn man bedenkt, wie viel Geld die Klubs in den Nachwuchs investieren. Das sind überall Millionenbeträge, jeweils ein Grossteil der Gesamtbudgets. Doch die Lust, mit ausländischen Spielern in den Europacup zu ziehen, ist in der Praxis dann doch grösser als die Lust auf echte Nachwuchsförderung. Daran hat auch die Liga-Aufstockung von zehn auf zwölf Teams, womit die Abstiegsgefahr für jeden einzelnen Klub verringert wurde, nichts geändert.
CH Media hat mit mehreren Juniorentrainern von Schweizer Profiklubs gesprochen. Sie wollen anonym bleiben, auf eigenen Wunsch oder auf Befehl ihrer Arbeitgeber. Drei Punkte werden oft genannt: Eigengewächse würden meist nach Schwächen beurteilt. Und diese dann als Gründe genannt, weshalb es nicht für mehr Spielzeit reiche. Handkehrum heisse es bei einem ausländischen Stürmer: Der ist brutal schnell. Und was den mangelhaften Torabschluss betrifft – den wird er bei uns schon verbessern.
Zudem wird mehr Werbung für die Eigengewächse bei der Klubführung gewünscht. Ein Juniorentrainer hält fest: «Was bringt es mir und dem Spieler, wenn wir ihn gemäss den Vorgaben des Nachwuchschefs ausbilden, der Sportchef dann aber nichts davon mitbekommt?» Drittens sei die Geduld mit jungen Spielern verloren gegangen. Überspitzt formuliert: Wenn ein ehemaliger Junior mit 20 nicht Stammspieler ist und Millionenangebote für ihn auf dem Tisch liegen, wird er ausgetauscht. Es gäbe in der Schweiz eine Ausnahme: Beim FC Luzern erhalten die Talente mehr Zeit. Und müssen nicht zwingend Millionen einbringen, sondern dürfen auch bleiben und zu Identifikationsfiguren werden.
Ja, dieser FC Luzern. Er ist die ganz grosse Ausnahme in der Super League. Wie eine blühende Oase in der Wüste. Unter der Ägide von Sportchef Remo Meyer setzt der Klub seit sieben Jahren konsequent um, was er sich auf die Fahne schreibt: Die Pipeline für Eigengewächse ist offen – ins Profikader und auf den Platz.
Von den möglichen 37'620 Einsatzminuten des FCL in der Saison 2023/24 entfielen 14'500 auf Schweizer U21-Profis. Den zweithöchsten Wert lieferten mit 4100 Minuten die Grasshoppers. «Mindestens ein Drittel der Plätze im Profikader ist für Spieler aus unserer Akademie reserviert», sagt Meyer gegenüber CH Media, «dadurch erhalten die Eigengewächse Spielzeit in der Super League».
Was es dazu braucht? In erster Linie Mut, so Meyer. Auch fähige Ausbildner, und bei den Profis einen Trainer, der gerne mit jungen, unfertigen Spielern arbeitet und keine Hemmungen hat, diese auch laufen zu lassen. Im Gegenzug ist der Totomat beim FCL nicht alleinentscheidend für das Trainerschicksal. Das Verpassen der Top 6 letzte Saison war ärgerlich, aber keine unmittelbare Gefahr für FCL-Coach Mario Frick. Meyer sagt: «Wir sind maximal ambitioniert. Aber bei der Bewertung der Resultate haben die mögliche Inkonstanz der Jungprofis und das Interesse unseres Cheftrainers für den Nachwuchs ebenfalls viel Gewicht.»
Die FCL-Strategie zahlt sich aus. Die 250'000 Franken, die Liga und Verband neuerdings demjenigen Verein mit den meisten Schweizer Nachwuchs-Minuten auszahlen, sind den Innerschweizern schon jetzt kaum mehr zu nehmen. Und: Immer öfter fragen Talente aus der ganzen Schweiz an, ob sie zum FCL wechseln dürfen. Weil dort im Gegensatz zu ihren Klubs der Weg ins Profiteam frei ist. «In solchen Fällen greifen wir jedoch nur sehr selten zu. Unser Fokus liegt ganz klar auf Junioren aus der Innerschweiz», so Meyer.
Das Ungleichgewicht zwischen Luzern und dem Rest der Liga offenbart sich im aktuellsten Aufgebot der U21-Nati: Dies beinhaltete vier FCL-Profis und mit Ardon Jashari und Bradley Fink zwei weitere ehemalige FCL-Junioren. Eine coole Sache für die Luzerner. Der Output aus den September-Spielen waren eine Heimniederlage gegen Albanien und ein Auswärtssieg in Montenegro.
Sind das Vorboten für die A-Nationalmannschaft? Die schwindenden Einsatzminuten für Schweizer Jungprofis in der Super League müssen Murat Yakin nicht unmittelbar beunruhigen, aber in vier, fünf, sechs Jahren wird das Problem die A-Nati erreichen. Sofern keine Trendwende erfolgt. Die heutige Selbstverständlichkeit, dass sich die Nati für jede EM und WM qualifiziert, ist in diesem Fall akut gefährdet.