Genau ein Jahr ist es her: St.Gallen - Young Boys (3:3) vor mehr als 19'000 Zuschauern in der Super League. Im Hockey kamen in der 48. Runde zum bedeutungslosen Qualifikationsspiel zwischen Lausanne und Langnau (3:1) 8500 Fans. Und der FC Basel qualifizierte sich vor 14'500 Zuschauern gegen APOEL Nikosia für die Achtelfinals in der Europa League.
Seither spielen die Profis mit Ausnahme von vier Wochen im Oktober vor leeren Rängen – und der Schweizer Spitzensport (und nicht nur der Mannschaftssport) befindet sich im Überlebensmodus. Die Verantwortlichen von Super League, Challenge League, National League und Swiss League gehen davon aus, dass das erste Jahr alle Klubs überleben werden. Aber dann? «Die nächsten Jahre werden für viele Klubs ganz, ganz schwierig», sagt Denis Vaucher, der Eishockey-Ligadirektor.
Vor allem auch, weil niemand weiss, wie es weitergeht. «Nicht einmal die Wissenschaftler wissen etwas», sagte Marc Lüthi, der CEO des SC Bern. Die Klubs bezogen Überbrückungshilfen und Darlehen, die zurückbezahlt werden müssten. Um diese Gelder zurückzuzahlen, müssten die Klubs ab der Saison 2021/22, die für den Fussball im Juli und fürs Eishockey im September beginnt, Gewinne einfahren können.
Aber noch kann niemand sagen, unter welchen Voraussetzungen im Herbst gespielt werden kann. Volle Stehrampen? Eher unwahrscheinlich. Volle Kapazität der Sitzplatztribünen? Für die Klubs wohl das bestmögliche Szenario.
Mit diesen Szenarien beschäftigt sich derzeit Daniel Koch, der frühere Leiter der Abteilung übertragbare Krankheiten im Bundesamt für Gesundheit. Seit seiner Pensionierung engagiert sich der Schweizer «Mister Corona» auch für den Sport. Er berät den SC Bern und half mit bei der Erstellung der Schutzkonzepte. Er sprach sich während der ersten Welle als Erster für die Rückkehr der Fans in die Stadien aus. Koch lobbyierte dafür, dass die Skigebiete öffnen durften. Und er berät derzeit die UEFA, die hofft, in zwölf Städten im Sommer eine Euro mit Zuschauern organisieren zu können.
Koch rechnet in der Pandemie zwar weiter mit Überraschungen, gibt sich aber dennoch zuversichtlich: «Ich rechne auf den Sommer hin, ähnlich wie im letzten Jahr, mit einer positiven Entwicklung. Dennoch bleibt schwer abschätzbar, wie es mit Grossveranstaltungen weitergeht. Dies aus zwei Gründen: Erstens ist es fast unmöglich, die epidemiologische Lage wegen der Virus-Mutationen vorauszusehen. Die zweite Variable ist die Politik: Wir sehen das tagtäglich. In verschiedenen Ländern mit ganz ähnlichen Lagen sehen wir völlig unterschiedliche politische Massnahmen. Die politische Stimmung ist ebenso schwer voraussehbar wie die epidemiologische.»
Also fragen wir anders: Ist es in der Schweiz komplizierter, die Fans zurück in die Stadien zu lassen, als eine Euro in zwölf Städten vor Publikum zu organisieren? Daniel Koch: «Das ist eine gute Frage. Ich denke, dass es nicht komplizierter ist, im Sommer an der Euro Zuschauer in den Stadien zu haben.» Weil die UEFA in allen Ländern äusserst professionell aufgestellt ist. Letztlich entscheiden aber die Länder und die Städte, was möglich ist und was nicht. «Ich sage: Es ist nicht nur ein Nachteil, dass die Euro in verschiedenen Ländern ausgetragen wird.»
In der Schweiz weckte der Bundesrat am letzten Mittwoch Hoffnungen. Schon ab April, beim zweiten Öffnungsschritt, könnten Zuschauer wieder zugelassen werden – zumindest unter freiem Himmel. Konkret steht im Plan für den zweiten Öffnungsschritt, der sich derzeit bei den Kantonen in der Vernehmlassung befindet: «Professionelle Veranstaltungen Kultur, Freizeit und Sport: mit Maske und Abstand, nur sitzend, Konsumation nur im Aussenbereich, maximale Anzahl Zuschauende drinnen und (höhere Zahl) draussen und nur max. 1/3 Kapazität».
Die Worte, die Guy Parmelin an der Bundesrats-Medienkonferenz wählte, treffen auch auf den Sport zu. Das Licht am Ende des Tunnels ist zu sehen, auch wenn der Tunnel noch lang ist. Denn: Wenn Zuschauer wieder in die Stadien dürfen, heisst das noch lange nicht, dass sie sofort auch wieder kommen.
Das Australian Tennis Open verkaufte in den letzten Jahren problemlos 60'000 Tickets pro Tag. Heuer standen in der ersten Turnierwoche 30'000 Eintritte pro Tag zur Verfügung. Es kamen aber nie mehr als 21'000.
Auch in der Schweiz liess sich Ähnliches beobachten. Als im Oktober Zuschauer zugelassen waren, blieben die Zahlen unter dem, was erlaubt gewesen wäre. «Wenn alle sagen, das ist gefährlich, gefährlich, gefährlich – dann werden die Zuschauer nicht kommen», sagt Daniel Koch. Er rechnet aber damit, dass die Hemmschwelle schnell wieder sinkt. Und wann kehrt nach einem Jahr Pandemie die Normalität zurück? Daniel Koch: «In einem Jahr spätestens werden wir die Pandemie ziemlich gut im Griff haben. Davon gehe ich ganz fest aus.»