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«Ich wusste: Es ist vorbei» – Roger Federer äussert sich zu seinem Rücktritt

FILE - Switzerland's Roger Federer plays a return to Britain's Cameron Norrie during the men's singles third round match on day six of the Wimbledon Tennis Championships in London, Satu ...
Nach Wimbeldon war der Rücktritt für Roger Federer klar.Bild: keystone
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«Ich wusste: Es ist vorbei» – Roger Federer äussert sich erstmals zu seinem Rücktritt

Nach der Ankündigung seines Rücktritts vom Tennis bricht Roger Federer in London sein Schweigen. Weshalb er gerade jetzt einen Schlussstrich zieht. Und wie er die letzten Tage erlebt hat.
20.09.2022, 20:1620.09.2022, 20:24
Simon Häring, London / ch media
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Am Samstag, um 17.19 Uhr, meldet sich Manager Tony Godsick bei einem ausgewählten Kreis Schweizer Journalisten und stellt einen runden Tisch mit Roger Federer in Aussicht. Zwei Tage sind verstrichen, seit er im Kreis seiner Frau Mirka und seiner Eltern Robert und Lynette seinen Rücktritt vom Tennis verkündet hat. Seither schwieg Federer. Zur Frage, ob es eine Entscheidung der Vernunft oder des Herzens war. Weshalb er gerade jetzt einen Schlussstrich zieht – und nicht in Basel oder Wimbledon. Und wie er den Moment empfunden hat, als er seine Entscheidung publik machte.

ARCHIV - RUECKTRITT ROGER FEDERER - MEILENSTEINE ROGER FEDERER - 2018 - WECHSEL VON NIKE ZU UNIQLO - ZU DEN MEILENSTEINEN VON DER KARRIERE UND IM LEBEN VON ROGER FEDERER STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BI ...
Roger Federer hat viel über seinen Rücktritt nachgedacht. Bild: keystone

Stattdessen reiste der 41-Jährige nach London, wo er am Sonntag eintraf und bereits am Montag mit dem Griechen Stefanos Tsitsipas trainierte.

Am Dienstag, fünf Tage nach Bekanntgabe des Rücktritts, bricht er in einem Saal in der Londoner O2-Arena sein Schweigen. Federer sagt:

«Ich habe es vor mir hergeschoben, den Brief zu schreiben. Ich habe mir viele Gedanken gemacht. Es hat mich viel emotionale Energie gekostet, den Brief zu schreiben. Es war sehr berührend.»

Die Entscheidung sei einige Tage nach seinem Besuch in Wimbledon Anfang Juli gefallen. «Ich habe einfach nicht mehr genügend Fortschritte gemacht», sagt Federer. «Da habe ich mich gefragt, wofür ich das noch tue. Ich habe mich auf sehr dünnem Eis bewegt. Ich wusste: Es ist vorbei.»

Roger Federer, wie haben Sie die Wochen vor dem Rücktritt erlebt?
Roger Federer:
Ich hatte Knoten im Magen. Ich habe es vor mir hergeschoben. Den Brief zu schreiben, ist mir sehr schwergefallen und hat mich sehr viel Energie gekostet. Es war berührend für mich – auch für Mirka. Nun fühle ich mich besser. Ich wollte mich von diesem Druck befreien. Es war nicht einfach, die Entscheidung für mich zu behalten, es nicht zu vielen Leuten zu sagen. Das baut einen enormen Druck auf.

Wann haben Sie für sich entschieden, die Karriere zu beenden?
Als ich am 3. Juli in Wimbledon auf dem Platz stand, kam mir der Gedanke, ob das vielleicht das letzte Mal sein wird. Bis dahin hatte ich wirklich daran geglaubt. In den Tagen danach habe ich gemerkt, dass es mit dem Knie nicht besser wird, dass ich das Maximum erreicht hatte. Da habe ich mich gefragt: Wem bringt das noch etwas? Es reicht nicht mehr. Es ist vorbei. Das war ein sehr emotionaler Moment.

Wie haben Sie die Tage und Wochen nach ihrem Entscheid erlebt, war das eine Art Trauerphase, die Sie durchgemacht haben?
Absolut. Zuerst war da Trauer, dann habe ich es verdrängt. Wir waren noch in den Ferien und haben das Thema gemieden. Ich musste das alles erst sacken lassen. Ich war unglaublich müde und erschöpft, habe so viel gegeben für das Comeback, für diese Rehabilitation, das Training. Als die Entscheidung gefallen war, habe ich realisiert, wie viel Last von mir abgefallen ist, wie viel ich im Unterbewusstsein durchgemacht hatte. Auch für meine Eltern und meine Liebsten war es eine schwierige Zeit. Sie wusste, wie es mir geht. Wie antwortet man jemandem, der nach mir fragt? Dann sagst du halt: Es geht etwas länger. Ich bin auch für mein Umfeld froh, dass es nun draussen ist. Dann habe ich den Brief verfasst, das war ein Prozess. Irgendwann konnte ich die Frage nach meinem Knie nicht mehr hören können.

Und, wie geht es dem Knie?
(lacht). Ich hoffe, gut genug für ein Doppel. Für mich war schon lange klar, dass ich kein Einzel werde spielen können, dass ich auch nicht in Basel spielen kann. Ich habe Björn Borg gefragt, ob ich am Freitag im Doppel spielen könne. Er sagte zu mir: Roger, es ist für uns alle schon ein Traum, dich überhaupt wieder auf dem Tennisplatz zu sehen. Der Druck, der auf mir lastet, ist riesig. Ich versuche alles, um auf einem Niveau spielen zu können, das ich für akzeptabel halte.

Sie haben sich nie zur Schwere ihrer Knieverletzung geäussert...
...und das werde ich wahrscheinlich auch nie tun. Ich finde, dass das Privatsache ist. Oft sind die Details für mich auch nicht wichtig. Was ich wissen musste, ist: Was muss ich für eine Reha machen? Wie lange geht es? Welche Optionen habe ich?

Weshalb haben Sie sich dafür entschieden, jetzt, kurz vor dem Laver Cup den Schlussstrich zu ziehen?
Es war nicht einfach, den richtigen Moment zu finden und ich habe versucht, alles zu berücksichtigen, auch aus Rücksicht auf die kürzlich verstorbene Queen und die zehntägige Staatstrauer hier in London. Ich wollte alles richtig machen, aber es auch so schnell wie möglich hinter mich bringen, um mich von der Last zu befreien.

Sie haben sich dann dazu entschieden, den Rücktritt in den sozialen Medien zu verkünden – mit einem Brief, den Sie vorlesen. Weshalb?
Mir war klar, dass ich es so machen muss, wenn ich will, dass es meine Fans von mir selber erfahren. Gleichzeitig wollte ich nicht, dass es ein Video gibt, von dem ich in fünf, zehn Jahren von mir denke: Oh Gott, was war das denn? Dann wollte ich einen Brief schreiben. Dann wurde der immer länger. Und ich stellte mir die Frage, ob die Leute meine Handschrift lesen können. Deshalb habe ich mich am Ende dazu entschieden, es so zu machen. Für mich stimmt es so. Es bringt die Emotionen rüber, meine Fans erfahren es von mir, es ist also sehr persönlich. Ich bin jedes Wort mehrfach durchgegangen.

Wie haben Sie das letzte Spiel Ihrer Karriere erlebt, den Wimbledon-Viertelfinal 2021 gegen Hubert Hurkacz?
Der letzte Satz auf dem Platz – das war eine der schlimmsten Stunden meiner Karriere. Als ich realisieren musste, dass gar nichts mehr geht, dass es aus und vorbei ist, dass nichts mehr kommt. Ich hatte Raketen im Kopf, wusste: So geht es nicht mehr weiter. Und was sage ich euch, der Presse? Und dann hat mich niemand nach dem Knie gefragt. Und ich frage mich: Bin ich so ein guter Schauspieler, dass niemand etwas merkt? (lacht). Das letzte Jahr war extrem schwierig für mich. Ich war so weit weg von hundert Prozent. Dass ich in Wimbledon unter diesen Umständen den Viertelfinal erreicht habe, ist unglaublich. Und trotz allem: Ich habe es auch geniessen können. Diese Operation und die Reha habe ich für mich, für mein Leben nach dem Sport gemacht.

Wie ist es im Alltag?
Dort habe ich keine Probleme mehr. Es bleibt mein Ziel und meine grosse Hoffnung, dass ich wieder Ski fahren und Fussball spielen kann. Aber ich weiss, dass ich dort noch einiges leisten muss.

Sie haben immer gesagt, ihrer Karriere müsse nicht auch noch kitschig enden. Hatten Sie dennoch eine Vorstellung, wie es sein könnte?
Für mich war das nie an ein Turnier geknüpft. Mein Wunsch war es, noch einmal zurückzukommen, vor Menschen Tennis zu spielen und das zu tun, was ich am liebsten mache. Ich habe schnell gemerkt, dass es vermutlich nicht mehr reicht für Grand-Slam-Turniere. Ich hätte auch gerne nur für kleinere Turniere trainiert. Und dann kam ich an einen Punkt, an dem mir klar war: Nein, das will ich nicht mehr.

Sie haben angekündigt, dass Sie weiterhin Tennis spielen werden, aber offen gelassen, in welcher Form. Welche Gedanken machen Sie sich?
Ich wollte den Fans nicht die Hoffnung nehmen, mich noch einmal spielen zu sehen. Ich liebe diesen Sport zu sehr, ich möchte ihm nahe sein, weiss aber noch nicht, in welcher Form. Ich spiele sehr gerne Exhibitions, ich habe noch die Möglichkeit, die Stadien zu füllen. Mein grosser Wunsch ist es, noch eine Exhibition zu spielen. In den nächsten sechs bis neun Monaten, alle meine ehemaligen Coaches einzuladen und Danke und auf Wiedersehen zu sagen. Davon träume ich.

Welche Rollen können Sie sich noch vorstellen?
Ich hätte ja nie gedacht, dass ich das einmal sage, aber vor ein paar Monaten sagte ich mir: Weshalb nicht kommentieren? In Wimbledon zum Beispiel. Das würde mir erlauben, den Kontakt zur Tour, zu den Spielern zu wahren. Aber ganz ehrlich, im ersten Moment dachte ich: Spinnst du jetzt komplett, dass du dir solche Gedanken machst? Gleichzeitig war es immer unser Plan, für die Zeit nach der Karriere möglichst alles offenzuhalten. Ich möchte ein guter Papi sein, habe viele Freunde, zu denen ich den Kontakt pflegen will. Ich habe den grossen Luxus, dass ich nichts tun muss, worauf ich keine Lust habe.

Wie hat ihre Frau Mirka auf ihre Entscheidung reagiert? Sie haben immer gesagt, dass sie nach der Karriere im Vordergrund steht.
Für mich waren die letzten Jahre hart, aber ich glaube, für sie war es noch härter. Sie hat es nicht mehr genossen, mir zuzuschauen, mit allen diesen Verletzungen. Sie tat mir irgendwie auch leid. Für Mirka ist es eine grosse Erleichterung, dass das jetzt durch ist.

Wie habe ihre vier Kinder auf den Rücktritt reagiert?
Wir haben es Ihnen erst am Tag vorher gesagt. Es wurde schon noch sehr emotional, drei meiner Kinder haben geweint (lacht). Sie haben gefragt: Heisst, dass wir gehen nicht mehr nach Wimbledon? Einerseits sind sie traurig. Andererseits haben sie ja auch immer den Wunsch geäussert: Wann können wir endlich Ski fahren gehen? Hör endlich auf mit dem Tennis, wir wollen endlich Ski fahren gehen. Ich möchte möglichst viel für meine Familie da sein – das ist mir extrem wichtig.

(aargauerzeitung.ch)

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6 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Realmasterofdesaster
20.09.2022 21:46registriert September 2017
Wir wussten es mit Dir Roger, aber haben immer gehofft, dss es nochmals klappt, verneige mich vor deiner grossen Karriere, chapeau was du geleistet hast… bei deinem ersten Melbourne Sieg war ich vor Ort und es war mirakulös ☺️ Werde ich nie vergessen
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dot..
20.09.2022 23:21registriert Januar 2018
Roger ist halt doch auch immer noch Mensch. Gönnen wir ihn nun etwas Zeit, wie es Normal-Sterbliche so haben und sind wir dankbar, konnten wir ihn erleben.
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