Es steht etwas Spezielles an. Sky Sports ist live zugeschaltet und zeigt einzig einen leeren Stuhl. Derweil drängen sich unzählige Journalisten aus aller Welt in den Medienraum in Liverpool. Die Ticketpreise für das Spiel am Samstag sind auf dem Schwarzmarkt auf bereits knapp 2000 Franken gestiegen. Heute ist es soweit: Steven Gerrard gibt seine «Farewell»-Pressekonferenz. 13 Uhr ist vorbei. Von Gerrard keine Spur.
Camera crews from around the world and standing room only at Melwood. #LFC pic.twitter.com/lHCdbWFK4F
— James Pearce (@JamesPearceEcho) 14. Mai 2015
Einige Ulknudeln witzeln schon, Gerrard habe wohl den Flug nach Amerika früher genommen, weil er sich so vor diesem kommenden Moment fürchtet.
Seems like Steven Gerrard decided to catch an early flight to america pic.twitter.com/km1zwvv4Go
— David Knott (@Dknott1) 14. Mai 2015
Aber dann kommt er doch noch. Sechs Minuten verspätet. Am Samstag um 18.30 Uhr Schweizer Zeit wird der Captain Liverpool letztmals auf den Rasen der legendären Anfield Road führen. Jetzt ist aber Zeit, um zu reden: «Ich freue mich auf das Spiel, das ich unbedingt gewinnen will, sodass ich mit einem guten Gefühl gehen kann.»
Nur Freude ist allerdings nicht dabei. «Ich fürchte mich vor diesem Moment auf eine spezielle Weise. Ich werde das alles so stark vermissen. Ich weiss nicht, wie ich reagieren werde, versuche aber keine Tränen zu vergiessen.» Sein langjähriger Teamkollege Jamie Carragher hatte Gerrard kürzlich aufgezogen, dass dieser zusammenbrechen und weinen werde. Der 34-Jährige nimmt die Stichelei gelassen: «Ich bin kein Macho wie Jamie, bin nicht aus Stein», schmunzelt er, «normalerweise kann ich meine Emotionen gut verstecken. Aber wir werden sehen. Es wäre auf jeden Fall keine Schande, zu weinen.»
Gerrard bedankt sich bei seiner Familie, lobt in der Folge unter anderem Trainer Brendan Rodgers, Gerard Houiller oder seine Jugendcoaches. Sagt, Raheem Sterling soll bei Liverpool bleiben und entschuldigt sich bei seinen Teamkollegen. Er habe nicht gewollt, dass sich alle Aufmerksamkeit in dieser Woche so sehr auf ihn konzentriert. «Aber nach 17 Jahren war das wohl kaum zu verhindern.» Tatsächlich tritt mit Gerrard ein Spieler ab, wie es sie im Weltfussball kaum mehr gibt. Romas Francesco Totti ist noch so einer.
Natürlich sei es bitter, dass er die Premier League nie gewinnen konnte. «Aber über 700 Einsätze absolviert zu haben, ist mehr als ich je dachte. Ich bin mit dem Traum aufgewachsen ein einziges Mal für Liverpool zu spielen.» Jetzt hofft er, dass Rodgers weiterhin das Vertrauen geschenkt wird. Und eines Tages kommt er vielleicht selbst als Trainer zurück. Zur Zeit absolviert «Captain Fantastic» die UEFA-Ausbildung.
An seine schönsten Momente kann er sich problemlos erinnern: «Der Champions-League-Titel 2005 als Captain in einem verrückten und vermutlich dem erinnerungswürdigsten Spiel machte mich zum stolzesten Mann auf Erden. Noch heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich daran denke.» Als sein Lieblingsspiel bezeichnet er das 3:0 gegen Stadtrivale Everton 2012, als er alle drei Treffer erzielte. Das wichtigste Tor glaubt er in der Champions League 2005 gegen Olympiakos geschossen zu haben.
Ob Gerrard auch im letzten Saisonspiel gegen Stoke City noch aufläuft, ist offen. Er wolle dabei sein, sagt er. Und wie wird er sich am Sonntag fühlen? «Vermutlich wie mit einem Hangover, aber ohne getrunken zu haben. Etwas deprimiert auch. Denn dann werde ich wissen, dass ich nie mehr einen Ernstkampf an der Anfield Road bestreiten werde.»
Nach 21 Minuten ist die Pressekonferenz vorbei. Gerrard schneidet die Torte an, welche für ihn vorbereitet wurde und sagt: «Ich kann nicht alles essen. Bedient euch. Ich gehe.»
"I can't eat all that," says Steven Gerrard before cutting himself a piece. "Right I'm off." pic.twitter.com/NUxp1fzSgE
— Carl Markham (@carlmarkham) 14. Mai 2015