Die jüngsten Ereignisse in den USA haben auch einige Fussballer in der deutschen Bundesliga bewegt. Nachdem ein Polizist in den USA den dunkelhäutigen George Floyd bei einer Verhaftung bis zum Erstickungstod zu Boden gedrückt hatte, bekannten vier Bundesliga-Akteure ihre Solidarität mit dem Todesopfer aus.
Gladbachs Doppeltorschütze Marcus Thuram bejubelte seinen ersten Treffer gegen Union Berlin mit einem Kniefall. Die Geste wurde durch den American-Football-Spieler Colin Kaepernick berühmt, der damit ein Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt setzte. Die Dortmunder Jadon Sancho und Achraf Hakimi forderten nach ihren Toren gegen Paderborn mit Aufschriften auf ihren Shirts Gerechtigkeit für das Todesopfer. Tags zuvor hatte Schalkes Weston McKennie eine Armbinde mit der Aufschrift «Justice for George» getragen.
Weil die Regularien politische Botschaften verbieten, könnten die Spieler gebüsst werden. Von ihren Klubs erhielten sie indes Rückendeckung. «Ticus (Marcus Thuram) hat es auf den Punkt gebracht. Er hat ein Zeichen gegen Rassismus gesetzt, das wir natürlich alle unterstützen», sagte etwa Gladbachs Trainer Marco Rose. Auch Schalkes Sportchef Jochen Schneider erklärte: «Wir unterstützen die Haltung unseres Spielers zu 100 Prozent.»
Dass sich Sportler politisch äussern, kommt eher selten vor. Die folgenden Aktionen sind deshalb besonders in Erinnerung geblieben.
Ein Bild geht um die Welt. Bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko. Tommie Smith und John Carlos, die über 200 Meter Gold und Bronze gewonnen haben, senken bei der Siegerehrung den Kopf und strecken die mit einem schwarzen Handschuh bekleidete Faust in den Himmel. Die Geste ist als Zeichen gegen die Rassendiskriminierung in den USA gedacht.
Smith trägt ein schwarzes Tuch um den Hals, um den schwarzen Stolz («Black pride») zu symbolisieren. Carlos hat die Trainingsjacke offen, um seine Solidarität mit den «Blue collar workers», den Arbeitnehmern, zu symbolisieren. Ausserdem trägt er eine Kette, um an «diejenigen zu erinnern, die gelyncht oder anders ermordet wurden, diejenigen, für die nie gebetet, derer niemals gedacht wurde. Für die, die man auf dem Weg nach Amerika über Bord geworfen hatte.»
Das von John Dominis geschossene Foto der Athleten sorgt weltweit für Aufruhr und gilt bis heute als eine Ikone der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Das Internationale Olympische Komittee ordnete wegen der «üblen Demonstration gegen die amerikanische Flagge durch Neger» die Suspendierung der beiden Athleten an. Der amerikanische Verband weigerte sich zunächst, folgte der Anordnung aber, als IOC-Präsident Avery Brundage drohte, die ganze amerikanische Leichtathletik-Mannschaft von den Spielen auszuschliessen.
1978 wird Argentinien erstmals Fussball-Weltmeister und die Militär-Diktatur von General Jorge Rafael Videla schlachtet den Erfolg propagandistisch für sich aus. Das Land ist gespalten: Auf der einen Seite die Freude über den Titel, auf der anderen Seite der Hass auf das Regime. Trainer César Luis Menotti wird nach dem Titelgewinn zum Symbol des Widerstands. Lange wird kolportiert, dass Menotti Diktator Videla den Handschlag verweigert haben soll, als ihm dieser nach dem Final zum gewonnen WM-Titel gratulieren wollte.
Dies ist jedoch nicht belegt und wurde von Menotti, der Anhänger der kommunistischen Partei war, selbst auch nie behauptet. Beobachter sagen, das Gedränge auf dem Rasen habe einen Handschlag ohnehin unmöglich gemacht. Dennoch hält sich die Geschichte vom verweigerten Handschlag vor allem in Argentinien hartnäckig. Der Finalgegner Niederlande blieb sowohl der Siegerehrung als auch dem Bankett aus Protest gegen die Videla-Diktatur geschlossen fern.
Im September 1995 will die Schweizer Fussball-Nati ein Signal setzen. Beim EM-Qualifikationspiel in Göteborg gegen Schweden entrollen die Nati-Cracks ein Banner mit der Aufschrift «Stop it Chirac». Ein klarer Protest gegen den französischen Atombombentest im Mururoa-Atoll, den der Staatspräsident Jacques Chirac angeordnet hatte.
Die Aktion geht um die Welt und in der Heimat entsteht eine hitzig geführte Diskussion. Die neutrale Schweiz sieht durch ihre Fussballer die Neutralität gefährdet. Am Ende ist jedoch alles halb so schlimm. Die Nati holt in Schweden mit dem 0:0 den vorentscheidenden Punkt auf dem Weg an die Endrunde in England, und für die politische Protestaktion gibt es von der UEFA nur einen Verweis.
Später verbietet der europäische Fussballverband politische Kundgebungen auf dem Platz. Alain Sutter, der damals fälschlicherweise als alleiniger Rädelsführer des Protests ausgemacht wird, zeigte später Verständnis für das UEFA-Verbot derartiger Demonstrationen. «Das finde ich in Ordnung, man sollte den Sport nicht für Politik missbrauchen», erklärte Sutter 2010 im «Spiegel».
An der Fussball-WM 1998 in Frankreich treffen die USA und der Iran in der Gruppenphase aufeinander. Vor dem Duell der beiden verfeindeten Staaten diskutiert die ganze Welt, wie das sportliche Gefecht mit der grossen Sprengkraft wohl ausgehen wird. Viele erwarten ein hitziges Spiel mit feindseliger Stimmung, doch es kommt ganz anders – auch dank eines geschickten Schachzugs der FIFA.
Der Fussball-Weltverband erklärt den 21. Juni zum Tag des Fairplays und so überreicht der iranische Kapitän Ahmedreza Abedzadeh seinem US-Kollegen Thomas Dooley zum Auftakt einen grossen Blumenstrauss statt böse Blicke. Vor dem sportlich wichtigen Spiel für beide Mannschaften posieren die Spieler zusammen mit Schiedsrichter Urs Meier gar gemeinsam für ein Gruppenfoto und die iranischen Spieler übergeben den Amerikanern eine weisse Rose als Zeichen des Friedens. Der Konflikt zwischen den beiden Erzfeinden ist plötzlich ganz weit weg.
Ein lasziver Kuss sorgt bei der Leichtathletik-WM 2013 in Moskau für rote Köpfe. Tatjana Firowa und Xenija Ryschowa verpassen sich nach Gold über 4x400 Meter auf dem Siegerpodest einen dicken Schmatzer. Eine klare Botschaft an die russische Regierung und gegen das international scharf kritisierte Anti-Gay-Gesetz von Putin, das die Verbreitung von Informationen über Homosexualität an Minderjährige unter Strafe stellt?
So klar ist das nicht. Empört erklären die heterosexuellen Läuferinnen später auf der Pressekonferenz: «Sollten sich unsere Lippen beim gegenseitigen Gratulieren aus Versehen berührt haben, dann ist das alles nur kranke Fantasie». Der Kuss zwischen ihr und ihrer Kollegin sei ein reiner «Sturm der Gefühle» gewesen, stellte Ryschowa klar.
Angesichts der Bilder nur schwer zu glauben. Die Stimmen, die behaupten, dass Ryschowa und ihre Sprinter-Kollegin nach der Siegerehrung auf Linie mit Putin und dessen Gesetzgebung gebracht worden sind, verstummen später jedenfalls nicht so schnell. Die Leichtathletinnen äussern sich danach nie mehr zu ihrem Siegerkuss.
Mit dem Hinknien während der Nationalhymne löst Colin Kaepernick im Spätsommer 2016 eine Kontroverse aus, die ganz Amerika zu zerreisen droht. Der damalige Quarterback der San Francisco 49ers entschliesst sich, während der amerikanischen Hymne nicht aufzustehen, um gegen Polizeigewalt gegen Afroamerikaner zu protestieren. Stattdessen kniet er sich nieder.
Unzählige Sportler folgen seinem Beispiel und erzürnen damit ihre patriotischen Landsleute sowie US-Präsident Donald Trump. Das Sitzen und Knien während der Nationalhymne wird als Respektlosigkeit gegenüber dem eigenen Land empfunden. Wochenlang beherrscht das Thema die Schlagzeilen, für Kapernick endet der Protest ohne Happy End. Im Gegenteil: 2017 wird er aus seinem Vertrag bei den 49ers entlassen. Seither hat der Quaterback trotz unbestrittenen Qualitäten kein neues Team gefunden.
Der protestierende Footballer gilt als «Persona non grata», seit über drei Jahren hat er kein NFL-Spiel mehr absolviert. 2018 wird Kaepernick zum Gesicht einer Nike-Werbekampagne. «Glaube an etwas, auch wenn dies bedeutet, alles andere zu opfern», lautet der Werbeslogan.
In Frankreich wird die US-Frauen-Nationalmannschaft zum vierten Mal Weltmeister. Beim Empfang der Fussball-Heldinnen in New York nutzt Aushängeschild Megan Rapinoe die grosse Bühne und tritt als politische Aktivistin auf. In einer Brandrede für mehr Nächstenliebe, Gleichberechtigung von Frauen und Toleranz kritisiert die bekennende Homosexuelle US-Präsident Donald Trump scharf.
Weltweit wird Rapinoe für ihr Engagement und ihren Mut gelobt, doch im eigenen Land gibt es auch Kritik. Nach ihrem Auftritt wird ihr vom konservativen Sender «Fox News» Egoismus vor geworfen, und dass sie den WM-Triumph für ihre politische Botschaft missbrauche. «Du bist da, um einen Ball zu kicken. Schiess den Ball, besiege andere Teams, zeige deinen amerikanischen Geist. Das ist alles, was wir brauchen», erklärt Kommentator Raymond Arroyo.
Rapinoe lässt sich davon nicht beeindrucken. Auch an der FIFA-Gala im September in Mailand hält sie noch einmal eine gesellschaftspolitische Brandrede und fordert ihre Fussballer-Kollegen auf, ihre Popularität ebenfalls in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.
(pre/sda)