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Beat Mutter zieht Bilanz: Der Ex-Servette- und Luzern-Goalie im Interview

Luzerner Spieler jubeln mit ihrem Goalie Beat Mutter, Mitte, nach dem Sieg im Cupspiel gegen den FC Basel. Der FC Luzern gewinnt am 17. April 1995 im Allmend-Stadion in Luzern das Achtelfinalspiel im  ...
Luzern-Goalie Beat Mutter wird von seinen Mitspielern gefeiert.Bild: KEYSTONE
Interview

«Ich war danach mehr tot als lebendig» – Goalie-Legende Beat Mutter über seine Karriere

Während über eines Jahrzehnts gehörte Torhüter Beat Mutter zum Inventar des Schweizer Fussballs. Im grossen Karriere-Interview löst er eine Urban Legend aus dem Wallis auf, spricht über seinen späten Aufstieg vom Hobby-Fussballer zum Profi und erzählt, wie Weltstar Karl-Heinz Rummenigge als Teamkollege war.
10.12.2023, 10:0418.12.2023, 16:33
Ralf Meile
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Der Regionalfussball ist voller wundersamer Geschichten. Manche dieser Anekdoten sind wahr und einige von ihnen werden mit den Jahren immer wahrer. Hat Beat Mutter wirklich, wie man es sich auf Walliser Fussballplätzen zuraunt, als Hobby-Goalie direkt nach einem Cup-Spiel einen Profi-Vertrag auf einer Serviette unterschrieben?

Mutter, zwischen 1986 und 1997 Torhüter von Servette, Bellinzona und Luzern mit rund 300 Einsätzen, weiss noch ganz genau, wie das damals war. Damals, als er als 24-Jähriger mit dem Dorfklub SC Lalden gegen das grosse Servette so brillant hielt, dass diese Partie zum Spiel seines Lebens wurde, weil sich sein Leben danach schlagartig veränderte.

Heute ist Beat Mutter 61 Jahre alt, sein Walliser Dialekt mit einigen fremden Wörtern durchmischt. Luzern spricht er aus wie ein Einheimischer: Lozärn. Dort lebt Mutter, der mit dem Fussball schon lange nichts mehr zu tun hat. Er ist Geschäftsführer der Golf Entfelden AG vor den Toren Aaraus.

Wäre eine Karriere wie Ihre heute noch möglich?
Beat Mutter: Grundsätzlich ist nichts unmöglich. Es gibt bestimmt Talente, die erst spät gesichtet werden. Schwierig ist der Rhythmuswechsel. Wenn du mit 24 Jahren noch bei den Amateuren spielst, ist der Schritt zu den Profis schon sehr gross. Es geht rasant von beinahe null auf hundert.

«Lalden war ein 600-Seelen-Dorf und es kamen 4000 Zuschauer. Das vergisst man sein Leben lang nicht.»

Sie waren als Junior beim FC Sion bereits nahe dran am Profifussball. Weshalb hat es damals nicht geklappt?
Wahrscheinlich war ich einfach zu wenig gut. Oder zumindest fand das der Trainer, der mich hätte übernehmen sollen. Eine dieser Varianten traf zu, aber welche der beiden … lassen wir das offen.

Wie war es denn?
Ich spielte bei den A-Junioren in Sion und es war alles aufgegleist, dass ich in der Saison darauf ins Reserveteam, in die heutige U21, wechsle. Doch zwei Tage vor Transferschluss teilte mir Trainer Jean-Claude Donzé, der einst selber Nationalliga-A-Goalie war, mit, er könne mich nicht gebrauchen. Weshalb er so entschied, weiss ich bis heute nicht. Das Ziel, Profifussballer zu werden, rückte dadurch weit in den Hintergrund. Matura und Studium wurden wichtiger, ich studierte Sport in Bern.

Beat Mutter Oktober 2023
Dem grünen Rasen blieb er treu: Beat Mutter auf dem Golfplatz in Oberentfelden.Bild: watson

Statt Nationalliga A hiess es für Sie: SC Lalden, 3. Liga. Was führte Sie dahin?
Ich stamme aus dem Nachbarort Brig und war als Auswärtiger beinahe ein Exot, praktisch das ganze Team kam aus dem Dorf. Ich habe zwei ältere Brüder und wir alle drei waren Goalies. Weil einer davon in Brig der Torhüter war und ich keinen familieninternen Zweikampf wollte, ging ich nach Lalden. Die vier Jahre gehören zu den schönsten, die ich im Fussball erlebt habe. Wir schafften den Durchmarsch von der 3. in die 1. Liga und der Zusammenhalt war einzigartig.

Im Herbst 1985 kamen Sie doch noch in Kontakt mit dem Spitzenfussball, als Sie mit dem 2.-Liga-Klub Lalden im Schweizer Cup das grosse Servette Genf empfingen. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Partie?
Sehr schöne. Ich habe relativ gut gespielt und viel gehalten. Servette hat ständig gedrückt und erst nach 70 Minuten das 1:0 erzielt, dabei blieb es. Daher war es einerseits ein gutes Spiel von uns, andererseits bleibt aber noch viel mehr die grossartige Atmosphäre in Erinnerung. Lalden war ein 600-Seelen-Dorf und es kamen 4000 Zuschauer. Das war ein riesiges Erlebnis für die ganze Mannschaft und das gesamte Dorf. Es ist etwas, das man sein Leben lang nicht vergisst. Ich hatte eine Aufzeichnung davon und wenn es mir mal nicht so gut ging, konnte ich die Videokassette reinschieben und das hat mich wieder etwas aufgestellt.

FC Lalden Servette Genf 1985
Dieses Spiel wollte sich kaum ein Fussballfan in der Region entgehen lassen.Bild: archiv walliser volksfreund

Man erzählt sich, dass Sie derart gut gehalten haben, dass Servette Sie vom Fleck weg engagiert habe und Sie gleich nach dem Spiel auf einer Serviette unterschrieben.
Das ist eine schöne Geschichte, nur leider ist sie kein bisschen wahr (lacht). Nach dem Schlusspfiff habe ich nichts unterschrieben, sondern so schnell wie möglich Biernachschub organisiert. Als Student hatte ich einen Nebenjob beim Lieferanten und deshalb den Schlüssel zum Depot. Das Bier war in der Halbzeitpause ausgegangen und so hatte ich nach dem Spiel gleich nochmals einen wichtigen Einsatz.

«Als ich in Genf unterschrieb, sagten sie meinem Vater schon, er könne sich frühpensionieren lassen, der Sohn verdiene ja jetzt genug.»

Trotzdem verpflichtete Sie Servette. Wie kam es wirklich dazu, dass dieser Grossklub einen 24-jährigen Amateur holte?
Wenn dieses Cup-Spiel nicht gewesen wäre, hätte mich Servette sicher nie verpflichtet. Es hätte sich niemals bis nach Genf herumgesprochen, dass in Lalden ein Goalie spielt, der einigermassen gut hält. Ich hörte dann lange nichts, erst im nächsten Frühling lud mich Servette zu Probetrainings ein und danach boten sie mir einen Vertrag an.

Beat Mutter Alain Geiger Lalden Servette 1985
Beat Mutter pflückt den Ball vor Servettes Nationalspieler Alain Geiger herunter.Bild: archiv walliser bote

Man nannte den Klub damals «Millionarios». Wie viele dieser Millionen wanderten auf Ihr Konto?
Das war eher dürftig (lacht). Als ich unterschrieb, sagten sie meinem Vater schon, er könne sich frühpensionieren lassen, der Sohn verdiene ja jetzt genug. Das war aber überhaupt nicht so. Der frühere Bundesliga- und YB-Spieler Winne Berkemeier half mir bei den Verhandlungen und als ich das erste Angebot erhielt, sagte er mir: «Spinnst du? Das darfst du nie, nie, nie unterschreiben!»

Also keine Millionen.
Nein. Eine Woche später ging ich nochmals nach Genf und sie legten mir mehr oder weniger das gleiche Angebot vor. Mit der Begründung, dass es für mich nicht ums Geld gehen sollte, sondern dass Servette mir eine einmalige Chance biete. Und so unterschrieb ich, aber ich liess einige Bedingungen in den Vertrag schreiben. Ich verlangte Einsatzprämien, eine Lohnerhöhung für den Fall, dass ich die Nummer 1 werde und bei einem Aufgebot fürs Nationalteam.

Beat Mutter Servette
Die ersten Sammelbilder als Servette-Goalie.Bild: panini

Ziemlich selbstbewusst.
Dieses positive Denken imponierte den Klub-Bossen. Und mein Glück war es, dass ich alles schon in der ersten Saison erreichte, denn ich wurde für eine Schweizer Olympia-Auswahl aufgeboten, das zählte auch. So verdiente ich recht gut.

«Das Schicksal bot mir eine Gelegenheit und die packte ich.»

Bei Servette war Erich Burgener die Nummer 1, eine Nati-Legende und wie Sie ein Oberwalliser. Welche Rolle spielte er bei diesem Transfer?
Es war geplant, dass ich zwei Jahre lang aufgebaut werde, von ihm profitiere und mich schrittweise an den höheren Rhythmus gewöhne. Das Schicksal wollte es dann anders. Erich Burgener verletzte sich nach fünf Spielen und ich kam rein, in einem Spiel gegen Locarno. Viel hatte ich nicht zu tun und dann stand ein Auswärtsspiel bei Neuchâtel Xamax bevor, damals ein absolutes Spitzenteam. Erich sagte, er fühle sich noch nicht ganz fit, ich solle spielen. Zu seinem Pech zeigte ich einen sehr guten Match, hielt einen Penalty von Heinz Hermann und wir holten ein 1:1. Von da an war ich die Nummer 1 und Erich spielte keine Minute mehr.

Wie nahm das Burgener auf?
Er war ein riesiges Vorbild für mich. Sein einstiger Trainer war auch meiner und er versuchte, alles gleich zu machen. So profitierte ich indirekt schon von ihm, bevor ich bei Servette war. Dass er als Nati-Goalie mit so einer Karriere diesen Abgang hatte, war sehr undankbar. Das tat im Nachhinein auch mir weh, das hatte er nicht verdient. Aber so ist es: Das Schicksal bot mir eine Gelegenheit und die packte ich.

L'equipe du Servette du siecle pose pour la photo en presantant leur maillot a leur nom,avant la rencontre de football LNA entre FC Servette et le FC Saint-Gall,ce dimanche 10 decembre 2000 au st ...
Erich Burgener (hinten links) wurde im Jahr 2000 in Servettes «Team des Jahrhunderts» gewählt.Bild: KEYSTONE

Und wie war es für Sie, dass Sie eben noch ein Hobbyfussballer waren und nun das Tor eines NLA-Spitzenklubs hüteten?
Einerseits war das wunderschön, andererseits kam dieser Schritt wirklich sehr schnell. Dafür zeigt sich in solchen Momenten, wer es wirklich drauf hat. Ich hatte in meiner Karriere auch Torhüter als Nummer 2 neben mir, die besser waren als ich, aber wenn es ernst galt, flatterten ihnen die Nerven. Oft schaffen es nicht die besten nach ganz oben, sondern die nervenstärksten.

Gleich in Ihrer ersten Saison schafften Sie den Durchbruch und durften als Tüpfelchen aufs i den Cupfinal bestreiten. Das alles muss Ihnen manchmal wie ein Traum vorgekommen sein.
Im Jahr zuvor spielte ich schon im Cupfinal – im Walliser Cup mit Lalden gegen Brig, mit meinem Bruder im Tor. Und ein Jahr darauf dann im richtigen Cup, natürlich ging damit ein Traum in Erfüllung. Leider ist er geplatzt, wir verloren 2:4 gegen YB. Aber es war wunderbar und eine wertvolle Erfahrung. Vielleicht wäre meine Karriere anders verlaufen, wenn nicht alles ganz so schnell passiert wäre. Aber in dem Moment habe ich es natürlich genossen. Und keiner sagt dem Trainer, der ihn aufstellt, vielleicht würde ihm die Ersatzbank besser tun.

Sie spielten bei Servette mit Stars wie Alain Geiger, José Sinval, Lucien Favre oder John Eriksen. Wie war der Umgang mit diesen Fussballern?
Das Erste, was mir in der Kabine auffiel und was mich schockierte, waren die vielen Narben, die diese Spieler hatten. Das war ich mir nicht gewohnt. Jeder hatte sich schon Knie und Beine flicken lassen müssen. Aber sie empfingen mich gut und freuten sich, dass ich junger Spieler kam. Sie haben zwar viel Geld verdient, aber sie zeigten das nicht und verhielten sich als Kollegen tiptop, das hat mich positiv überrascht. Und spätestens, als sie feststellten, dass ich etwas konnte, war ich voll integriert.

«Für mich war es zwar schön, dass es hiess: ‹Ach, wäre doch Mutter noch hier.› Trotzdem stand ich ohne Job da.»

In Ihrer zweiten Saison bei Servette kam gar ein echter Weltstar nach Genf, der deutsche Stürmer Karl-Heinz Rummenigge.
An ihn habe ich sehr gute Erinnerungen und an ein schönes Kompliment, das ich von ihm erhielt. In meiner zweiten Saison kam Pascal Marguerat als mein Konkurrent im Tor aus Chenôis. Er galt als das grosse Riesentalent und alle rechneten damit, dass er spielen würde. Aber in der Vorbereitung setzte ich mich durch, sodass ich Stammgoalie blieb. Nachdem ich mich verletzt hatte, durfte Marguerat ins Tor, und in dieser Zeit wechselte Rummenigge zu uns. Ich war dann wieder fit, und nach drei, vier Trainings putzte er neben mir die Schuhe und fragte mich: «Was hast du eigentlich verbrochen, dass du nicht die Nummer 1 bist?» Das war seine Art. Er war ganz ein toller Typ, der offen auf andere zuging.

Karl-Heinz "Kalle" Rummenigge, Servette FC, aufgenommen am 24. September 1987 nach seiner Ankunft in Genf bei einem Interview. (KEYSTONE/Angelo Guarino)
Rummenigge nach seiner Ankunft von Inter Mailand. Für Servette schoss er 35 Tore in 56 Spielen.Bild: KEYSTONE

Lange waren Sie nicht auf der Ersatzbank.
Nein. Sobald ich im Training wieder mein gewohntes Niveau erreichte, zeigte Marguerats Leistungskurve nach unten. Er war wirklich gut, aber er spürte mich im Nacken und deshalb flatterten ihm die Nerven. Ob Rummenigges Meinung einen Einfluss darauf hatte, dass ich rasch wieder spielte, kann ich nicht beurteilen. So war ich Servettes Stammgoalie, bis Donzé Trainer wurde. Da fing das Elend wieder an.

Der Weg kreuzte sich also erneut mit demjenigen von Jean-Claude Donzé, der Ihnen ein paar Jahre vorher beim FC Sion die Zukunft verbaut hatte.
Er wurde vor der Rückrunde meiner zweiten Saison bei Servette Trainer und seine erste Handlung war, mich aus dem Tor zu nehmen und durch Marguerat zu ersetzen. Nach einigen Spielen kehrte ich, auch auf Druck der Mannschaft, zurück und wir spielten noch eine sehr gute Rückrunde, kletterten noch vom siebten oder achten Platz bis auf Rang 2 vor.

Dennoch war Ihre Zeit in Genf abgelaufen.
Donzé wollte mich trotzdem nicht mehr haben und so musste ich gehen. Er holte Peter Kobel von YB, der dort einige wirklich sehr gute Partien gezeigt hatte. Aber Servette dümpelte trotz Rummenigge im Mittelfeld herum. Für mich war es zwar schön, dass es in Genf hiess: «Ach, wäre Mutter doch noch hier.» Trotzdem stand ich ohne Job da und musste mich um meine Zukunft sorgen.

Schliesslich kamen Sie bei der AC Bellinzona unter.
Das war schon ein verdammt grosser Abstieg. Doch die ersten Monate waren fantastisch, mit dem jungen Kubilay Türkyilmaz im Sturm putzten wir alles weg und belegten in der Winterpause Rang 3. Leider warfen sie dann den Trainer raus.

Beat Mutter, Torhueter bei AC Bellincona, aufgenommen im Jahr 1989. (KEYSTONE/Str)
Nach dem Aus in Genf ging Mutters Karriere in Bellinzona weiter.Bild: KEYSTONE

Wie bitte? Ein kleiner Klub wie Bellinzona ist Dritter und trennt sich vom Trainer?
Das war die dümmste Trainerentlassung, die ich in meiner Karriere erlebt habe. Der Belgier Henri Depireux war der Coach. Er hatte die Gabe, dich stark zu reden. Zumindest bei mir wirkte es so, es war beinahe eine Art Magie: Wenn er fünfzehn Minuten mit dir geredet hat, hast du danach geglaubt, du seist der Allergrösste. Dabei hat er nie Dinge gesagt wie «du bist der Beste» oder ähnliches.

Und weshalb musste er gehen?
Depireux war der Vereinsleitung unbequem, weil er sehr fordernd war. Ich bat ihn einmal um etwas mehr Zurückhaltung, um den Erfolg nicht zu gefährden. Da sagte er bloss: «Wann soll ich denn etwas fordern? Wenn wir hinten stehen? Nein, ich muss mehr fordern, wenn ich die Resultate im Rücken habe.» Dabei hat er den Bogen wohl etwas überspannt. Das war sehr schade, denn von dem Moment ging es bachab.

Wenigstens kam nicht nochmals Donzé …
Nein, dem bin ich danach nicht mehr über den Weg gelaufen. Dafür immer wieder Stephan Lehmann.

Das ist mir auch aufgefallen. Irgendwie überschnitten sich die Karrieren von zwei Torhütern.
Er kann ja nichts dafür. Aber eigentlich war es geplant, dass ich nach meinem Ende bei Servette zu Sion wechsle. Doch dann schlossen Sion-Präsident André Luisier und Xamax-Boss Gilbert Facchinetti eine Vereinbarung über den Transfer eines Spielers ab, die beinhaltete, dass Lehmann ins Wallis wechselt. Luisier sagte mir deshalb ab und Steph verhinderte damit indirekt meine Heimkehr.

«Leider konnten wir den Cupsieg gar nicht angemessen geniessen, denn der Abstieg hat fast alles überschattet, es war sünd und schade.»

Auch in Bellinzona liess Lehmann Sie nicht los.
Daniel Jeandupeux war Nationaltrainer und es hiess, dass entweder Steph oder ich ein Aufgebot erhalten würde. Jeandupeux kam nach Bellinzona, wir spielten 0:0 gegen Xamax und ich zeigte eine ansprechende Leistung – tags darauf wurde Lehmann aufgeboten.

Stephan Lehmann vom FC Sion beklascht am 8. Juni 1997 im Wankdorfstadion in Bern eine Aktion des FC Sion im Cupfinal gegen den FC Luzern. Sion gewinnt den Final im Penaltyschiessen und gewinnt damit d ...
Statt Beat Mutter holte Sion Stephan Lehmann und gewann mit ihm zwei Mal die Meisterschaft und vier Mal den Cup.Bild: KEYSTONE

Wie nah waren Sie damals an der Nati dran?
Zumindest stand ich wohl auf einem Notizzettel. Ein Aufgebot habe ich schlussendlich nie erhalten, aber die Nationalhymne habe ich trotzdem auf dem Fussballplatz gehört.

Unter anderem beim Cupfinal 1992, den Sie mit dem FC Luzern gewinnen konnten.
Das waren verrückte Tage damals. Zuerst sind wir in die Nationalliga B abgestiegen, dann konnten wir den Cup gewinnen. Das war fantastisch. Aber leider konnten wir das gar nicht angemessen geniessen, denn der Abstieg hat fast alles überschattet, es war sünd und schade. Der Wert dieses Titelgewinns hat sich erst mit den Jahren herauskristallisiert, weil Luzern danach ewig lange nichts mehr gewinnen konnte. Ich hätte mir niemals träumen lassen, welches Renommée dieser Cupsieg einmal haben könnte.

Beat Mutter, Torhueter des FC Luzern, haelt nach dem 3:1 Sieg im Cupfinal gegen AC Lugano am 8. Juni 1992 im Wankdorf-Stadion in Bern den Pokal, beklatscht von Spieler Adrian Knup, links, und Bundesra ...
Als FCL-Goalie stemmt Mutter 1992 den Cup in die Höhe. Links klatscht begeistert Mitspieler Adrian Knup, in der Mitte mit bundesrätlicher Zurückhaltung Flavio Cotti.Bild: KEYSTONE

Und wie haben Sie die folgende Saison erlebt? Plötzlich hiessen die Gegner in der NLB nicht mehr GC oder Servette, sondern Emmenbrücke, Wettingen und Brüttisellen.
Ich war mit meinen Leistungen auch mitschuldig am Abstieg, der war eine böse Erfahrung. Ich war der Meinung, dass nun ein absolut verlorenes Jahr folgen würde. Aber es stellte sich dann ganz und gar anders dar.

«Ich erwischte das Knie eines Stürmers, alle vier oberen Schneidezähne wurden dabei ausgeschlagen.»

Inwiefern?
Wir mussten zwar in der Provinz spielen. Aber als Cupsieger durften wir im Europacup antreten. In der 1. Runde kegelten wir als krasser Aussenseiter Lewski Sofia raus und dann folgten die zwei Duelle mit Feyenoord Rotterdam …

… von denen man in Luzern heute noch spricht.
Wir schlugen sie zu Hause 1:0 und auswärts ging es hoch zu und her. Nach zwei Platzverweisen verloren wir 1:4. Nach dem Spiel erhielt ich eine «neue Schublade», denn ich hatte einen kleinen Unfall: Ich erwischte das Knie eines Stürmers, alle vier oberen Schneidezähne wurden dabei ausgeschlagen. Ich habe also eine bleibende Erinnerung an dieses Spiel …

Diese Partien waren bestimmt Highlights während der Nationalliga-B-Saison.
Definitiv, damit war die Vorrunde gerettet. Und die Auf-/Abstiegsrunde im Frühling war brillant, so etwas hatte Luzern vorher und nachher nicht erlebt. In jener Saison wurde der FC Aarau Meister, aber das hat fast keiner mitbekommen, weil alle in die Auf-/Abstiegsrunde schauten. GC hatte die Finalrunde sensationell verpasst, wir wollten rauf, der FC Basel auch. Der FCL konnte sich gesund sanieren, weil das Stadion so oft gut besucht war. Weil wir am Ende den Aufstieg schafften, wurde schliesslich aus einem vermeintlich verlorenen ein tolles Jahr.

Beat Mutter FC Luzern
Beim FC Luzern hatte der Keeper seine beste Zeit.Bild: panini

In Luzern hatten Sie Ihre beste Zeit, da waren Sie auch am längsten, von 1990 bis 1997. Mehr als Mittelfeld-Platzierungen gelangen in der Meisterschaft nicht, dafür war das letzte Spiel Ihrer Karriere nochmals ein Höhepunkt: der Cupfinal gegen den FC Sion.
Zwei Tage vorher ahnte ich nicht, dass dies mein letztes Spiel werden würde. Ich hatte noch keinen Vertrag für die nächste Saison und bat die Veranwortlichen um ein Gespräch. Dieses fand zwei Tage vor dem Cupfinal statt.

«Nachts um eins rief mich ein Teamkollege an und sagte: Die Luft ist rein.»

Da wurde Ihnen mitgeteilt, dass man die Zukunft ohne Sie plant?
Ja. Ich war danach mehr tot als lebendig, denn ich hatte niemals mit diesem Entscheid gerechnet. Davor hatte ich meiner Frau noch gesagt, dass man ja unmöglich so blöd sein könne, dem Goalie vor dem wichtigsten Match des Jahres zu sagen, dass man nicht mehr auf ihn zähle. Ich fiel aus allen Wolken, denn ich rechnete mit einem unterschriftsreifen Vertrag auf dem Tisch und nicht mit dem Aus.

Wie geht man mit dieser Ausgangslage in ein Spiel?
Natürlich total übermotiviert. Ich sah bei den ersten beiden Gegentoren schlecht aus. Mein Vater verliess das Stadion, er konnte nicht mehr zuschauen. Glücklicherweise konnten wir ausgleichen und gar 3:2 in Führung gesehen, und dann kriegten wir kurz vor dem Ende einen aus unserer Sicht sehr zweifelhaften Penalty. Verlängerung, Penaltyschiessen, vorbei. Da ging es mir wirklich schlecht.

Luzerner Torhueter Beat Mutter bei einer Parade im Cupfinal vom Sonntag, 8. Juni 1997 gegen Sion. (KEYSTONE/Edi Engeler)
Parade im letzten Spiel der Karriere: Beat Mutter im Cupfinal 1997.Bild: KEYSTONE

Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich fuhr in einem Fan-Bus nach Hause. Im Mannschafts-Car sass auch der Vorstand, mit denen wollte ich nichts mehr zu tun haben. Klar waren alle traurig, aber ich erhielt viel Aufmunterung, das war schön. Wir gingen gemeinsam essen, haben eins, zwei getrunken und nachts um eins erhielt ich den Anruf eines Teamkollegen: «Die Luft ist rein.» Als der Vorstand sich von der Mannschaftsfeier verabschiedet hatte, ging ich auch in die Disco und wir machten die Nacht zum Tag.

Ihre Zeit in Luzern war vorbei und das Erbe trat – wie könnte es auch anders sein – Stephan Lehmann an.
Das ist überhaupt nicht gegen ihn gerichtet, aber dieser Wechsel war wirklich absolutig unvernünftig. Luzern hatte bestimmt Probleme, aber nicht im Tor. Ich konnte nicht begreifen, weshalb man das Geld nicht anderswo einsetzt als für einen Nati-Goalie. Das Aus war ein brutaler Moment für mich, da ging im Herzen etwas kaputt. Ich habe nach dem Rücktritt lange keine Spiele mehr geschaut, nicht einmal mehr die Resultate und die Tabelle. Fussball hat mich einfach nicht mehr interessiert.

Sie kündigten damals an, auf Weltreise zu gehen. Hat der Abstand gut getan?
Es war wunderbar, auch wenn es nicht gleich die ganze Welt war. Wir sind dreieinhalb Monate durch die USA und Kanada gereist und als Abschluss der Reise haben wir auf den Bahamas geheiratet. Meine Frau hatte immer gesagt, sie werde keinen Fussballer heiraten – und da war ich dann ja Ex-Fussballer.

Haben Sie sich mit Lehmann einmal darüber unterhalten, wie sehr sich Ihre beiden Karrieren überlappten?
Ja, eines Nachts um zwei.

Eine ungewöhnliche Uhrzeit.
Er arbeitete damals beim FC Aarau und wohnte bei uns im Hotel des Golfplatzes. Ich hatte an dem Abend sehr lange gearbeitet und übernachtete deshalb ebenfalls dort. Morgens um zwei weckte mich der Hoteldirektor und sagte: «Du, dein Kollege Lehmann möchte wissen, wie er den TV bedienen muss.» Ohne weitere Worte leitete er Lehmanns Anruf an mich weiter. Ich half ihm und danach plauderten wir bestimmt mehr als eine Stunde lang über früher. Zum Abschluss sagte er mir, dass es ihn überrascht habe, wie gross mein Schatten in Luzern gewesen sei. Es war schön, das aus dem Mund eines damaligen Konkurrenten um die Position zu hören.

«Ich war nie einer dieser vielen Heimweh-Walliser, die in jeder freien Minute nach Hause zurückkehren.»

Eines möchte ich noch ansprechen. Als Walliser haben Sie rund 300 Profispiele bestritten, aber keines für den FC Sion. Weshalb kam das nie zustande?
Nach dem Aus beim FC Luzern hatte ich genug vom Fussball, war 35 Jahre alt und in der Zentralschweiz sesshaft geworden. Es gab zwar Gespräche, aber irgendwann sagte meine Frau Nadine zum Vermittler, der mich zu einem Wechsel bewegen wollte: «Stephan Lehmann muss ja schön verrückt sein, wenn er alles aufgibt, was du Beat da versprichst. Wieso will Lehmann denn überhaupt nach Luzern, wenn in Sion alles so toll ist?» (lacht) Ich wollte auch deshalb nicht zurück, weil mir nicht gefiel, wie sich Sion entwickelte. Und wenig später war der Klub in Konkurs. Da hatte ich eine ganz gute Nase.

Aber für einen Walliser muss es doch das Grösste sein, für Sion zu spielen.
Ich war nie einer dieser vielen Heimweh-Walliser, die in jeder freien Minute nach Hause zurückkehren. Als ich in Bern studierte und die Vorlesung um 16 Uhr endete, rannten viele Kollegen schon um fünf vor aus dem Saal, damit sie um fünf nach den Zug ins Wallis erwischten. Ich hingegen ging gerne noch mit anderen eins trinken und nahm einen späteren Zug.

Hatten Sie nach der Karriere nie mehr etwas mit Fussball am Hut?
Ich hatte nie das Verlangen, noch in einer unteren Liga zu spielen. Ich machte auch nie eine Trainerausbildung, weil es nie mein Ziel war, Trainer zu werden. Stattdessen bildete ich mich anderweitig weiter und setzte auf den neuen Beruf. Ich hatte das Glück, dass ich dem Sport treu bleiben konnte und erhielt die Chance, in einem Sportzentrum den Tennisbereich zu verantworten. Zwei Jahre später kam dann das Golf hinzu.

Jetzt haben Sie also mit kleineren Bällen zu tun. Spielen Sie oft selber Golf?
Ich kam dazu, weil ich mir sagte, dass ich nicht der Geschäftsführer eines Golfplatzes sein kann, ohne den Sport selber auszuüben. Als ich damals bei Servette war, spielten schon einige in der Mannschaft und ich sagte mir, dass ich das dann machen kann, wenn ich pensioniert bin. Doch wenn man es einmal schafft, diesen kleinen Ball ins Fliegen zu bringen, kommt die Begeisterung. Ich spielte früher öfter als heute, aber ich habe Freude daran.

Und Ihr Handicap verraten Sie?
Es war schon besser, aber mit 12 ist es ganz okay. Natürlich macht es mehr Spass, wenn der Ball ab und zu dahin fliegt, wo du es im Sinn hast. Aber das Handicap wird viel zu wichtig genommen. Hauptsächlich geht es doch darum, eine schöne Zeit zu haben.

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13 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dub_SF
10.12.2023 11:13registriert Mai 2020
Der legendäre Match in Lalden, ich kann mich noch sehr gut erinnern! Ich war damals 10 jährig, grosser Servette Fan und damit ein Exot im Oberwallis. Den Match wollte ich unbedingt sehen und kam nach Spiel überglücklich nach Hause, mit den Unterschriften von fast allen Servette-Star auf einem rechteckigen Raclette-Teller aus Karton. Walliser Romantik pur! :-)

Danke für das sehr schöne und offene Interview mit Beat Mutter. Dies hat viele alte Erinnerungen geweckt.
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Ben_solo
10.12.2023 12:07registriert Januar 2021
Habe einfach mal angefangen das Interview zu lesen…bin nicht mehr losgekommen. Toll gemacht! Danke dafür! 👍🏼
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Massalia
10.12.2023 11:33registriert Juni 2021
Cooles Interview und schöner Blick zurück in die alte Schweizer Fussballwelt!
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Er umrundete Australien als Erster mit dem Velo – dabei gab es noch kaum Strassen
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