Können Sie die EM geniessen?
Vladimir Petkovic: Ich habe schon immer gesagt: Ich bin der Einzige, der mir Stress auferlegen kann. Aber das tue ich nicht. Ich geniesse die EM. Natürlich, während eines Spiels ist es kaum möglich, in den Genuss-Modus zu kommen. Selbst die verschiedenen Farben im Stadion oder bei den Fans nehme ich kaum wahr. Bei mir ist während eines Spiels alles grau. Aber davor oder danach, oder wenn ich mir Partien am Fernseher anschaue, dann kann ich geniessen, dann erlebe ich die EM wie ein positiver Fan.
Sie wirken ziemlich locker. Lockerer jedenfalls, als man Sie auch schon erlebte. Woher kommt das?
Das ist mein Naturell. Ich bin so. Das war schon in Italien oder in der Türkei so. Höchstens wenn ich direkt angegriffen werde, hole ich meinen Panzer hervor.
Sie wollten nach zwei Spielen mit zwei Siegen für den Achtelfinal qualifiziert sein. Wie sehr bereuen Sie, dass dies nicht ganz geklappt hat?
Natürlich, das Spiel gegen Rumänien hätte auch anders ausgehen können. Aber vielleicht ist es von der mentalen Seite her betrachtet sogar besser so. Wir müssen noch kämpfen und können nun gegen den klaren Favoriten Frankreich ein Zeichen setzen.
Wie nahe an Ihre Idealvorstellung kam die Leistung gegen Rumänien?
Es gibt kein Ideal für mich. Weil ich immer besser als beim letzten Mal sein möchte. Und wir spielen ja, um zu siegen. Darum waren wir gegen Rumänien nicht gut genug.
Trotzdem: War es spielerisch das beste Spiel in Ihrer Amtszeit?
Komischerweise haben wir die besten Spiele dann gemacht, wenn wir nicht gewonnen haben (lacht). Es ist gut, dass wir noch nicht das Maximum herausgeholt haben. Wir siegten gegen Albanien. Wir spielten gut gegen Rumänien. Nun müssen wir die Spiele eben verbinden.
Ist die Schweiz den Spitzenteams näher gerückt?
Aufgrund der bisherigen Eindrücke könnte man denken: ja. Aber das müssen wir jetzt bestätigen. Die grossen Mannschaften sind jene, die an den Anforderungen wachsen. Frühere Europa- oder Weltmeisterschaften zeigten: Gute Mannschaften haben sich während eines Turniers immer gesteigert. Ich hoffe, wir sind reifer geworden, und beginnen, diese Fähigkeit ebenfalls zu entwickeln.
Viele Spieler sagen, das Spiel gegen Frankreich an der WM 2014, dieses 2:5, sei noch gut in Erinnerung. Spielt das auch für Sie eine Rolle, auch im Wissen darum, dass eigentlich das ganze Team dabei war damals?
Nein, für mich war das eines dieser Spiele, die mich als Schweizer interessierten, aber nicht als Trainer. Ich bin erst jetzt Direktbeteiligter.
Können Sie schon Schlüsse ziehen aus der bisherigen EM, in welche Richtung sich der Fussball entwickelt?
Noch nicht allzu viele, aber einige Nuancen sind mir aufgefallen. Beispielsweise, dass der eine oder andere vermehrt einen schwierigen Pass spielt. Also zum Beispiel steil in die Tiefe statt vertikal, wo die Gefahr eines Gegenangriffs lauert.
Wie zentral ist der Gegner in Ihrer Match-Vorbereitung?
Ich schaue immer auf meine Mannschaft. Das war schon immer so. Und das wird so bleiben. Ich möchte primär unseren eigenen Spielstil verbessern. Vielleicht führe ich die Spieler im Unterbewusstsein etwas auf den Gegner heran. Konkret spreche ich aber erst am Tag vor dem Spiel über den Gegner.
Können Sie sich die Blockade einiger Spieler gegen Albanien erklären?
Es gab viele Nebengeräusche um dieses Spiel. Und das, denke ich, hat man am Anfang auf dem Platz auch gesehen. Ich habe das relativ locker genommen.
Wenn Sie nicht schon graue Haare hätten, hätten Sie dann welche bekommen, wenn Sie sehen, wie viele Chancen Haris Seferovic vergeben hat?
Nein, überhaupt nicht. Fehler passieren. Er ist deswegen nun nicht der alleinige Sündenbock. Wenn Pässe im Spiel nicht ankommen, wird man auch nicht so verurteilt wie ein Stürmer, der nicht trifft, oder ein Torhüter der daneben greift. Damit muss man umgehen können. Ich bin froh, hat Seferovic einen dicken Panzer und dass er Kritik nicht allzu sehr an sich ranlässt.