Bei der Fifa läuft alles sauber – Ungereimtheiten bei der Vergabe der Fussball-WM an Russland (2018) und Katar (2022) gab es nicht: Zu diesem Schluss kam die von Fifa-Präsident Sepp Blatter eingesetzte interne Ethikkommission.
Doch an dieser Darstellung gab es massive Zweifel. Nun zeigt auch die aufwändige Dokumentation der ARD, «Der verkaufte Fussball»: Von einem Neuanfang kann keine Rede sein.
Fünf Monate recherchierten die Journalisten Jochen Laufgens und Robert Kempe und präsentieren in ihrer Doku eine korrupte, rücksichtslose und reformunwillige Organisation. Während der ganzen Zeit lehnte Sepp Blatter, der Ende Mai entgegen früherer Beteuerungen zur Wiederwahl antritt, Interview-Anfragen ab – angeblich aus Zeitmangel.
Eine einzige kritische Frage können ihm die Reporter stellen. Anschliessend werden sie von Gefolgsleuten massiv beschimpft.
Die Doku kann man nur in Deutschland oder mit VPN in der ARD-Mediathek ansehen – deshalb hier die wichtigsten Punkte:
Recherchen der Journalisten ergaben, dass bei den WM-Arbeiten in Russland laut einem eigens geschaffenen «Fifa-Gesetz» Arbeitsrechte ausgehebelt werden. Und zwar nicht etwa auf Geheiss Russlands: Die Fifa verlangt es in einem Vertrag ausdrücklich, wie ein internes Dokument der Organisation zeigt.
«Wenn dieses Gesetz bleibt, bedeutet das, dass diese Arbeiter an ihre Arbeitgeber versklavt werden», erklärt die Generalsekretärin des internationalen Gewerkschaftsbundes, Sharan Burrow, im Interview. «Das Gesetz hilft uns, die Vorgaben der Fifa einzuhalten», heisst es beim russischen Verband.
Auch in Katar sind die Zustände der Arbeiter untragbar. Gastarbeiter sind schlecht bezahlt und wohnen auf engstem Raum zu katastrophalen hygienischen Bedingungen, wie ein Augenschein vor Ort zeigt.
Die Journalisten haben eine Familie in Nepal besucht, deren 19-jähriger Spross bei einem Unfall auf einer Baustelle in Katar umgekommen ist. Für die Spitalkosten mussten sie Tausende Dollar Schulden aufnehmen. Vom Arbeitgeber haben sie nie etwas gehört oder bekommen. Schätzungen zufolge soll es noch 4000 weitere Tote bis zur WM geben.
Phaedra Almajid war die Pressechefin von Katars WM-Bewerbung. Nach eigenen Angaben wurde sie am Rande eines Fifa-Kongresses in der angolischen Hauptstadt Luanda Zeugin, wie drei Mitgliedern des Exekutivkommittees Millionenbeträge angeboten wurden – im Gegenzug für eine Stimme.
«Das erste Angebot war eine Million Dollar», sagt Almajid. «Das wurde nicht akzeptiert, also ging es hoch auf 1,5 Millionen. Und das war dann okay.» Almajid sei Teil einer vierköpfigen Delegation Katars gewesen. «Ich war die einzige im Raum, die erschrocken war», sagt sie in der Doku. «Alle anderen waren nicht einmal überrascht, sondern sehr offen für solche Dinge.»
Almajid hatte ihre Anschuldigungen zeitweise zurückgezogen – aus Angst, wie sie sagt. «Das reichste Land der Welt drohte mir, ich war in Panik.» Heute steht sie wieder zu ihren Aussagen, wie sie vor der Kamera bestätigt.
Einer der mutmasslich bestochenen ist Amos Adamu. Er hat schon einmal Geld für eine Stimme angenommen und durfte dafür drei Jahre keine Ämter bekleiden. «Nach drei Jahren bin ich zurück. Es ist wie im Fussball. Du bekommst eine rote Karte, wirst zwei Spiele gesperrt, dann kommst du zurück», sagt er.
Ob er von Katar Geld für eine WM-Stimme erhalten habe? «Ich war nicht da. Ich war noch nie da», antwortet Adamu. Das ist eine Lüge. Bilder beweisen, dass sich der Nigerianer sehr wohl an der besagten Konferenz aufgehalten hat.
Bei einem Kongress der afrikanischen Konföderation CAF gelingt es den ARD-Journalisten, ihre einzige Frage an Sepp Blatter zu stellen. Sie sprechen ihn auf den CAF-Präsidennten Issa Hayatou an, der unter Korruptionsverdacht steht. Sie fragen Blatter, wie er einen Reformprozess anstossen, wolle, wenn er gleichzeitig mit Leuten wie Hayatou zusammenarbeite.
Blatter antwortet: «Das ist eine absolut ekelhafte Erklärung. Ich weise das zurück und werde darauf nicht Eingehen. Ich spreche über Solidarität und Fair Play.» Eine Folgefrage ignorierte Blatter.
«Es war für ihn Wahlkampf», sagt der Filmemacher Robert Kempe in einem Interview mit sportschau.de. Und der zweite Journalist Jochen Leufgens fügt hinzu: «Das war das Beste, was ihm passieren konnte. So kann er seine Loyalität denen demonstrieren, die ihm die Stimmen garantieren.»
Nach der Pressekonferenz kamen Gefolgsleute des beschuldigten Hayatou zu einem der Journalisten, rempelten ihn an und sagten: «Sie sind ein Arschloch, verpissen sie sich.»
Auch die Schweiz ist ein Thema in der Dokumentation: Die laschen Regulierungen erlauben der Fifa ein Dasein als nicht-profitorientierte Organisation, die von Steuern befreit ist, so die Reporter. Trotz eines Rekordumsatzes von 3,3 Milliarden Dollar nach der WM in Brasilien zahlt die Fifa gerade mal 17 Millionen Franken Steuern im Jahr.
SVP-Nationalrat Maximilian Reimann, ein Fifa-Verteidiger, sagt dazu: «Es soll doch nicht sein, dass die ohnehin reiche Schweiz noch mehr Steuermittel der Fifa abzwackt, und diese Gelder dann in der dritten Welt fehlen. Das würde ja kein Mensch verstehen.»
Anders sieht das SP-Nationalrat Cédric Wermuth: «Die Fifa ist definitiv zum Standortproblem der Schweiz geworden. Sie ist ein Grund dafür, dass die Schweiz international als Regulierungswüste gilt. Als Ort, an dem man unbehelligt dubiose Geschäfte machen kann.»
Das Parlament sieht offenbar keinen Handlungsbedarf. Die JUSO-Petition «Schluss mit der Steuerbefreiung für die Fifa» wurde 2011 deutlich abgelehnt.
Die Dokumentation zeichnet ein Bild von einem Geflecht aus Freundschaften und Abhängigkeiten, das das System Fifa am Leben hält. An der Spitze: Sepp Blatter. Sollte er am 29. Mai wiedergewählt werden, und das scheint sehr wahrscheinlich, wird es wohl so weitergehen.
Die renommierte Antikorruptionsexpertin Alexandra Wrage wurde von der Fifa gebeten, den Reformprozess mitzugestallten, stellte aber bald fest, dass alles nur Fassade gewesen sei. Ihr Fazit: «Die Fifa ist mit Blatter nicht zu retten.»
N.F.