In der Dortmunder Fan-Szene gibt es eine Schlägergruppe, die «0231-Riot» genannt wird und zuletzt nicht nur durch Gewaltexzesse, sondern auch durch antisemitische Parolen auffiel. Offen mag sich kein BVB-Anhänger über die Gruppierung äussern. Spiegel Online sprach mit einem Dauerkartenbesitzer auf der Südtribüne, der das Treiben der «Riots» genau beobachtet. Er will aus Angst vor Vergeltungsaktionen anonym bleiben.
Das Auftauchen der Gruppe, die sich möglicherweise deshalb keinen offiziellen Namen gibt, um ein Verbotsverfahren zu erschweren, ist auch der Versuch die Zeit zurückzudrehen. Schliesslich haben es der Verein Borussia Dortmund und engagierte Fans in den vergangenen Jahren auch mit externer Hilfe geschafft, einige der notorischsten rechtsextremen Fans aus der Kurve zu drängen.
Viele von ihnen stammten aus dem Umfeld von Neonazi-Kameradschaften und schafften es durch medienwirksame Aktionen und die gezielte Einschüchterung nicht-rechter Fans, der Dortmunder Fanszene ein Image zu verpassen, gegen das sich der BVB – spät, aber dafür konsequent – seit einigen Jahren zur Wehr setzt. Damit die Arbeit der vergangenen Jahre nicht umsonst war, wendet sich «Juan» nun an die Öffentlichkeit.
Von wie vielen Leuten sprechen wir, wenn es um «0231-Riot» geht?
Juan: Der harte Kern umfasst etwa 40 Leute, die sich vor allem aus Abspaltungen der Ultragruppen «Jubos» und «Desperados» zusammensetzen. Mit ihrem Umfeld, zu dem auch Leute aus der Türsteherszene gehören, die mit Fussball eigentlich nichts zu tun haben, kommen sie vielleicht auf 60 Leute.
Das klingt vergleichsweise überschaubar bei so einer riesigen Fanszene wie der des BVB, wo allein 25'000 Fans auf der Südtribüne stehen.
Im Stadion stellen die auch kein grosses Problem dar, zumal viele von ihnen Stadionverbot haben und einige nie wieder ein Dortmunder Spiel live sehen werden. Aber ausserhalb, im Stadionumfeld und im Alltag, sind sie schon ein Problem. Es gibt in der Stadt niemanden, der sich unter seinem echten Namen zu dieser Gruppe äussern würde. Die haben das Gewaltmonopol. Da reicht in der Kurve auch schon mal der leise Hinweis, dass draussen ein paar Freunde sind, und schon muckt keiner mehr auf.
Was meinen Sie mit «Gewaltmonopol»?
Wir reden hier von Leuten, die seit Jahren wie die Berserker trainieren, und das sieht man ihnen auch an. Zudem bestehen prima Verbindungen zur «Northside». Das sind alteingesessene Hools, die wiederum gute Connections in die kriminelle Szene der Stadt haben. Die neue Gruppe hat in den vergangenen Monaten schon für Aufsehen gesorgt.
Zum Beispiel?
Nehmen wir unser Heimspiel gegen Hannover. Da sind Riot-Mitglieder auf der Suche nach den 96-Hools ziellos durch die Stadt gestromert und haben einen jungen Hannoveraner Fan getroffen, der offenbar auch noch aus dem Umfeld einer Ultragruppe kam.
Und was passierte dann?
Der Fan wurde erstmal für lange Zeit mitgeschleift. Und erst wieder freigelassen, als er den Aufenthaltsort von Hannoveraner Ultras verraten hat. Das ist alles schon echt kriminell.
Auch auf Schalke hat man offenbar seine Erfahrungen mit «0231-Riot» gemacht.
Nachdem es in Osnabrück zunächst zu Scharmützeln mit Kieler Fans gekommen war, sind sie entgegen der Anweisung der Polizei nicht in den Zug nach Dortmund gestiegen, sondern haben den nach Gelsenkirchen genommen, wo sie am Bahnhof prompt erwartet wurden. Da hatten dann beide Seiten, was sie wollten.
Stimmt es, dass es seither mehrere dieser «Ortsbesuche» in Gelsenkirchen gab?
Definitiv. Und mit all dem, was die unter «Action» verstehen, kann man junge unbedarfte Fans eben prima ködern. Die ziehen auf jeden Fall systematisch Jugendliche aus ihren Familien und ihren Freundeskreisen. Und in der Mitte ist mit Timo K. ein echter Menschenfänger. «Du brauchst keinen Schulabschluss zu machen», heisst es dann, «wir besorgen dir später einen gut bezahlten Job.»
Timo K., der vor Gericht stand, weil er im August 2012 ein Transparent ausgerollt hat, das «Solidarität »mit der verbotenen Neonazikameradschaft «Nationaler Widerstand Dortmund» gezeigt hat?
Genau der. Der geht aber an junge Menschen mit der Aussage heran, es seien nur linksradikale Fans und Gutmenschen, die ihn als Nazi bezeichneten. Er sei in Wirklichkeit gar nicht rechts.
Im Sonderzug zum Pokalfinale nach Berlin soll es zu antisemitischen Gesängen gekommen sein.
Eben. Aber wahrscheinlich würden diese Leute auch behaupten, dass es unpolitisch ist, von der «Judenfreundschaft» zwischen Schalke und Nürnberg zu sprechen. Darüber braucht man nun wirklich nicht zu diskutieren: Das sind einfach Rechte, die auf das Faustrecht setzen.
Im besagten Zug nach Berlin soll die Gruppe auch Bier verkauft haben, das eine andere Ultragruppe auf ihre Rechnung gekauft hatte. Doch das Geld haben sie selbst behalten. So macht man sich in der Szene doch nicht beliebt, oder?
Das stimmt wohl. Und bevor Sie fragen: Ja, es ist möglich, dass 30 Leute 870 einschüchtern. Die haben sich einfach szeneextern einen Ruf geschaffen, der szeneintern wirkt. Es geht aber auch darum, irgendwann wieder die Kurve in der Hand zu haben. Für utopisch halte ich das nicht: Die haben grossen Zulauf.
Dabei dachte man, dass die Dortmunder Fanszene eigentlich auf einem ganz guten Weg ist.
Die Leute im Zug haben eben geschwiegen, als der antisemitische Mist angestimmt wurde. Überhaupt hat die grosse Mehrheit der Fanszene, die keine Lust auf die Rechten hat, in den letzten Jahren ganz viel getan und sehr viel Positives bewirkt. Ich hoffe wirklich, dass es jetzt nicht wieder in die falsche Richtung kippt.