Der ganze Kosovo brennt auf diesen Moment am Donnerstag, 6. Oktober, um 20.45 Uhr. Dann nämlich kommt es für den erst im Mai 2016 von der FIFA und UEFA anerkannten Fussballlandesverband zu einer weiteren Premiere: Denn die WM-Qualifikationspartie gegen Kroatien ist das erste offizielle Pflichtspiel des Kosovo zu Hause – wobei zu Hause ein grosser Begriff ist.
Weil im Kosovo selbst noch kein Stadion den Vorgaben der FIFA entspricht, findet die Partie in der albanischen Stadt Shkoder statt. Der kosovarische Nati-Verteidiger Alban Pnishi, der im Sommer 2015 vom FC Wohlen zu den Grasshoppers gewechselt hatte, sieht die Partie trotzdem als echtes Heimspiel: «Wir freuen uns riesig auf diese Premiere. Schon in Finnland war das Stadion zur Hälfte mit unseren Fans gefüllt. Die Stimmung war dort schon grossartig. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das erst am Donnerstag wird», sagt der 25-Jährige im Telefongespräch gegenüber der «Nordwestschweiz».
Das Loro Boriqi Stadion in Shkoder, in dem auch die albanische Nationalmannschaft ihre Heimspiele austrägt, wird voll besetzt sein, die 17'000 Tickets waren innert einer Stunde ausverkauft, wie der kosovarische Verband mitteilte. «Das zeigt, wie euphorisch die Bevölkerung im Kosovo nach unserer guten Leistung im Auftaktspiel (1:1 in Finnland, mehr dazu weiter unten; Anm. d. Red.) ist», sagt Pnishi.
Die «Aargauerzeitung» erreicht ihn am frühen Dienstagabend, kurz nach der Ankunft des Nationalteams in Shkoder. Eingerückt ist die Mannschaft am Montagmorgen in Prishtina. In der Hauptstadt des Kosovo, die nur rund drei Autostunden von Shkoder entfernt ist, trainierte das Team während zweier Tage vor zahlreichen Zuschauern, die den Spielern ihre Unterstützung demonstrierten.
Angesichts des hochkarätigen Gegners Kroatien mahnt Pnishi bei aller Euphorie zur Zurückhaltung in der Erwartungshaltung. «Es ist schön, dass man uns so viel zutraut. Aber wir müssen unbedingt auf dem Boden bleiben», sagt er. «Trotzdem: Wir gehen natürlich auf den Platz, um zu gewinnen. Ich bin sicher, dass wir ein sauberes Spiel abliefern werden.»
Seit Pnishi für die Nationalmannschaft des Kosovo im Einsatz steht, freut er sich jeweils auf die Nationalmannschaftspausen. «Das hat jetzt natürlich schon einen anderen Stellenwert, ist etwas Spezielles. Da freut man sich schon ein, zwei Wochen vorher drauf», sagt er.
Diese Freude beziehungsweise Vorfreude dürfte ein 16-jähriger Jüngling aus der B-Junioren-Mannschaft des FC Barcelona teilen. Labinot Kabashi ist sein Name. Der Mittelfeldspieler, dem eine grosse Zukunft prophezeit wird, steht zum ersten Mal im Aufgebot der kosovarischen Nationalmannschaft.
Der Name Kabashi war bisher nur Insidern bekannt. Das hat sich mit dem Aufgebot geändert. Plötzlich ist Kabashis Name in aller Munde. «Ich bin sehr stolz», lässt sich der Youngster auf der Webseite des FC Barcelona zitieren. «Ich habe zuerst gedacht, jemand würde mir einen Streich spielen. Aber dann habe ich herausgefunden, dass es wahr ist. Ich bin sehr glücklich.»
Noch glücklicher wäre er wohl gewesen, wenn er sich bei einem allfälligen Einsatz mit Ivan Rakitic, einem der Stars des Fanionteams seines FC Barcelona, hätte messen können. Doch dazu wird es nicht kommen. Denn der Aargauer Rakitic fehlt den Kroaten wegen einer Verletzung bei der Partie gegen den Kosovo.
Das Aufgebot für Kabashi zeigt einerseits, welch grosses Vertrauen der Kosovo-Nationaltrainer Albert Bunjaki in den 16-Jährigen hat. Andererseits ist es aber auch Ausdruck davon, wie aggressiv der noch sehr junge Verband um Spieler mit kosovarischen Wurzeln buhlt. Denn Kabashi ist zwar im Kosovo – genauer in Skëndraj im Norden des Landes – geboren, wäre aber auch für Finnland spielberechtigt, wo er einen Teil seines Lebens verbracht hat.
Immer wieder sorgte das Gebaren des kosovarischen Fussballverbandes in den vergangenen Wochen und Monaten für Schlagzeilen in den Schweizer Medien. Zuletzt sorgte der im Sommer von den Young Boys zu Ingolstadt in die 1. Bundesliga gewechselte Florent Hadergjonaj in diesem Zusammenhang für Aufsehen. «Der Kontakt mit dem Kosovo war da, mit dem Verband, mit dem Trainer, sie versuchen alles», sagte der talentierte Schweizer U21-Nationalspieler gegenüber blick.ch und fügte an: «Für mich ist klar, dass ich meinen Weg mit der Schweizer U21 abschliessen werde. Was danach kommt, ist offen.»
Auf jeden Fall vermochte der Kosovo zum Auftakt der WM-Qualifikation gleich Werbung in eigener Sache zu machen. Denn bei der Pflichtspiel-Premiere Anfang September errang das Team von Trainer Albert Bunjaki auswärts in Finnland sogleich seinen ersten Punkt. Nach frühem Rückstand erzielte Valon Berisha mit dem Ausgleich zum 1:1-Endstand vom Penaltypunkt den ersten Pflichtspieltreffer für sein Land.
Die weiteren Gegner des Kosovo neben Finnland und Kroatien sind Island, die Türkei und die Ukraine.