Jérémy Fricks Aussage spricht Bände. «YB hat nur mit 80 Prozent Einsatz gespielt und dennoch problemlos gewonnen», sagte der Goalie von Servette am Sonntag nach der 0:2-Niederlage im Wankdorf. Plakativer formuliert: YB gewinnt in der Super League auch mit einem Bein.
Die Berner haben die Konkurrenz nach 21 Runden um mindestens 18 Punkte distanziert und den vierten Titel in Serie so gut wie eingetütet. YB überzeugt: Es schiesst die meisten Tore und kassiert die wenigsten. YB ist trotz der vielen Erfolge in den letzten Jahren nie hochnäsig geworden, provoziert keine Skandale und arbeitet auch neben dem Platz derart gut, dass 2018 und 2019 ein Gewinn von total 39 Millionen Franken erwirtschaftet wurde.
YB macht alles richtig. Trainer Gerardo Seoane auf dem Rasen und in der Kabine, Sportchef Christoph Spycher im Büro sowie an den Verhandlungstischen und CEO Wanja Greuel im Tresorraum. Das Lob prasselt verdientermassen nur so auf sie nieder. In Bern herrscht Friede, Freude, Eierkuchen. Die Young Boys sind im Schweizer Klubfussball das Mass aller Dinge.
Doch wer nicht gerade gelb-schwarz gewandet daherkommt und gerne über die Landesgrenzen hinausschaut, sieht beim Krösus durchaus Verbesserungspotenzial. Nach dem Meistertitel 2018 qualifizierte sich YB zwar auch gleich noch für die erstmalige Teilnahme an der Champions League und legte gegen die hochkarätige Konkurrenz (Manchester United, Juventus Turin und Valencia) einen ehrenwerten Parcours hin.
Doch in der folgenden Spielzeit wurde gegen Roter Stern Belgrad dieser prestigeträchtige Wettbewerb verpasst und nach dem Switch in die Europa League war nach der Gruppenphase Schluss. Wobei die Gegner mit Porto, den Rangers und Feyenoord keine Laufkundschaft waren.
In dieser Saison hinterlassen die Berner auf internationalem Parkett einen irritierenden Eindruck. Das chancenlose Ausscheiden in den Playoffs zur Champions League gegen den dänischen Meister Midtyjlland – dieser holte danach in der Königsklasse bei 4:13 Toren lediglich zwei Punkte – war überaus ernüchternd.
In der Europa League brauchten die Young Boys dann gegen den sehr mittelmässigen CFR Cluj aus Rumänien die Hilfe des Schiedsrichters, um zum dritten Mal in die Sechzehntelfinals einzuziehen. Und zuvor, bei der 1:2-Niederlage im Heimspiel gegen die AS Roma, war auffallend gewesen, dass den Gästen die Einwechslung der beiden Stars Dzeko und Mkhitaryan genügt hatte, um die Partie zu drehen. Auswärts war YB beim 1:3 gegen die Römer dann klar unterlegen.
Zuletzt nun lieferte Gelb-Schwarz im Wankdorf gegen Leverkusen eine starke erste Halbzeit ab, auch wenn die Deutschen bei den beiden ersten Toren nach Eckbällen keinerlei Widerstand leisteten. Wie sehr dann aber zwei gegnerische Massnahmen – die Umstellung auf eine Dreierabwehrkette und die Einwechslungen von Verteidiger Tapsoba und Flügel Diaby – genügten, um aus dem 3:0 ein 3:3 zu machen, war enttäuschend und provozierte die Frage: Ist YB nur national top, international aber überfordert?
Auf gehts Richtung Leverkusen! 💛🖤✈️ #UEL #B04YB #BSCYB pic.twitter.com/0ldoqD1fVh
— BSC YOUNG BOYS (@BSC_YB) February 24, 2021
Weil die Berner aber die Moral nicht verloren und mit etwas Glück durch Siebatcheu in der vorletzten Minute noch zum 4:3 kamen, sind die Chancen intakt, auch ohne die gesperrten Nsame und Camara erstmals in der Europa League die Achtelfinals zu erreichen. «Wir sind in Topform. Es läuft 2021 wie am Schnürchen», sagte Flügelstürmer Christian Fassnacht vor der Reise nach Leverkusen. «Wir sind heiss darauf, einen Coup zu landen.»
Nicht nur Bern, sondern die ganze Fussballschweiz sehnt sich danach, dass einer ihrer Klubs international wieder einmal ein kräftiges Lebenszeichen aussendet. Einen ambitionierten Verein wie Bayer Leverkusen zu eliminieren, wäre eine tolle Botschaft. Und würde allfällige Zweifel an der internationalen Tauglichkeit der Berner mit einem Schlag zerstreuen.