Sag das doch deinen Freunden!
Aufregender hätte die Saison nicht verlaufen können: der krasse Fehlstart, der Trainerwechsel, das grosse Comeback, die Rückschläge. Wie ist das alles zu werten?
Granit Xhaka: Mehr Spannung geht wirklich nicht. Es ist alles drin in dieser verrückten Saison, die in der Tat aussergewöhnlich schlecht begonnen hat. Hätten wir in den ersten fünf Runden nur schon sechs Punkte geholt wären wir jetzt Dritter. Ich kann mir das Tief noch immer nicht richtig erklären.
Was stimmt Sie positiv im Kampf um eine Top-4-Klassierung?
Wir haben in den letzten 22 Spielen beispielsweise 15 Punkte mehr gewonnen als der Champions-League-Viertelfinalist Wolfsburg. In schwierigen Fällen können wir uns zur Not nicht einfach auf überragende Individualisten abstützen, wir haben weder einen Ribéry noch einen Robben in unserem Kader.
Sie persönlich reizten mehrfach die Grenzen aus. Drei Platzverweise und fünf Spielsperren trüben das Bild. Wie fällt die eigene Zwischenbilanz aus?
Sie fällt nach wie vor positiv aus. Klar, ich habe mir zu viele Karten und eine völlig unnötige geleistet. Und ja, ich muss eine bessere Balance erzielen in meinem Spiel. Nur ist es schwierig, den perfekten Mittelweg zu finden, ohne selber an Präsenz einzubüssen, ohne den aggressiven Zugriff zu verlieren. Aber ich bin jetzt in sieben Spielen hintereinander nicht mehr verwarnt worden.
Sie sind Captain und stehen mehr als alle anderen im Fokus.
Natürlich schauen mehr auf mich, klar bin ich deswegen in einer Vorreiterrolle. Aber wissen Sie, ich habe früh Verantwortung übernommen. Das war schon in meiner Kindheit so. Obwohl mein Bruder älter ist als ich, habe ich wichtige Aufgaben erledigen müssen zu Hause.
Ist die Binde mehr als ein Statussymbol?
Ich hätte das Amt hier nicht erwartet. Es gibt viele Mitspieler, die für die Borussia länger als ich im Einsatz stehen und einen grösseren Erfahrungsschatz vorzuweisen haben. Viele vergessen, dass ich erst 23-jährig bin. Für mich ist es Ehre und Verpflichtung zugleich, eigentlich das i-Tüpfelchen. Ich versuche noch mehr, alle mitzuziehen.
Im Nationalteam sind Ihre Führungsqualitäten ebenso gefragt. Experten und Mitspieler attestieren Ihnen das Volumen, eher früher als später die gleiche Rolle wie in Mönchengladbach zu spielen.
Solche Aussagen ehren mich. Aber in der Nationalmannschaft ist die Hierarchie klar geregelt. Vor mir stehen Spieler mit einem ganz anderen Erfahrungshintergrund.
Das klingt jetzt ziemlich bescheiden.
Ich würde mich nie öffentlich hinstellen und fordern: «Hallo, ich will hier und jetzt die gesamte Verantwortung übernehmen.» So ticke ich nicht.
Mit Ihren Leistungen senden Sie doch das Signal aus: «Seht her, ich bin da!» Wären Sie bereit zum nächsten Schritt?
Natürlich fühle ich mich bereit. Wenn von mir mehr Leadership gefragt ist, dann ducke ich mich ganz sicher nicht weg. Ich muss mich nicht verstecken, ich spiele seit vier Jahren in einer der besten Ligen der Welt oben mit.
Ist die EM bei Ihnen schon das grosse Thema?
Ich würde lügen zu behaupten, die Gedanken drehten sich bisher noch wenig bis nie um die EM. Die Spiele gegen Irland und Bosnien-Herzegowina stehen an. Schon in knapp zwei Monaten beginnt der letzte Teil der EM-Vorbereitung. Es geht sehr schnell, das Turnier rückt näher.
Sie haben schon reichlich Turniererfahrung und grosse Ziele.
Die EM ist mein viertes grosses Turnier nach der WM in Brasilien und den beiden Junioren-Endrunden. Ich bin 2014 auf den Geschmack gekommen, zum Coup gegen Argentinien fehlten nur wenige Zentimeter. Deshalb müssen wir uns ganz bestimmt nicht als die kleinen Schweizer verkaufen. Zusammen mit Frankreich sind wir in der Gruppe zu favorisieren, die Achtelfinal-Qualifikation ist ein Muss.
Der Match gegen Albanien ist Start- und Schlüsselspiel zugleich. Befürchten Sie, dass auf verschiedenen Kanälen bewusst Feuer angefacht wird?
Ich will mich eigentlich gar nicht auf solche Diskussionen einlassen.
Immer wieder wird in diesem Zusammenhang die Identifikations-Debatte angestossen.
Wenn wir nicht mit Stolz für die Schweiz spielen würden, hätten wir uns alle gar nie für das Nationalteam entschieden. Meiner Meinung nach ist dies die einzige relevante Aussage zur Angelegenheit. Wir sitzen alle im gleichen Boot, wir halten alle für die gleiche Mannschaft die Knochen hin. Dass diese Diskussionen vor ein paar Monaten (in Wien) überhaupt wieder aufgekommen sind, hätte ich nicht erwartet.
Von einem angeblichen Grabenkampf innerhalb der Mannschaft kann Ihrer Meinung nach nicht die Rede sein?
Nein, ganz sicher nicht. Es liegt doch in der Natur der Sache, dass sich in einer Mannschaft nicht alle gleich gut verstehen. Auch in Gladbach sitzen wir in verschiedenen Gruppen an den Tischen. Und dass ich beispielsweise mehr mit Rici Rodriguez zu tun habe als mit anderen, ist doch nichts Aussergewöhnliches. Ich teile mit ihm das Zimmer, wir wissen viel voneinander.
Sind Sie manchmal irritiert von der Aussendarstellung der SFV-Auswahl?
Für mich ist es enttäuschend, wenn uns unterstellt wird, wir würden nicht alle am gleichen Strick ziehen, nicht jeder sei zu 100 Prozent bei der Sache.
Stehen solche Mutmassungen im weiteren Kontext der Partie gegen Albanien? Mit welcher Message entkräften Sie die Vorwürfe?
Ich wiederhole, was ich schon mehrfach erklärt habe: Für unsere Familie ist dieses aussergewöhnliche Duell mit starken Emotionen verbunden. Nie zuvor standen sich zwei Brüder an einer Endrunde gegenüber, die den gleichen Vater und dieselbe Mutter haben. Und das soll nichts Spezielles sein?
Ist das Spiel für die Schweizer nur dann eine schwer zu lösende Herausforderung, wenn den Emotionen ein zu hohes Gewicht beigemessen wird?
Für uns könnte von Vorteil sein, schon zweimal in wichtigen Spielen (WM-Qualifikation 2014) gegen Albanien angetreten zu sein. Viele der neuen albanischen Generation, die auch für die Schweiz spielberechtigt gewesen wären, kennen diese Situation auf dem Platz noch nicht.
Unangenehm dürfte der Start zur EM so oder so verlaufen?
Albanien kann unter Umständen ein unberechenbarer Gegner sein. Sie haben in jüngerer Vergangenheit grosse Teams geschlagen – zum Beispiel Frankreich und Portugal. Sollten sie an diesem Tag besser sein als wir, wovon ich nicht ausgehe, ist das zu respektieren.