Eigentlich war es ein Moment des grossen Triumphs. Ein Moment, der Vladimir Petkovic so viel geben könnte. Freude, Erleichterung, Genugtuung auch. Ein rauschendes 5:2 gegen Belgien, dieses hochgelobte Team voller Weltklasse – wann gibt es das schon?
Aber so ist das nicht. Wer am Sonntag kurz vor Mitternacht in die blauen Augen dieses Trainers blickt, sieht denselben Menschen wie stets. Vladimir Petkovic ist immer Vladimir Petkovic. Das bedeutet: kontrolliert. Souverän. Nicht gerade gefühlslos. Aber doch so, als würde einem sein Körper mit jeder Faser sagen wollen: Nichts passiert! Alles normal! Nur keine Aufregung jetzt.
Natürlich hat das einen Grund. Petkovic hat Wochen und Monate hinter sich, die wieder einmal geprägt waren von grossen Gefühlsschwankungen. Das Nationalteam pendelt mit grösster Regelmässigkeit zwischen totaler Euphorie und kompletter Ernüchterung. Garniert mit einer Prise Unverständnis. So war das im Jahr 2018.
Immer mittendrin: Vladimir Petkovic. Aber eben häufig doch nicht ganz dabei. Als die Schweiz über Doppeladler diskutierte – kein Votum. Als seine Fussballer gegen Schweden den Achtelfinal verloren – keine Erklärungen. Als kurz darauf nur noch die Doppelbürger Thema waren – erst recht kein Ton. Petkovic liess es zu, dass die Schweiz das Bild eines Nationaltrainers bekam, der im Begriff war, seinem Land mit Gleichgültigkeit zu begegnen. Das Bild hat sich nur verstärkt, als im Sommer Valon Behrami aus dem Nichts zurücktrat. Umbruch? Neue Reize? Die beiden redeten aneinander vorbei. Es bleibt eine rätselhafte Geschichte.
Was bedeutet dieser grosse Schweizer Sieg nun für ihn, lautet die Frage an Petkovic. Er überlegt, seufzt. Sagt dann: «Es tut mir Leid, dass ich so antworten muss. Aber: Wir haben keinen negativen Trend gesehen. Wie das von ausserhalb wahrgenommen wird, das kann eben passieren. Pfeifen, klatschen, hin und her. So ist es eben manchmal.» Es ist eine Antwort, die tief blicken lässt. Petkovic verteidigt sein Team. Er spürt, dass Misstrauen da ist. Besonders nach einem Jahr wie diesem, mit Doppeladler-Jubel, Doppelbürger-Debatte, Rücktritten, sportlichen Höhenflügen und Tiefpunkten. Manchmal denkt man: Wie lange tut er sich das noch an?
Doch wie sehr werden Petkovic und sein Nationalteam tatsächlich ungerecht behandelt? Tatsache ist: Am Tag vor dem Spiel wird Granit Xhaka an der offiziellen Medienkonferenz von einer Gratiszeitung gefragt, ob Petkovic das Team noch hinter sich wisse. Am Tag des Spiels schreibt der «Sonntagsblick»: «Es braucht einen neuen Nationaltrainer. Einer, der Teil von Aufbruchstimmung ist.» Es scheint einiges Glas zerschlagen.
Es sind Dinge, die nicht spurlos an Petkovic vorbeigehen. Was er dachte, als die Schweiz kurz nach Spielbeginn gegen Belgien bereits im Rückstand geriet, will die Journalistin wissen, die vor dem Spiel Xhaka nach dem Rückhalt des Trainers befragte. Der Nationaltrainer sagt: «Ich dachte: Also diese Mannschaft steht wirklich nicht hinter dem Trainer! Was soll ich nur machen?» Petkovic bleibt Petkovic. Ein kleines Lächeln ist Zeichen dafür, wie zufrieden er mit seiner Selbstironie ist.
Eines wurde ziemlich offensichtlich an diesem turbulenten Sonntagabend in Luzern. Petkovic ist Herr dieses Teams. Wäre er das nicht, hätte das Spiel eine andere Wendung genommen. Aus einem frühen 0:2 ist in manchen Fällen auch schon ein 0:5 geworden. Anstatt der Demütigung folgte die wundersame Wende. Mit Petkovic in der Hauptrolle, der die Taktik umstellte. Und mit Spielern, die von Minute zu Minute mehr an sich glaubten. «Respektlos» nannte Xherdan Shaqiri hinterher die anhaltende Kritik am Trainer.
Die Fragen nach dem letzten Nati-Spiel 2018 lauten: Wie viel ist dieser Sieg für die Zukunft wert? Und darf man deswegen die Vergangenheit einfach so verdrängen?
Wer den WM-Halbfinalisten und Weltranglistenersten nach einem 0:2 noch 5:2 schlägt, verfügt über viel Moral und Willen. Doch eines ist auch gewiss: Die Schweiz ist darauf angewiesen, dass alle Schlüsselspieler gleichzeitig gut in Form sind. Die Schweiz braucht also einen Wirbler Shaqiri, einen Strategen Xhaka, einen «falschen Spielmacher» Rodriguez und einen Torjäger Seferovic, einen Hexer Sommer. Dazu eine stabile Innenverteidigung. Erst dann können andere wie Mbabu, Edimilson oder Freuler über sich hinauswachsen.
Das tönt nach viel. Und das ist es auch. Denn dieses Jahr 2018 hat auch gezeigt, wie schnell das Kartenhaus zusammenbrechen kann. Sobald zu viele Spieler der ersten Garde fehlen, fehlen Schwung und Selbstverständnis. Dann heisst es plötzlich 0:1 gegen Katar.
Und Petkovic? Man wünscht sich einen Nationaltrainer, der mit genau so viel Verve über gesellschaftliche Themen diskutiert, wie er am Sonntag an der Seitenlinie steht und seinen Spielern taktische Varianten erklärt. Man wünscht Petkovic einen Berater, von dem er sich tatsächlich auch beraten lässt. Der Mensch Vladimir Petkovic hat eine wunderbare, sanfte und humorvolle Seite. Es schadet ihm nicht, wenn er sie etwas häufiger zeigt. Vielleicht fällt ihm das in Zukunft ja etwas leichter. Die Hoffnung bleibt. (aargauerzeitung.ch)
Auch toll die Feststellung im Artikel: "Die Schweiz ist darauf angewiesen, dass alle Schlüsselspieler gleichzeitig gut in Form sind"
Bei welchem Land ist das nicht so? Wenn Schlüsselspieler von Frankreich, Deutschland, Spanien usw. ausfallen oder nicht in Form sind, dann verlieren die auch Spiele von denen man eigentlich erwartet hätte, dass sie diese gewinnen.
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Aber was will man schon von 20 Min. Ruefer Blick etc. pp schon erwarten? Die Befeuerung frustrierter Psalm singender Wutbürger nicht mehr und nicht weniger. Und nein, Petkovic braucht keinen Berater, er ist Nati-Trainer, kein Clown und dazu noch der Erfolgreichste, Punkt