Draussen ist es Hochsommer und der Start der Eishockey-Saison scheint in weiter Ferne zu liegen. In der Eishalle des Spitzensport-Zentrums OYM in Cham fühlt es sich aber an, als hätten wir kurz zwei Monate übersprungen und wären direkt in den Frühherbst katapultiert worden: In der grauen Betonhalle herrschen perfekte Eishockeybedingungen.
Das Geräusch der Schläger, die auf dem Eis aufschlagen, vermischt sich mit den Rufen des Trainers, der Anweisungen gibt. Auf dem Eis kurven Eishockeyspielerinnen in Vollmontur herum und spielen sich den Puck hin und her. Hinter den Gittervisieren verstecken sich bekannte Gesichter. Mit Lara Stalder, Lena-Marie Lutz, Noemi Ryhner und Nadine Hofstetter befinden sich gleich vier aktuelle Nati-Spielerinnen auf dem Eisfeld. Doch was machen vier der besten Schweizer Hockeyspielerinnen beim EVZ in der zweithöchsten Frauenliga?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, müssen wir kurz in den Januar 2023 zurückspringen. Damals kündete der EVZ das «Women & Girls Programm» an, welches «nicht nur ein Team auf semi-professionellem Level vorsieht, sondern die Förderung des Mädchen-Eishockeys über alle Stufen hinweg anstrebt, angefangen bei der Hockeyschule».
Mit dem HC Ambri-Piotta, dem HC Lugano und den ZSC Lions sind bereits drei National-League-Teams mit einer Frauenmannschaft in der Women's League, der höchsten Liga der Frauen, vertreten. Auf die kommende Saison hin übernimmt zudem der HC Davos die Thurgau Indien Ladies, die nun als HC Davos Ladies um den Titel kämpfen, und aus Bomo Thun werden die SC Bern Frauen.
Auch der EV Zug wagt nun seine ersten Schritte im Frauenhockey, statt Schritt für Schritt wollen die Innerschweizer aber in grossen Sprüngen vorankommen. Gemeinsam mit Trainerin Daniela Diaz soll ein Team aufgebaut werden, das in der höchsten Schweizer Liga mithalten kann. Die Zugerinnen gehen dabei einen ganz eigenen Weg. Damit die Spielerinnen mehr Zeit in den Sport investieren können, sind sie 40 Prozent beim EVZ angestellt.
Dies hat zum Vorteil, dass das Team am Nachmittag trainieren kann und nicht erst am späten Abend, wie das bei Frauenteams oftmals der Fall ist. Die Spielerinnen sollen dabei auch vollumfänglich von der Infrastruktur der Männer profitieren können. In der Bossard Arena steht dem Team um Diaz eine eigene Garderobe zur Verfügung, die Trainerin hat zudem ihr eigenes Büro – eine Selbstverständlichkeit ist das in der Frauen-Szene im Schweizer Eishockey auch im Jahr 2023 nicht.
Obwohl die Innerschweizerinnen als neues Team in der zweithöchsten Liga einsteigen müssen, haben sie bereits von Anfang an Topspielerinnen in ihren Reihen. Mit Lara Stalder konnten sie eine der besten Stürmerinnen der Schweiz, vielleicht sogar der Welt, verpflichten. Stalder ist überzeugt vom Zuger Modell: «Wie wir es hier machen, ist einzigartig. Wir sind Pionierinnen und bringen einen neuen Standard ins Eishockey. Seit wir im Januar kommuniziert haben, dass wir das so machen, hat es schon Früchte getragen. Davos hat auch investiert und will ähnliche Strukturen aufbauen.»
Halbprofessionelle Bedingungen mit Trainings am Nachmittag, das mache sonst in der Schweiz niemand. Man stelle sich vor: «Die ZSC Lions sind Meister und trainieren am späten Abend, haben keine fixe Garderobe. Das sind schon ganz andere Voraussetzungen», meint Stalder.
In sportlicher Hinsicht könnte man Stalders Wechsel zum EVZ durchaus als Rückschritt bezeichnen. Die 28-jährige Luzernerin, die zuletzt beim schwedischen Playoff-Finalisten Brynäs IF unter Vertrag stand, sieht ihre Rückkehr in die Schweiz aber positiv: «Ich habe jetzt zehn Jahre im Ausland gespielt. Logisch hätte ich noch einige Jahre weiterspielen können, aber ich bekam hier diese einzigartige Möglichkeit.»
In Zug spüre man tagtäglich, dass das Motto lautet: «Entweder machen wir es ganz oder gar nicht.» Das Team kann von den aufgebauten Strukturen profitieren. Stalder zeigt sich aber geduldig: «Sicher braucht das viel Zeit, es ist ein Prozess. Aber es ist umso schöner, von Anfang an dabei zu sein und zu sehen, was man erreichen kann, wenn man die Strukturen hat.»
Frauen spielen zwar schon lange Eishockey, was die Struktur und die Förderung angeht, steckt der Sport in der Schweiz aber noch in den Kinderschuhen. Das Schweizer Nationalteam rangiert in der IIHF-Rangliste auf Platz vier und konnte an den Olympischen Spielen 2014 die Bronzemedaille gewinnen. Ergo gehören die Schweizerinnen mindestens zur erweiterten Weltspitze, müssen aber noch immer ins Ausland weiterziehen, wenn sie professionelle Strukturen suchen.
Dass es in der Schweiz im Frauenhockey noch viel Potenzial nach oben gibt, weiss auch Lara Stalder, die aufgrund ihrer Zeit in Schweden einen direkten Vergleich ziehen kann.
Einen Grund dafür, weshalb das Frauenhockey im hohen Norden weiter entwickelt ist als in der Schweiz, sieht sie einerseits darin, dass Schweden mit einem starken Sozialstaat in Sachen Gleichstellung im Allgemeinen weiter ist als die Schweiz. Aber auch im Stellenwert, den das Eishockey dort geniesst: «Im Playoff-Final hatten wir letztes Jahr ein ausverkauftes Stadion und das schwedische Pendant zu MySports überträgt alle Spiele.»
Dieser Stellenwert, den in Schweden im Gegensatz zur Schweiz auch das Frauenhockey geniesst, so Stalder, komme aber nicht von ungefähr: «In Schweden wird schon lange viel in das Hockey der Frauen investiert. Viele Mädchen spielen Eishockey, es gibt auch eine Juniorinnenliga. Man sieht, wie der Sport Schritt für Schritt besser wird.» Bei der U18-WM waren die Schwedinnen im Final, die Schweizer U18 kämpfte gegen den Abstieg. Für Stalder ist das ein klares Indiz dafür, dass es in der Schweiz an Breite fehlt.
Stalder moniert: «Es ist ja nicht Rocket Science. Wenn man das Frauenhockey weiterentwickeln möchte, wäre das nicht schwierig, die ganzen Strukturen hat man ja schon vom Männerhockey.» Irgendwann brauche es auf jeder Stufe die gleichen Voraussetzungen, wie sie die Jungs haben. Dann wäre die Schweiz auf einem guten Weg.
Aber nun tut sich etwas im Schweizer Eishockey. Die Zugerinnen erhoffen sich, mit diesem Projekt das Eishockey bei den Frauen voranzubringen und anderen Vereinen als Vorbild zu dienen.
Was die sportlichen Ziele des neu gegründeten Teams für die anstehende Saison betrifft, stehen laut Stalder nicht weniger als drei Titel auf der To-do-Liste: «Mit unseren Voraussetzungen und unserem Kader wäre alles andere als der Aufstieg eine Enttäuschung. Ich denke, es ist machbar, wir haben super Voraussetzungen.» Auch im Schweizer Cup und in der European Women’s Hockey League (Teilnahme durch Anmeldung) wollen die Zugerinnen um den Sieg spielen: «Wir haben also drei grosse Ziele.»
Zwischen 1990 und 2007 hatte der EVZ schon einmal ein Frauenteam. Als sich die erfolgreichen Zugerinnen 2004 für das Europacup-Finale in Stockholm qualifizierten, konnte oder wollte der Verein die 9500 Franken für die Reise jedoch nicht berappen, also suchten die Spielerinnen auf eigene Faust nach Finanzierungsmöglichkeiten. Heute weht in Zug ein anderer Wind. Mit einem Budget von 1,2 Millionen Franken und Spielerinnen wie Lara Stalder im Rücken hat das Projekt tatsächlich das Potenzial, das Fraueneishockey in der Schweiz nachhaltig zu verändern.