Es dürfte der Ernstkampf mit dem längsten Anreiseweg der Geschichte sein, wenn die A.S. Dragons (Französisch-Polynesien) am Wochenende bei US Avranches (3. Liga Frankreichs) antreten: Papeete – Los Angeles – New York – Paris – Avranches. Die drei Flüge dauern zusammen rund 35 Stunden. Und dann noch mit dem Bus knapp vier Stunden an die französische Atlantikküste nach Avranches. Kurz: Zwei Tage Anfahrtsweg für ein Auswärtsspiel. 15'500 Kilometer trennen die beiden Orte.
Wie kommt es dazu? Der Coupe de France macht es möglich. Im nationalen Pokalwettbewerb steigen seit Jahrzehnten in der 7. Runde die Klubs der Übersee-Departemente ein. Aus den «Territoires d'outre-mer» machen in dieser Saison elf Klubs mit. Sie alle haben sich bei ihren Insel-Cups qualifiziert und kommen aus Guadeloupe, Neukaledonien, Martinique, Französisch-Guayana, La Réunion, Mayotte und eben Tahiti (Französisch-Polynesien).
Die Mannschaften bestehen aus Amateuren. Ihre Gegner kommen aus der 3., 4. oder 5. Liga von «La Métropole» (Frankreich). Während in der 3. Liga noch teilweise Profis aktiv sind, figurieren in der 4. und 5. Spielklasse ebenfalls praktisch nur Hobbyfussballer.
Klar ist für alle: Diese Partien sind grosse Karriere-Highlights. Von A.S. Dragon sagt Stephane Gelima zu watson: «Wir freuen uns immer auf diese Spiele. Die Reise ist stets speziell.» Gelima flucht über die Kälte in Europa und schwärmt vom schönen Hotel in Frankreich.
«Wir haben leider nur zehn Tage in Frankreich. Viel machen können wir so nicht. Immerhin konnten wir das Training der Nationalmannschaft besuchen», erzählt Gelima.
Ebenfalls eine weite Reise tritt Phare du Canal aus Guadeloupe an. Der ASM Belfort FC (3. Liga) empfängt die Karibik-Kicker. watson erreichte Präsident Viktor Ramlall anfangs Woche. «Der Cup ist eine grosse Sache, um uns mit starken Klubs zu messen. Aber ich glaube, das Niveau hier ist nicht viel tiefer als bei unserem Gegner. Ich schätze unsere Chancen auf 50 Prozent.» Kennen tut er diesen freilich nicht. Wie auch?
Ramlall hat sowieso andere Probleme: «Ich muss noch ein Flugticket kaufen, ich weiss noch nicht, wann wir abfliegen. Morgen oder übermorgen. Gut 60 Personen (Mannschaft, Fans, Offizielle) werden mitkommen.» Zwei Wochen hatten die Teams seit der Auslosung für die Organisation Zeit. Eine Ferienreise soll es auf keinen Fall werden. Zum Abschluss des Telefongesprächs bittet er mich noch um etwas: «Richten Sie der Schweiz aus, dass wir Guadeloupe würdig vertreten werden!»
Damit die Amateurklubs durch den Cup nicht in den Ruin getrieben werden, übernimmt der Französische Fussballverband (FFF) die Kosten für 16 Spieler und vier Staff-Mitglieder. Das gilt auch für die französischen Klubs, welche den entgegengesetzten Weg antreten. Einziger Unterschied: Sie konnten sich anmelden, ob sie bei der separaten «Outre-mer»-Auslosung mitmachen wollen. 15 Teams meldeten sich, 11 hatten Glück. Die anderen vier rutschten in die «normale» Auslosung.
Der Viertligist Fleury FC 91 ist ein Team, welches dem europäischen November-Wetter entfliehen kann; es darf nach Guadeloupe. Klubsprecher Salah Mahdjoub sagt zwar, dass man mitmache, «um ein Abenteuer zu erleben», aber Strandsachen sollen die Spieler für die sieben Tage nur ganz unten im Koffer einpacken. «Wir werden uns auf den Match vorbereiten und wollen mit einem Sieg im Gepäck zurückkommen. Gewinnen wir, gibt es vielleicht noch zwei Tage verdiente Erholung an der ‹Plage›.»
Fleury reist mit 28 Personen über den grossen Teich. «Wir haben neben der Unterstützung durch den FFF für die weiteren Mitreisenden Geld gesammelt.»
Es hört sich bei allen Klubs gleich an: Man nimmt den Wettbewerb ernst und reist nicht aus Spass so weit. Das bestätigt auch Lunévilles Captain Julien André vor der Reise zum Club Franciscain: «Wir machen keine Ferien auf Martinique, wir wollen weiterkommen.»
Trotzdem hegt man als Beobachter den leisen Verdacht, dass man solche Aussagen schon vor Trainingslagern bei Schweizer Amateurklubs gehört habe … Und der SC Selongey beweist: Spass soll nicht zu kurz kommen:
Zu glauben, die Amateur-Truppen aus Übersee seien chancenlos, würde ihnen auch nicht gerecht werden. Auch wenn die Erfolge in den letzten Jahren bescheiden blieben: Richtige Klatschen setzt es selten ab. In der letzten Saison erreichten drei der zehn Teams die nächste Runde. Sainte-Marienne (Réunion) überstand gar zwei Runden und schied erst im 1/32-Final gegen den damaligen Ligue-1-Klub Ajaccio (0:2) aus.
Das war allerdings ein seltenes Highlight. Normalerweise ist spätestens nach dem zweiten Spiel (8. Runde) Schluss für die Exoten. Die grosse Ausnahme bildet der ASC LE Geldar de Kourou (Franz.-Guayana). Der Klub stürmte 1988/89 bis in den 1/16-Final, wo die Südamerikaner dann aber mit dem Gesamtskore von 0:11 (damals noch Hin- und Rückspiel) an Nantes scheiterten.
Kourou hat sich auch in dieser Saison wieder qualifiziert. Im Heimspiel gegen den SC Selongey (5. Liga) rechnet man sich durchaus Chancen aus: «Wir wollen gewinnen und gehen hochmotiviert in die Partie. Für uns sind diese internationalen Spiele immer speziell», sagt Christopher, der beim kleinen Klub arbeitet. Man erwartet daher einige Zuschauer zum Duell. Ein Coup wie vor knapp 30 Jahren scheint allerdings in weiter Ferne, denn der Verein besteht nur aus Amateuren: «Einer von unserem Team war früher mal Profi. Aber unmöglich ist im Fussball nichts.»