Noch vor einer Woche regierte Sonnenkönig Sepp Blatter mit einem Zirkel Gleichgesinnter ein Fussball-Weltreich, in dem die Sonne nie untergeht und alle Kassen prallvoll sind. Bis vor einer Woche war er der Leitwolf einer der mächtigsten Männerrunden, die der Sport je gesehen hat.
Nichts schien diese verschworene Gemeinschaft erschüttern oder gar auseinanderbringen zu können. Aber der letzte ernsthafte Gegner nach der glanzvollen Wiederwahl von Sepp Blatter zum grossen FIFA-Vorsitzenden hat nun innert kürzester Zeit doch den Zusammenbruch dieser Geheimloge herbeigeführt: Die US-Justiz.
Auf einmal ist Sepp Blatter einer der einsamsten Männer auf diesem Planeten. Um ihn herum tut sich ein Abgrund aus Verrat und Niedertracht auf. Der Mann, dem noch vor einer Woche in jedem Land der Welt ein Staatsempfang bereitet worden ist, kann die Schweiz nicht mehr verlassen. Sonst riskiert er Verhaftung und Auslieferung an die USA: Seine Spiessgesellen beginnen ihn zu verleugnen, wenden sich ab und der amerikanischen Justiz zu. Hochverrat. Rette sich wer kann. Was jetzt über das Wesen und Wirken der FIFA-Fürsten ans Licht kommt, übertrifft jede Phantasie.
Damit ist Sepp Blatter zugleich einen Loyalitätskonflikt los. Nun kann auch er das tun, was ihm nach seinen eigenen Worten immer am Herzen lag: Dem Fussball und der FIFA dienen. Er darf mit reinem Gewissen das Wohl des Fussballs und der FIFA über seine Männerfreundschaften stellen und die Seiten wechseln. Der Seitenwechsel ist ja sowieso ein Begriff, der ihm aus den Fussballregeln vertraut ist.
Es hat sich ein Zeitfenster von ein paar Monaten geöffnet um die FIFA zu erneuern. Es ist eine einmalige Chance. Um sie zu nutzen, müsste Sepp Blatter allerdings unter dem Schutz der Kronzeugen-Regelung vollumfänglich mit der US-Justiz kooperieren. Wer bereit ist, alles auf den Tisch zu legen (als Kronzeuge) wird im Gegenzug von der Justiz geschont.
Sepp Blatter kann die Seiten wechseln. So ein Frontenwechsel hat schon Paulus ewigen Ruhm beschert. Dessen Wechsel vom Saulus zum Paulus wird etwa auch als «Damaskuserlebnis» bezeichnet. Wie Saulus auf dem Weg nach Damakus erkannte, dass er auf der falschen Seite steht und zum Paulus wurde. Und so würde vielleicht die Besserung eines Sportfunktionärs künftig als «Zürichbergerlebnis» bezeichnet.
Sepp Blatter weissüber den FIFA-Fuchsbau mehr als alle anderen zusammen. Wenn er auspackt, dann kann die US-Justiz die Geld-Wasserläufe auf dem Planeten FIFA kartographieren. Dann verlieren die meisten, die Sepp Blatter soeben gewählt haben und für das aktuelle, böse Kartell der Macht stehen, zumindest vorübergehend ihren Einfluss, ihre Macht und da und dort möglicherweise auf für kürzere oder längere Zeit ihre Freiheit. Diese Schocklähmung würde es möglich machen die FIFA neu zu strukturieren.
Die Korruption wird nie aus dem Leben, der Wirtschaft, der Politik und schon gar nicht aus dem Sport verschwinden. Das Böse bleibt bis zum Jüngsten Tag auf unserer Welt. Es geht darum, die schlimmsten Auswüchse zu verhindern. Die Schweiz kann der FIFA als Beispiel dienen.
Das FIFA-Problem ist zu viel Macht (und damit Geld) während einer zu langen Zeitspanne in zu wenig Händen. Die FIFA könnte nach dem Vorbild des Bundesstaates Schweiz (mit der hohen Autonomie der Kantone) in eine neu strukturierte Föderation aus den sechs Kontinentalverbänden umgebaut werden. Die Autonomie und Unabhängigkeit dieser sechs Kontinentalverbände wird stark ausgeweitet, auch im finanziellen Bereich. Die Führung der FIFA wird aus je einem der Vertreter dieser sechs Verbände plus dem FIFA-Generalsekretär gebildet (sozusagen ein Fussball-Bundesrat). Aus dieser Runde kommt der FIFA-Präsident. Der Präsident bleibt maximal vier Jahre (von einer WM zur nächsten) im Amt, die anderen acht Jahre.
Die Zerschlagung des Zentralismus in der FIFA ist der Schlüssel zur Besserung und erschwert die Bildung von verfilzten, mafiösen Strukturen. Aber eben: Diese Umwandlung ist nur in den nächsten paar Monaten unter dem Eindruck der Ermittlungen der US-Justiz möglich. Je mehr «Schurken» die US-Justiz zur Strecke bringen kann, desto grösser die Chancen. Je grösser die Furcht vor dem «grossen Satan», desto grösser die Bereitschaft zur Reform.
Die entscheidende Frage ist nun: Hat Sepp Blatter die Kraft, den Mut um reinen Tisch zu machen und seine einstigen Weggefährten zu verraten? Er sollte es tun. Denn diese sind eben dabei, ihn auch zu verraten. Es ist Sepp Blatters grösste und zugleich letzte Chance. Vielleicht bekommt er dann doch noch den Friedensnobelpreis.
Der US-Justiz verdanken wir die wirkungsvollere Bekämpfung des Dopingmissbrauches im Sport. Nur die US-Justiz vermochte das Kartell des Schweigens in den Sportverbänden aufzubrechen. Verdanken wir am Ende der US-Justiz auch die Erneuerung der FIFA?