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Interview: Darum gibt Aline Danioth nach 4 Kreuzbandrissen nicht auf

Die verletzte Schweizer Skirennfahrerin Aline Danioth anlaesslich eines Mediengespraech zu ihrer Gesundheit im Hotel Terrace am Samstag, 15. April 2023 in Engelberg. (KEYSTONE/Urs Flueeler).
Hat die Kreuzband-OP gut überstanden und blickt hoffnungsvoll in die Zukunft: Aline Danioth.Bild: keystone
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«Eine Woche geweint»: Trotz 4 Kreuzbandrissen ist Aufgeben für Aline Danioth keine Option

Nach einer weiteren schweren Verletzung hat die 25-Jährige Halt und Trost bei ihrem Umfeld gefunden. Beim Weg zurück in den Weltcup will Aline Danioth nichts überstürzen.
06.07.2023, 08:10
Philipp Zurfluh / ch media
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Gällivare in Schweden: Jener Ort, an dem Aline Danioth den nächsten Rückschlag in ihrer noch jungen Karriere verkraften musste. Schon wieder das Knie: Im März 2023 reisst sich die 25-Jährige im Europacup-Riesenslalom zum vierten Mal das Kreuzband. Bei diesem Verletzungspech positiv zu bleiben, ist alles andere als selbstverständlich.

«Mir geht es megagut», sagt die Urnerin heute, die wieder viel Lebensfreude ausstrahlt. So, wie man sie eben kennt. Nach dem ersten operativen Eingriff im März, folgte vor drei Wochen der zweite. Im Interview verrät die Slalom-Spezialistin, weshalb sie auf psychologische Unterstützung verzichtet hatte und verrät, unter welchen Umständen sie ihre Laufbahn als Skirennfahrerin beenden würde.

Sie wurden im Februar beim WM-Slalom in Méribel Sechste. Schmerzt die Verletzung besonders, weil Sie der Weltspitze so nahe waren?
Aline Danioth:
Ja und nein. Ich hätte mir nicht erträumt, dass ich bei Olympia Zehnte werde und an der WM Sechste. Und dann kommt plötzlich der nächste Schlag ins Gesicht. Andererseits gaben mir die Resultate die Gewissheit, dass ich mit den Besten mithalten kann. Die ersten Tage nach der Verletzung waren sehr schlimm. Ich habe eine Woche lang geweint. Alle Emotionen mussten raus. Aber dann stellte ich mir die Frage: Geht es mir besser, wenn ich jeden Tag Tränen vergiesse? Ich konnte die Situation eh nicht ändern und raffte mich auf.

«Wie für viele dient Roger Federer als Inspirationsquelle. Als ich seine Botschaft gelesen habe, konnte ich es kaum glauben.»

Was ging Ihnen beim Sturz durch den Kopf? Hofften Sie auf eine weniger schwerwiegende Verletzung?
Zunächst hatte ich noch leise Hoffnung, dass nur das Aussen- oder Innenband betroffen ist. Aber mir wurde rasch klar, dass es das Kreuzband ist. Wenn man schon dreimal dieselbe Verletzung erlebt hat, weiss man, wie es sich anfühlt.

Bald ist Aline Danioth die Krücken los.
Bild: stefan kaiser/ch media

Nach Ihrer Verletzung haben Sie geschrieben: «Es fühlt sich an wie in einem Albtraum». Wie lange dauerte es, bis Sie aus diesem Albtraum aufgewacht sind?
Glücklicherweise war er von kurzer Dauer. Mit der Zeit habe ich vergessen, dass ich verletzt bin.​

Viele Fans sowie die Sportprominenz liess Ihr Schicksal nicht kalt. Sogar Roger Federer hat sein Mitgefühl ausgedrückt.
Das war überwältigend. Wie für viele dient Roger Federer als Inspirationsquelle. Als ich seine Botschaft gelesen habe, konnte ich es kaum glauben. Auch der Support von Konkurrentinnen aus dem Ski-Weltcup war gross. Es gibt Athletinnen und Athleten, die sich noch heute bei mir nach meiner Gesundheit erkundigen. Das bedeutet mir viel und gibt mir Kraft.

Sie haben im Mai einen dreiwöchigen Roadtrip durch die USA gemacht. Konnten Sie komplett abschalten?
Es war eine spontane Idee, aber das Beste, was ich machen konnte. Das Reisen hat mir seelisch unglaublich gutgetan. Obwohl ich ohne Kreuzband unterwegs gewesen bin, war ich schmerzfrei, was auch nicht selbstverständlich ist.

Sie gingen auch Ihrem Hobby nach, dem Surfen. Bestand kein Risiko, sich zu verletzen?
Ich war vorsichtig, ging kein unnötiges Risiko ein und surfte nicht auf den grössten und stärksten Wellen.

«Soll ich mich jeden Tag bemitleiden? Das tut mir nicht gut.»

Auf den Fotos, die Sie in den sozialen Medien publizieren, strahlen Sie pure Glückseligkeit aus. Widerspiegelt das auch Ihren Gemütszustand?
Absolut. Ich spielte überhaupt nichts vor. Schwieriger wird es wohl, wenn die neue Saison startet und ich zuschauen muss. Ich finde, es ist auch eine Frage der Einstellung. Negative Gedanken helfen mir in einer schwierigen Phase nicht weiter.

Sie sind jemand, der immer versucht, das Positive im Leben zu sehen. Wie schaffen Sie das?
Es ist ein Geschenk, dass ich grundsätzlich ein positiver Mensch bin. Man kann immer an irgendetwas herumnörgeln. Ich muss aber meine Situation in Relation setzen. Es gibt so viele Menschen auf dieser Welt, denen es viel schlechter geht als mir. Soll ich mich jeden Tag bemitleiden? Das tut mir nicht gut.

Es gibt Athletinnen und Athleten, die nach diversen Verletzungen den Bettel hinwerfen, um körperliche Spätfolgen zu vermeiden. Weshalb tun Sie sich das Ihrem Körper an?
Eine hundertprozentige Garantie, gesund zu bleiben, gibt es nicht. Ich hatte das Glück, immer schmerzfrei auf den Ski zu stehen. Ich bin weit davon entfernt, mich als Sportinvalidin zu bezeichnen. So kann ich stundenlang einen Berg hinunterlaufen, ohne Beschwerden. Bei anderen Athleten wäre das undenkbar. Wie mein Körper reagiert, wenn ich 60-jährig bin, weiss niemand.

Besteht nicht die Gefahr, dass bei einer weiteren Knieverletzung Langzeitschäden auftreten können?
Die Gesundheit hat Priorität. Wenn ich spüre, dass mein Körper am Anschlag ist, höre ich auf. Denn ich will noch möglichst lange Sport treiben. Sobald die Ärzte meinen, ich setze meine Gesundheit aufs Spiel, wäre ich die Erste, die sagen würde: Das wars. Ich habe es schon häufiger bewiesen, nach Verletzungen wieder in Form zu kommen. Nur um einige Male in die Weltcuppunkte zu fahren, nehme ich diesen grossen Aufwand nicht in Kauf. Ich will es nochmals an die Weltspitze schaffen.

«Es wäre das Schlimmste für mich, wenn ich finanziell von den Eltern wieder abhängig wäre.»

Frauen-Cheftrainer Beat Tschuor hat nach Ihrem vierten Kreuzbandriss gemeint: «Irgendwann stellt sich die Sinnfrage.» Haben Sie sich diese Frage nach dem vierten Kreuzbandriss gestellt?
Klar, aber ich will weiterkämpfen. Es gibt viele Menschen, die mir raten, ich solle aus dem Profisport zurücktreten. Sich ein Urteil von aussen anzumassen, ist schwierig, wenn man mich nicht richtig kennt. Ich liebe den Skisport über alles. Wenn mein näheres Umfeld mir den Rücktritt ans Herz legen würde, dann würde ich mir meine Gedanken machen.

Wenn man immer wieder von Rückschlägen durchgeschüttelt wird, geht das mental an die Substanz. Hatten Sie nach der Verletzung psychologische Hilfe nötig?
Nein. Glücklicherweise konnte ich auf die Unterstützung meiner Familie und meiner Freunde zählen. Dafür bin ich sehr dankbar. Als es mir zu Beginn schlecht ging, versuchten sie mich abzulenken. Das hat mir am meisten geholfen und war die beste Beschäftigungstherapie. Denn sobald ich beschäftigungslos war, gingen mir Tausende Gedanken durch den Kopf. Zeit mit meinem Umfeld zu verbringen, hat mir mehr genutzt, als mich hundert Stunden mit einem Psychologen auszutauschen.

Sie haben sich nach Ihrem dritten Kreuzbandriss nach Alternativen zum Skirennsport umgesehen. Haben Sie das in den letzten Monaten wieder getan?
Nein. Aber ich muss mich damit auseinandersetzen, was nach der Ski-Karriere folgt. Ideen habe ich viele (lacht). Ich habe eine Pilates-Ausbildung gestartet. Auch der Bereich des Coachings interessiert mich sehr. Als ich mich im März verletzt habe, geriet ich sofort in Panik. Muss ich jetzt morgen in einem Büro arbeiten gehen? Meine Verletzung bringt finanzielle Einbussen mit sich, weil mein Vertrag leistungsabhängig ist, was ich richtig finde. Es wäre das Schlimmste für mich, wenn ich finanziell von den Eltern wieder abhängig wäre. Das ist meine grösste Angst. Dann würde ich sofort meine Karriere beenden. Glücklicherweise halten mir die Sponsoren die Treue.

Schliessen Sie aus, nächste Saison Rennen zu bestreiten?
Ich habe während meiner Karriere schon so viele Jahre verloren, deshalb setze ich mich nicht unter Druck und nehme Schritt für Schritt. Ich bin ein Mensch, der Zwischenziele braucht. Erst kürzlich konnte ich zum Beispiel erstmals Kniebeugen machen. Darauf habe ich mich schon lange gefreut. Und in drei Wochen kann ich erstmals ohne Krücken gehen. Ob ich schon im Januar die ersten Schwünge auf dem Schnee machen kann, steht in den Sternen.

Sie wollen eine kleine Kugel gewinnen. Bleibt das Ihr Ziel?
Definitiv. Ich tue alles dafür. (aargauerzeitung.ch)

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