Fabian Schär sitzt in seiner Wohnung in Newcastle. Seine Stimme am Telefon verrät: Da ist einer ziemlich gut gelaunt und voller Vorfreude auf die kommenden Tage und Wochen. Das ist nicht selbstverständlich. Anfangs Februar zieht sich Schär bei einem Zusammenprall einen Innenbandriss im rechten Knie zu – die Europameisterschaft ist in Gefahr. Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit.
Jetzt, knapp drei Monate später, sagt Schär: «Die Heilung ist viel besser und schneller vorangeschritten, als viele gedacht haben.» Vor gut einer Woche ist Schär ins Mannschaftstraining zurückgekehrt. Am Wochenende hat er bereits 45 Minuten in einem Ernstkampf absolviert. Zwar «nur» mit den Reserven von Newcastle, aber immerhin. «Das war wichtig für den Kopf. Ich habe gesehen, dass alles so ist, wie es sein sollte. Ich hatte keine Schmerzen danach. Das hilft für die nächsten Wochen, dem eigenen Körper zu vertrauen.»
Das grosse Ziel bleibt die EM. In sechs Wochen findet das erste Schweizer Spiel gegen Wales statt. «Bis dahin möchte ich mir noch so viel Spielpraxis wie möglich holen. Vielleicht brauche ich diese nicht mehr so sehr wie ein ganz junger Spieler, schliesslich kenne ich meinen Körper mittlerweile ziemlich gut – aber es wäre schon gut, möglichst noch in den Rhythmus zu kommen», sagt der 29-Jährige.
Fünf Spiele verbleiben noch mit Newcastle – neun Punkte Vorsprung auf die Abstiegsränge sollten eigentlich reichen für den Verbleib in der Premier League – danach stehen auch noch zwei Nati-Testspiele an gegen die USA (30. Mai) und Liechtenstein (3. Juni). Zeit genug also, wie es scheint, dass Schär rechtzeitig in Form kommt.
Die Saison 2020/21 verläuft für Schär ziemlich kompliziert. Erst war er für fast drei Monate wegen einer Schulterverletzung ausser Gefecht gesetzt. Kaum hatte er sich in die Mannschaft zurückgekämpft, erkrankte er an Corona, fühlte sich über mehrere Wochen nicht gut. Wieder kämpft er sich zurück, kommt immer besser in Fahrt. Ehe er die Knieverletzung erleidet. «Das war im ersten Moment schon ein ziemlicher Rückschlag», erzählt er. «Doch die Reha war diesmal einfacher als bei der Schulterverletzung, wo ich ziemlich eingeschränkt war.»
Schär wird in London operiert, kehrt danach für sechs Wochen in die Schweiz zurück. Und legt in der Ostschweiz mit Physiotherapie die Basis für die schnelle Genesung. Einen Rückschlag musste er nie einstecken. «Ein paar kritische Momente gab es aber schon. Die ersten zehn Tage in der Schweiz waren harzig. Ich musste das Knie nach der Operation stets gestreckt halten, konnte erst danach wieder mit Beugen beginnen – und dabei hatte ich ziemliche Mühe. Da habe ich mich schon gefragt: Reicht das wirklich?»
Nicht nur wegen der Nationalmannschaft kam die Verletzung für Schär zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Denn seine Zukunft auf Klubebene war ungeklärt, sein Vertrag mit Newcastle bis Ende Saison terminiert. Doch Schär hat sich seit seinem Wechsel in den Norden Englands im Sommer 2018 viel Respekt und ein hohes Standing innerhalb der Mannschaft erarbeitet.
Nach Rafael Benitez sieht das auch der jetzige Trainer Steve Bruce so. «Bruce kam nach der Verletzung auf mich zu und sagte: ‹Hör mal, es könnte vielleicht helfen, wenn du dir über die Zukunft keine Gedanken machen musst. Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir möglichst rasch alles klären.›»
Was dann auch geschah. Newcastle besass eine Option darauf, dass sich Schärs Vertrag um ein Jahr bis Sommer 2022 verlängert – und hat diese nun während der Verletzungspause eingelöst. «Mich hat die Situation nicht belastet, ich wusste, dass ich es packen werde und es ohnehin irgendeine gute Lösung geben wird. Dass es nun über diese Saison hinaus hier weitergeht, freut mich aber sehr. Es ist die Bestätigung dafür, dass der Verein genau weiss, was er an mir hat», sagt Schär.
Nun bleibt zu hoffen, dass Schär auch die ersten Belastungsproben auf höchstem Niveau erfolgreich meistert. Dann steht der EM-Teilnahme nichts im Weg. Es wäre wichtig für Nationaltrainer Vladimir Petkovic, mit Schär, Akanji, Elvedi und Rodriguez vier gleichwertige Innenverteidiger im Team zu haben, die sich abwechseln können.
Doch was ist für die Schweiz in diesem Turnier möglich? «Was soll ich sagen?», fragt Schär zurück, «die Frage kommt immer wieder und auch die Antworten beginnen sich zu ähneln.» Die Schweizer Gruppe mit Italien, Wales und der Türkei ist tendenziell schwieriger als sie aussieht. Doch da auch vier von sechs Gruppendritten weiterkommen, ist der Achtelfinal zurecht das Ziel.
Schärs Fazit: «Es ist vieles möglich – aber auf beide Seiten. Nur: Wir haben eine Mentalität geschaffen, dass wir uns nicht so schnell zufrieden geben. Wir setzen die Ziele hoch und finden das auch richtig. Das heisst: Wir würden gerne einen Schritt vorwärts machen.» Bedeutet: Die Qualifikation für den Viertelfinal. Für Schär wäre es besonders süss, schliesslich musste er im WM-Achtelfinal gegen Schweden gesperrt zuschauen.