Im Gastgeberland Australien herrscht spätestens seit dem Halbfinaleinzug des Heimteams eine grossartige Stimmung. Bis zum Finalspiel am 20. August werden knapp zwei Millionen Zuschauende in den Stadien erwartet – noch nie lockte eine Fussball-WM der Frauen so viele Fans an. Wir werfen einen Blick auf die verbleibenden vier Teams und ihre aktuelle Form.
Nimmt man die WM-Historie als Massstab, ist Spanien der Kleine unter den letzten vier Teams. Der Frauen-Fussball benötigte eine Weile, bevor er sich im Land etablierte. An den ersten sechs Weltmeisterschaften waren die Spanierinnen nicht mal dabei, in diesem Jahr schafften sie es zum ersten Mal über den Achtelfinal (5:1 gegen die Schweiz) hinaus. Und doch wird Spanien hoch gehandelt. Denn zum einen spielt das Team des umstrittenen Nationalcoaches Jorge Vilda bisher mit Ausnahme des 0:4 im letzten, unbedeutenden Gruppenspiel gegen Japan an dieser WM gross auf. Zum anderen ist Spanien auf Juniorinnenenstufe schon längst die dominierende Nation: Aktuell hält die U19 den EM- und die U20 den WM-Titel. Auf U17-Stufe scheiterten die jungen Spanierinnen vor wenigen Wochen erst im EM-Final.
Im September letzen Jahres schien es, als würde der Haussegen im spanischen Team schief stehen. Gleich 15 Spielerinnen gaben gleichzeitig den Rücktritt aus der Nationalelf bekannt, darunter auch die wichtige Teamstütze Aitana Bonmati, die gegen die Schweiz im Achtelfinal getroffen hat. Grund für den Rückzug waren Differenzen mit dem Trainer Jorge Vilda, dessen Rücktritt von den Spielerinnen gefordert wurde. Der Verband sah aber von einer Entlassung Vildas ab, kam den Spielerinnen jedoch bei anderen Forderungen entgegen, woraufhin die meisten wieder ins Team zurückkehrten.
Es scheint, als hätten sich die Wogen im Team geglättet, und die Chancen, in einem WM-Final vorzustossen stehen für die Spanierinnen so gut wie noch nie zuvor.
Die Schwedinnen haben den eindrücklichsten Weg in den Halbfinal hinter sich: Mit den USA und Japan eliminierten sie zwei frühere Weltmeister und zwei der meistgenannten Titelfavoriten. Der WM-Titel wäre verdienter Lohn für das als «Goldene Generation» betitelte Team, das bereits an den letzten zwei WM- und EM-Turnieren, bis in den Halbfinal vorgestossen und bei den Olympischen Spielen in Tokio erst im Final an Kanada scheiterte. Obwohl die Skandinavierinnen seit je her im Frauen-Fussball vorne mitmischen, reichte es nur zu einem Titel: 1984 gewannen sie die allererste Europameisterschaft.
In der Vorrunde glänzte Schweden in einer relativ einfachen Gruppe mit 9 Punkten aus drei Spielen und einem Torverhältnis von 9:1. Mit Japan war mit Japan in der Vorrunde nur ein Team zwingender in der Offensive.
Die beiden überzeugenden Auftritte im Achtel- und Viertelfinal gegen ebenbürtige Gegnerinnen machen deutlich, dass die Schwedinnen den Spanierinnen die Aufgabe nicht leicht machen werden.
Australiens schwedischer Nationalcoach Tony Gustavsson war nach dem Penaltykrimi im Viertelfinal gegen Frankreich nicht danach, auf die Euphoriebremse zu treten: «Ich glaube, dieses Team kann die nächste Generation inspirieren, es kann ein Erbe hinterlassen, das viel grösser ist als Fussball.» Die Bilder und die Berichte aus Down Under unterstreichen die Worte des 50-Jährigen: Australien steht Kopf. Das Penaltyschiessen gegen Frankreich verfolgten über sieben Millionen Fans in Australien vor den Bildschirmen. Das letzte Mal, dass ein Sportevent im Land ähnlich viele Zuschauer in den Bann zog, war beim 400-m-Lauf von Cathy Freeman an den Olympischen Spielen in Sydney vor 23 Jahren. Auch ohne den zu Turnierbeginn verletzte Stürmerstar Sam Kerr in der Startformation überzeugen die Australierinnen. Seit der Schock-Niederlage gegen Nigeria in der Vorrunde kassierten die «Matildas» gegen Olympiasieger Kanada, Dänemark und Frankreich kein Gegentor mehr.
Mit Ausnahme vom Viertelfinal gegen Frankreich trafen die Australierinnen jedoch noch auf keinen Gegner von der Stärke Englands. Am Mittwoch wird sich zeigen, wie weit die Euphoriewelle die Matildas zu tragen vermag.
Den Engländerinnen läuft es, seit die Niederländerin Sarina Wiegman Nationalcoach ist: In 37 Spielen mussten die «Lionesses» nur einmal als Verliererinnen vom Platz, im letzten Sommer holten sie bei der Heim-EM ihren ersten grossen Titel. In Australien und Neuseeland hielten sie sich bislang im Turnier, ohne spielerisch überzeugen zu müssen – im Achtelfinal zum Teil in Unterzahl und dank dem gewonnenen Penaltyschiessen gegen Nigeria.
Englands Frauen strahlen – anders als ihre männlichen Kollegen – ein gewisses Selbstverständnis aus. Dabei spricht durchaus das eine oder andere vor dem Halbfinal gegen sie: Die einzige Niederlage in der zweijährigen Amtszeit von Wiegman gab es vor vier Monaten ausgerechnet gegen Australien, die Resultate in diesem Jahr sind nicht weltmeisterlich und mit Lauren James fehlt dem ohnehin verletzungsgeplagten Team am Mittwoch eine weitere wichtige Stütze gesperrt.
Die Engländerinnen werden im Halbfinal gegen Australien im Stadium Australia, wo am 20. August auch das Finalspiel stattfindet, wenige Fans auf ihrer Seite haben. Spielerisch haben sie aber alles, was es für eine Finalteilnahme braucht.
(kat/sda)