Vor ein paar Wochen hat Noam Baumann nicht schlecht gestaunt. Ausgerechnet der FC Luzern hatte über einen Berater die Fühler nach ihm ausgestreckt. Exakt jener Verein also, der ihn vor ein paar Jahren aussortiert hatte, weil er beim jungen Torhüter kein Potenzial für die Super League sah.
Baumann muss heute über die Geschichte schmunzeln, und grundsätzlich findet er den FC Luzern noch immer einen geilen Verein. Für den FC Lugano aber, bei dem er einen bis 2022 gültigen Vertrag hat, kam ein Abgang seines Goalietalents nicht in Frage. Dessen Leistungsausweis ist ja auch eindrücklich genug. In 28 Super-League-Spielen liess er sich lediglich 27 Mal bezwingen und 13 Mal hielt er sein Tor rein. «Die Zahlen sind nicht schlecht, könnten aber besser sein», sagt Baumann. Er will damit nicht kokettieren, sondern hat einfach nur die eine oder andere Situation im Kopf, wo er sich noch cleverer hätte verhalten können.
Aber grundsätzlich ist er natürlich zufrieden, wie sich seine Laufbahn entwickelt hat. «Gut hat es ja nicht immer ausgesehen», kommt der 23-Jährige auf seine bisher schwierigste Phase in seinem Fussballerleben zurück. Von seinem Vater war er einst beim FC Hünenberg dazu animiert worden, sich ins Tor zu stellen.
Obwohl er mit seinen Füssen durchaus einen feinen Umgang mit dem Ball hatte. Baumann wechselte in die Juniorenabteilung des FC Luzern, gehörte immer auch dem Kader der jeweiligen Schweizer U-Nati an und absolvierte die Sportler-KV-Lehre. Doch diese interessierte ihn höchstens am Rande, gab es für ihn doch nur ein Ziel: Profi werden.
So muss für ihn eine Welt eingestürzt sein, als ihm der damalige Luzerner Nachwuchschef Andy Egli eröffnete, keine Verwendung mehr für ihn zu haben. Doch Baumann liess sich nicht unterkriegen, glaubte an sich und sein Umfeld, hielt zu ihm und baute ihn auf. Der Wechsel zu Zug 94 brachte die Hoffnung zurück. Aber auch hier lief vorerst nicht alles nach Wunsch. Ja, Baumann, musste zwischenzeitlich sogar mit der zweiten Mannschaft in der vierten Liga Gras fressen, was im Ligasystem der achten Spielklasse entspricht.
Aber dann spielte er für Zug doch in der 1. Liga, und als das Angebot des FC Wil kam, griff Baumann zu. Es war die Zeit, als die türkischen Investoren aus dem Challenge-League-Verein einen Schweizer Spitzenklub formen wollten. «Ich kann über die Türken nichts Schlechtes sagen. Sie sorgten für total professionelle Bedingungen», sagt Baumann. Als ihre Pläne eines neuen Stadions nicht auf Gegenliebe stiessen und sie den FC Wil über Nacht verliessen, hatte das für Baumann indes auch ein Gutes. «Die Wiler mussten auf die Jungen setzen, und so bekam ich meine Chance», sagt Baumann.
Hier lernte er den Goalietrainer Stephan Lehmann kennen. «Ein Schwein, ein A...loch», sagt er über den früheren Nationaltorhüter, der ihn verdammt hart rangenommen hatte. «Aber er sorgte dafür, dass ich an mich glaube. Er weiss, wie man Mentalität vermittelt.» Lehmann nennt Baumann ein «Riesentalent mit einer brutalen Explosivität.» Und einen verrückten Vogel.
Wie Mario Balotelli. Dessen Rückennummer 45 hätte Baumann gerne gehabt, als er zu Wil kam. Doch diese war besetzt, und er entschied sich für die 46. Das ist immerhin fast Balotellis Nummer, und weil 4+6 = 10 ist und er am 10. April Geburtstag hat, ist er mit der 46 nun auch ganz zufrieden. «Ich hoffe, dass eines Tages das eine oder andere Kind auch die 46 trägt», sagt Baumann. Es würde bedeuten, dass ihm die Jungen nacheifern und er ihr Vorbild ist.
Der Hüne aus Hünenberg fällt nicht nur durch seine Körpergrösse von 1,94 Metern auf. Ein guter Teil seines Körpers ist tätowiert. Die Familie und sein Glaube haben manches Motiv bestimmt. Er streckt den Arm aus und zeigt einen kleinen Jungen mit einem Ball unter dem Arm. «Das bin ich», sagt Baumann. Ein anderes Bild zeigt einen starken Mann, der eine Erdkugel in Form eines Balles in die Höhe stemmt. «Das ist mein Vater, der so viel für mich getan hat.»
In Lugano hat er David Da Costa als Stammkeeper abgelöst. Ein bisschen Mühe hat er zu Beginn mit der hier praktizierten italienischen Goalieschule, die so viel detailbezogener ist als jene, die er zuvor kennen lernte. Aber er hat sich in den anderthalb Jahren, die er nun hier ist, angepasst und spricht bereits gut Italienisch. Telefoniert er dagegen mit seiner Mutter, einer Dominikanerin, unterhält er sich in Spanisch. Er lebt in einer Wohnung nahe dem See und unweit des Stadions. Mit dem FC Lugano ist er ungeschlagen und ohne Gegentor. «Das soll am Sonntag auch in Bern gegen YB so bleiben. «Wir fahren hin, um zu gewinnen», sagt Baumann.
Und in einem Monat geht es los in der Gruppenphase der Europa League. «Obwohl wir in St. Gallen spielen müssen, freue ich mich extrem darauf», sagt der Zuger. Wer im Schweizer Fernsehen als Experte für diesen Wettbewerb engagiert ist, weiss Baumann nicht. Wir sagen es ihm: Andy Egli.