Es läuft die 54. Minute im Spiel zwischen Japan und Spanien, als bei den Asiaten für einen Moment alle Dämme brechen. Nach einem Pass quer durch den Strafraum spielt der eingewechselte Kaoru Mitoma den Ball zur Mitte, wo ihn Ao Tanaka zum 2:1 in die Maschen befördert. Der Mittelfeldspieler dreht ab, und jubelt über seinen Treffer – aber nur für kurze Zeit. Der Linienrichter hebt die Fahne, das Tor wird zunächst nicht gegeben.
Was war passiert? Bei der Hereingabe von Mitoma ist in den Wiederholungen zu sehen, dass der Ball das Spielfeld womöglich bereits verlassen hat. Die Angelegenheit ist so knapp, dass sich auch das Schiedsrichtergespann relativ viel Zeit nehmen muss. «Der Ball war hinter der Linie», legt sich auch SRF-Kommentator Reto Held zunächst fest. «Das Tor wird nicht zählen.»
Doch das Tor zählt, zur grossen Freude der Japaner. Denn wie sich eine gute halbe Stunde später herausstellt, ist es dasjenige, dank welchem sich die Asiaten letztendlich für den Achtelfinal qualifizieren. Japan bringt das 2:1 über die Zeit, sichert sich so den Gruppensieg und trifft nun in der Runde der letzten 16 auf Kroatien.
Während Japan jubelt, hadern Deutschland und auch Spanien. Der Treffer von Tanaka sorgt für Diskussionsstoff. Auf den sozialen Medien zirkulieren Bilder, auch welchen es scheint, als habe der Ball das Spielfeld tatsächlich mit vollem Umfang verlassen. «Ich habe ein Foto davon gesehen. Ich hoffe, dass dieses manipuliert war», sagte der verdutzte spanische Trainer Luis Enrique nach der Pressekonferenz nach dem Spiel. Und die deutsche «Bild» schreibt von einem «Millimeter-Drama», und in Anspielung auf den WM-Final 1966: «wie Wembley».
Am Tag nach dem Spiel veröffentlicht die FIFA aber ein Video, das eindeutig zeigt, dass der Ball nicht in vollem Umfang über die Linie gerollt war. «Andere Kameras könnten irreführende Bilder liefern, aber nach den vorliegenden Informationen war der Ball nicht vollständig aus dem Spiel», teilt der Weltverband mit. Demnach hätte der Videoassistent bereits während der Partie die Torlinien-Kamera benutzt, um festzustellen, ob das Tor regulär war oder nicht.
Other cameras may offer misleading images but on the evidence available, the whole of the ball was not out of play. pic.twitter.com/HKKEot0j1Y
— FIFA.com (@FIFAcom) December 2, 2022
Tatsächlich ist auf den Bildern, die den Schiedsrichtern zur Verfügung standen, nicht zweifelsfrei bestätigen, dass der Ball den Platz nicht mit vollem Umfang verlassen hatte. Denn im Gegensatz zur Torlinie gibt es bei der Torauslinie kein automatisches technisches Hilfsmittel, welches die Position definitiv ermitteln kann. Aus diesem Grund dauerte es auch mehrere Minuten, bis der Treffer doch noch gegeben wurde.
Und trotzdem drehte der VAR die Entscheidung des Schiedsrichters um. Obwohl die Regeln klar besagen: Der VAR darf nur eingreifen, wenn eindeutig bewiesen werden kann, dass der Ball das Spielfeld nicht mit vollem Umfang verlassen hat. Nur dann darf der ursprüngliche Entscheid des Schiedsrichter-Teams – also dass das Tor nicht zählt – angefochten werden.
Wie sich am nächsten Tag und auch schon bei Bildern der Szene, die im Laufe des Abends auftauchten, zeigt, war es die richtige Entscheidung. Der Ball hat das Spielfeld also nicht mit vollem Umfang verlassen.
— Tupac (@Amer08669939) December 2, 2022
Diverse User versuchen mit Videos zudem aufzuzeigen, wie viel die Kamera-Perspektive bei einer solchen Entscheidung ausmacht.
correct in pic.twitter.com/11dbg8CQ3U
— namenlos (@seebuob) December 1, 2022
Und trotzdem gab es Kritik a der Entscheidung. «Ausschliesslich auf der Grundlage der bislang veröffentlichten Bilder die ursprüngliche Entscheidung als klaren Fehler einkassiert zu haben, wäre schon ein recht gewagter Move», schreibt der bekannte Schiedsrichter-Podcast Collinas Erben zur Szene auf Twitter.
Noch einen Schritt weiter geht der ehemalige deutsche Nationalspieler Michael Ballack. «Die Entscheidung ist kontrovers und falsch», so der mittlerweile 46-Jährige gegenüber MagentaTV. «Du hast eine eventuelle Aus-Entscheidung, die nicht klar belegbar ist, korrigiert.» (dab)
Und nun gilt dieser Fakt als kontrovers, weil in den Medien Bilder aus ungünstigen Winkeln verwendet werden?!