Wird Xherdan Shaqiri rechtzeitig für das Endspiel um den Achtelfinal gegen Serbien fit? Es ist die Frage, die das Schweizer Lager in Katar derzeit umtreibt.
Am Montag gegen Brasilien fehlt Shaqiri, weil er ein Ziehen im rechten Oberschenkel verspürt. Am Dienstag nach den Belastungstests ist der Optimismus gross. Nun, am Mittwoch kurz nach 17:00 Uhr Ortszeit in Doha, hat sich die Lage verändert. Shaqiri kann zwar das gesamte Training bestreiten. Aber wie CH Media weiss, ist sich die medizinische Abteilung der Nati nicht mehr so sicher, ob der Optimismus vom Dienstag berechtigt war. Das grosse Zittern beginnt.
Djibril Sow ist es, der die Fragen der Reporter diesmal beantwortet. Er wechselt rasant hin und her zwischen Deutsch, Französisch und Englisch. Als wir ihn auf Shaqiri ansprechen, sagt er:
Das erste Schweizer WM-Spiel gegen Kamerun taugt bestens als Beispiel: Shaqiri zeigt keine gute erste Halbzeit. Er wirkt behäbig, man fragt sich: War die sechswöchige Pause nach dem Saisonende in den USA doch zu lang? Aber dann kommt er plötzlich, der geniale Moment. Pass auf Embolo, Tor, Sieg, Jubel über Shaqiris Magie.
Und jetzt, gegen Serbien? Magie oder Muskelverletzung?
Das Hoffen auf Shaqiri im entscheidenden Moment ist Kraft der Vergangenheit gut begründet. Seit 2014 hat es die Nati vier Mal in Serie in den Achtelfinal geschafft. Meistens unter komplizierten Umständen. Und stets hatte Shaqiri entscheidenden Anteil. Es ist fast schon ein Gesetz: Wenn es für die Nati an einem grossen Turnier um Alles geht, kann sie sich auf Shaqiri verlassen.
2014, WM in Brasilien: In den Spielen gegen Ecuador (2:1) und Frankreich (2:5) ist Shaqiri unsichtbar. Gegen Honduras ist der Druck riesig – und Shaqiris Reaktion eindrücklich, sein Hattrick bringt die Schweiz in den Achtelfinal.
2016, EM in Frankreich: Schweiz-Albanien heisst das wegweisende Spiel gleich zu Beginn. Nach vier Minuten, Eckball Shaqiri, Kopfball Schär, 1:0. Sieg. Der Achtelfinal kann kommen.
2018, WM in Russland: Das legendäre Spiel gegen Serbien. Als alle schon mit einem Unentschieden rechnen, sprintet Shaqiri los. Der magistrale Pass von Gavranovic findet den Weg zu ihm. Shaqiri läuft und läuft – und schiebt zum 2:1 ein. Wieder ist die Nati im Achtelfinal.
2021, EM in ganz Europa: Vieles liegt im Argen. Ein maues 1:1 gegen Wales zu Beginn. Danach das indiskutable 0:3 gegen Italien. Gegen die Türkei bietet sich eine letzte Chance zur Auferstehung. Wieder ist Shaqiri magistral. Er schiesst zwei Tore beim 3:1.
Nicht selten waren die Fragezeichen um ihn gross vor einem Turnier. Wie fit ist er? Leidet er unter der wenigen Spielzeit? Auch vor dieser WM gab es Fragen. Aber nicht wegen Verletzungen und Einsatzminuten. Sondern wegen Shaqiris Wechsel im Februar in die Major League Soccer. Nach fast zehn Jahren bei Bayern München, Inter Mailand, Stoke City, Liverpool und Lyon heisst Shaqiris neuer Klub Chicago Fire.
Bei seiner Vorstellung Ende Februar sagt er: «Man darf die MLS nicht unterschätzen, die Zeiten, in denen nur 35- oder 36-jährige Altstars nach Amerika wechseln, sind vorbei.» Zehn Monate später, als sich Shaqiri nach Saisonende in Lugano für die WM fit hält, sagt er: «Ich bin zufrieden mit der ersten Saison.» Und als er nach seiner sechs wöchigen Pause gefragt wird, antwortet er lachend: «Ich vergesse schon nicht, wie man einen Ball spielt und schiesst.»
Anruf nach Chicago. Am Telefon ist Georg Heitz, der Sportdirektor von Chicago Fire hat Shaqiri vom Wechsel in die MLS überzeugt. «Es war ein Entscheid, der sein Leben natürlich sehr beeinflusst hat», erzählt Heitz. «Er hat hier schon einige Vorteile im Vergleich mit Europa. Er kann sich absolut frei bewegen. Er geniesst es, einfach mal in ein Café sitzen zu können und Ruhe zu haben.»
Wobei das nun nicht bedeutet, dass Shaqiris Bekanntheitsgrad in Chicago kleiner sei. «Die Leute kennen ihn. Er ist eine Marke.» Shaqiri ist von allen Sportlern in Chicago jener mit der drittgrössten Reichweite auf Social Media. Nur die beiden Basketballer DeMar DeRozan und Lonzo Ball von den Chicago Bulls sind noch vor ihm.
8,16 Millionen Dollar verdient Shaqiri pro Jahr. Dass die Löhne öffentlich sind, stört ihn gar nicht. «in Amerika ist deswegen viel weniger Neid und Gerede», sagte Shaqiri im September der NZZ.
Als «gut» bezeichnet Sportdirektor Heitz Shaqiris erstes Chicago-Jahr. «Wobei es bei vielen Top-Spielern, die aus Europa nach Amerika kommen, auffällig ist, dass sie im zweiten Jahr viel besser sind als im ersten.» Es braucht eine gewisse Zeit, bis man sich den Gegebenheiten der MLS angepasst hat. «Manchmal spielt man am Mittwoch im kühlen Chicago und dann am Samstag in Orlando bei 35 Grad, das ist anspruchsvoll. Darum ist klar, auch Shaqiri kann und wird sich noch steigern. Das muss er auch, wenn wir die Playoffs nächste Saison erreichen wollen.»
Viel Freude bereitet Heitz, wie sich Shaqiri neben dem Platz gibt. «Er hält in der Garderobe feurige Ansprachen. Er kümmert sich ausführlich um die jungen Spieler. Und er erfüllt nach jedem Spiel unzählige Wünsche - Sie müssen wissen, egal wo wir spielen, es gibt in jedem Stadion einen Shaqiri-Fanclub.»
Bevor sich Heitz verabschiedet, sagt er noch: «Etwas dürfen wir nicht vergessen: Es ist immer noch speziell, was Shaqiri mit dem Ball anstellt.»
Am Freitag gegen Serbien wäre wieder einmal der passende Moment dafür. Fragt sich nur: Lassen es seine Muskeln auch zu? (aargauerzeitung.ch)