Sein Hals ist dick eingepackt mit einem schwarzen Schal. Das Shirt bis über die Finger gezogen. Die Sonne ist noch nicht untergegangen in Vilnius, aber es ist bereits bitterkalt. Doch Breel Embolo kümmert das in diesem Augenblick kein bisschen. Er schnappt sich einen Ball, schleicht sich an Eray Cömert heran und trifft diesen präzis ans Hinterteil. «Erster Treffer vollbracht!», ruft er und lacht schallend.
Ja, er lacht oft, Breel Embolo. Gerade sind die Tage in seinem Leben wieder ziemlich unbeschwert. Ist er vielleicht sogar so gut in Form wie noch nie?
«War ich denn früher nie gut?», fragt Embolo lächelnd zurück.
Natürlich war er das. Aber die Art und Weise, wie er in den letzten Wochen in der Bundesliga gespielt hat, auch wie er am Samstag mit seiner Wucht die Nati antrieb, das ist schon ziemlich erstaunlich. Gerade wenn man bedenkt, dass er nach der EM wegen einer Verletzung am Oberschenkel zwei Monate pausieren musste.
Wenn er jetzt, vor der Schweizer Pflichtaufgabe in Litauen, noch einmal auf die EM zurückschaut, dann sagt Embolo: «Ich habe mich sehr über die Verletzung geärgert. Es hat sich angefühlt, als habe ich die Mannschaft im Stich gelassen.» Es passierte im Viertelfinal gegen Spanien, diesem grössten Spiel, das eine Schweizer Fussballauswahl je bestritten und nur ganz knapp verloren hat. «Aber nun bin ich froh, zurück zu sein. Jetzt gilt es: weiterarbeiten und vor allem gesund bleiben.»
24 Jahre jung ist Embolo erst. Man würde kaum darauf kommen, wenn man sich vergegenwärtigt, was er in seinen Jahren als Fussballer bereits erlebt hat. Der Aufstieg war schnell und steil. Mit 17 ermöglichte ihm Murat Yakin damals beim FCB das Profi-Debüt, er traf gleich im ersten Spiel. 2014 war das. Nach der EM 2016 folgte der Wechsel zu Schalke.
Alsbald war es vorbei mit der Leichtigkeit. Immer wieder erlitt er Verletzungen. Keine so schlimm wie jene am 15. Oktober 2016, als nach einem Foul des Augsburgers Konstantinos Stafylidis sein Sprunggelenk zertrümmert war und er bis Saisonende ausfiel. Nach drei schwierigen Jahren fand er in Mönchengladbach den Klub, der ihm die Möglichkeit gab, die Karriere neu zu lancieren.
Bei der Borussia spielt Embolo noch immer. Und es scheint, als könnte er in der dritten Saison nun tatsächlich sein ganzes Potenzial abrufen. Mittlerweile ist Murat Yakin Nationaltrainer. Und wenn er über Embolos Entwicklung spricht, dann sagt er rasch einmal: «Es ist sehr erfreulich, dass er nie aufgegeben hat bei all den Rückschlägen, die er erlitten hat. Er ist ein Stehaufmännchen.» Yakin sagt aber auch:
Nun sind diese Worte von Yakin keinesfalls als Kritik zu verstehen. Er wechselt auch gleich wieder in den Lobes-Modus, besonders gefallen ihm Embolos Persönlichkeit und Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.
Es ist nicht ganz auszuschliessen, dass die schwierigen Wochen im letzten Januar Embolos Reifeprozess etwas beschleunigten. Damals prasselte nach einem nächtlichen Ausflug während der Pandemie, der von der Polizei aufgedeckt wurde, vieles auf ihn ein. Wie er das weggesteckt hat, ist die Frage. Seine Antwort: «Du schläfst. Du stehst auf. Es kommt wieder ein neuer Tag. Ganz einfach.»
Das tönt ziemlich unspektakulär. Und täuscht wohl ein wenig darüber hinweg, dass er Mühe hatte mit der Vorverurteilung, vor allem in den deutschen Medien, gut gefüttert von Internas der Polizei. Auch darum hat er beschlossen, darauf zu verzichten, seine Version der Geschichte zu erzählen.
Embolo lässt lieber den Fussball sprechen. So wie am Samstag gegen Nordirland. Embolo war der beste Schweizer auf dem Feld. Und nun also das Spiel in Vilnius, auf diesem ziemlich alten Kunstrasen. Embolo hat gute Erinnerungen an Litauen. Im Juni 2015 war es, als die Schweiz letztmals hier spielte. Es war das erste Pflichtspiel, bei dem Embolo mittun durfte.
In der 81. Minute wurde er von Vladimir Petkovic eingewechselt. Zwei Minuten später bereitete er den 2:1-Siegtreffer von Xherdan Shaqiri vor. Kommt nun ein persönlicher Treffer dazu? Embolo sagt: «Das wäre schön, schliesslich bin ich Stürmer. Aber ich bin auch glücklich, wenn ich nicht treffe und die Mannschaft gewinnt.»