Wann waren Sie letztmals emotional berührt?
Georg Heitz: Am vergangenen Sonntagabend beim Spielen mit meiner Nichte und meinem Neffen.
Was hat Sie dabei berührt?
Sie waren verärgert, weil sie das Spiel verloren haben. Und ich möchte nicht, dass sie deswegen traurig sind.
Was hat Sie zuletzt beruflich emotional berührt?
Der Abschied von Mohamed Elneny, weil er ein spezieller Spieler ist. Er kam vor drei Jahren aus einer anderen Welt nach Basel und ist jetzt wieder in eine andere Welt gegangen. Elneny hat sich bei uns so entwickelt, dass er bereit ist für Arsenal – das hoffe ich zumindest.
Gegen aussen wirken Sie und Präsident Bernhard Heusler immer sehr rational. Ist das ehrlich?
Emotionen verleiten zu Fehlern, das ist die ganz grosse Gefahr in unserem Geschäft. Aber selbstverständlich haben auch wir Emotionen und müssen die immer wieder hinten anstellen. Emotionen sind kein guter Ratgeber. Entscheiden muss man rational, auch wenn das manchmal schwerfällt.
Wie waren Ihre Emotionen, als nach dem Transfer von Renato Steffen ein Shitstorm über den FCB hereinbrach?
Schön ist das nicht, klar. Aber es war nicht das erste Mal, dass ein Transfer für Aufregung gesorgt hat, man gewöhnt sich auch daran. Je mehr Fans ein Verein hat, desto unterschiedlicher sind die Meinungen. Und dann ist da noch der Leserbrief-Effekt: Es äussern sich mehrheitlich jene, die unzufrieden mit der Situation sind. Aber ...
Ja?
Es tut mir leid für den Spieler, wenn so etwas passiert. Wir fühlen uns schliesslich verantwortlich für unsere Spieler.
Welche Rolle hat der drohende Shitstorm gespielt bei den Verhandlungen mit Steffen?
Er ist ja ein sensibler Mensch.Wir haben ihn darauf vorbereitet, dass sich etwas zusammenbraut. Viele der Unmutsäusserungen sind im Grunde an uns Entscheidungsträger gerichtet, Steffen ist einfach der Blitzableiter. Vielleicht sind die Menschen auch zu verwöhnt von den vielen Erfolgen des FC Basel, sodass man das Haar in der Suppe zwanghaft suchen muss. Ich komme aus einer Zeit, in der die FCB-Fans froh waren, dass man einen Nestor Subiat für ein halbes Jahr ausleihen konnte, weil er beim grossen GC überzählig war. Heute holen wir von einem unserer Hauptkonkurrenten einen der besten Spieler, das zu wirtschaftlich vorteilhaften Bedingungen – und trotzdem sind einige unzufrieden damit.
Trotzdem: Hinterfragen Sie die Entscheidung, wenn der Shitstorm eintrifft?
Nein. Wenn wir einen Entscheid gefällt haben, sollten wir uns nicht hinter sinnen. Wir kennen bei jedem Transfer die Hintergründe und wissen genau, warum wir etwas tun. Es herrscht ein Mangel an Schweizer Topspielern, die für uns überhaupt infrage kommen. Oft gehen sie von anderen Schweizer Klubs direkt ins Ausland, was es für uns unglaublich schwierig macht. Es werden dann teils astronomische Summen gefordert. Es wird immer schwieriger für uns, Schweizer Spieler zu holen – trotzdem ist es für uns wichtig, einen Grundstock an Schweizern zu haben.
Wieso?
Es geht dabei um die Kommunikation zwischen Mannschaft und Publikum, die unter anderem via Medien statt findet. Als Paulo Sousa Englisch zur FCB-Amtssprache erklärte, waren nicht nur die Journalisten, sondern auch gewisse Zuschauer damit unglücklich. Kommt dazu: Ein Schweizer Spieler weiss ganz genau, was ihn beim FCB erwartet. Er weiss, dass der Meistertitel das Ziel ist. Er kennt die Atmosphäre im Stadion. Für solche Spieler ist der FCB ein wichtiges Etappenziel in ihrer Laufbahn. Für ausländische Spieler ist der FCB oftmals der erste Klub ausserhalb der Heimat, aber kein ganz so bedeutendes Etappenziel wie für einen Schweizer.
Würden Sie noch einmal einen Trainer holen, der kein Deutsch spricht?
Ich will das nicht ausschliessen. Der Trainermarkt in der Schweiz ist überschaubar. Wenn wir uns einschränken, verbauen wir uns womöglich spannende Optionen. Aber direkt nach Paulo Sousa wieder einen Trainer ohne Deutschkenntnisse einstellen, das hätten wir nicht gemacht.
Sie haben nach dem Abgang von Paulo Sousa gesagt, dass Sie sich hinter fragen und nach Fehlern suchen. Ich gehe noch einen Schritt weiter und frage: War die Schweiz reif für einen Trainer wie Paulo Sousa?
Rückblickend glaube ich, dass es richtig war, ihn einzustellen. Das erste halbe Jahr war sicher besser als das zweite. Wobei wir deutliche Anzeichen hatten, dass es ihn weiterzieht – und Beziehungen, deren Ende absehbar ist, pflegt man nicht mehr mit der letzten Sorgfalt. Zu Ihrer Frage: Natürlich sind wir nicht vor Fehlern gefeit. Und wir haben auch bei Paulo Sousa Fehler gemacht.
Haben Sie auch bei Zdravko Kuzmanovic Fehler gemacht? Haben Sie in ihm etwas anderes gesehen als das, was er wirklich ist?
Er hat sich selber einen unheimlichen Druck gemacht. Er hatte bei uns vom ersten Tag an das Gefühl, er sei derjenige, der am kräftigsten am Wagen ziehen müsse. Aber er war weder physisch noch mental bereit dazu. Die Hierarchie im Team wird über die Leistung auf dem Platz geregelt – da gab es sicher eine Diskrepanz. Es war eine Personalie, die nicht aufgegangen ist. Wir hätten ihm gerne Zeit gegeben, aber eine weitere Zusammenarbeit war zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr möglich.
Der FCB lebt in einem Spannungsfeld: Einerseits die starke Verwurzelung mit der Region. Anderseits will der FCB wachsen und internationaler werden. Wie meistern Sie den Spagat zwischen Folklore und Wachstum?
Das ist eine gute Frage, aber wahnsinnig schwierig zu beantworten. So wie der FCB heute aufgestellt ist und funktioniert, muss er weitsichtig sein, um das Level zu halten. Gleichzeitig versuchen wir, den Boden unter den Füssen nicht zu verlieren und so nah wie möglich beim Volk zu sein. Professionalität und Volksnähe aber beissen sich manchmal. Das ist in der Tat eine Schwierigkeit.
Hier die Erfolge, dort der Shitstorm, wenn mit Steffen ein umstrittener Spieler verpflichtet wird. Ist das FCB-Gebilde wackliger geworden?
Ich habe nach wie vor das Gefühl, dass viele Menschen Freude am FC Basel haben. Wir haben bereits wieder so viele Jahreskarten verkauft wie im vergangenen Jahr. Aber wir müssen aufpassen, dass wir Basler – inklusive wir vom FC Basel – nicht in eine Selbstverständlichkeit verfallen, in der nach einer Niederlage eine Welt zusammenbricht. Verlieren müssen wir wieder lernen. Von uns wird inzwischen sehr viel erwartet, das Ausscheiden in der Champions-League-Qualifikation haut uns die Öffentlichkeit noch heute um die Ohren. Dann muss aber auch klar sein, dass der FC Basel nicht – bei aller Wertschätzung – funktionieren kann wie der FC Nordstern.
Liegt für den FC Basel noch Wachstum drin?
Was verstehen Sie unter Wachstum?
Mehr Umsatz.
An ein, zwei Schrauben könnten wir noch drehen. Aber bei den internationalen Prämien und den Transfererlösen sind wir vermutlich am Limit angelangt. Um auf ein neues Level zu kommen, müssten wir sehr viel Geld in die Mannschaft investieren.
Kann denn die Super League auf ein höheres Level kommen?
Sie muss. Wenn man schaut, was rundherum abgeht. Ohne abschätzig sein zu wollen: Für uns ist der TV-Vertrag der Super League nicht budgetrelevant.
Und wird er wohl auch in Zukunft nicht sein ...
Davon ist auszugehen. Nur zum Vergleich: Bei den Verhandlungen mit dem Arsenal-Vertreter haben wir ihn aufgefordert, er solle die nationalen TV-Einnahmen des FCB schätzen. Er überlegte und sagte dann: 40 Millionen. Wir haben ihm dann gesagt, dass es leider nicht so sei, sondern etwa 30 Mal weniger. Darum müsse er noch mehr Geld bieten für Elneny (lacht).
Wie hat der Arsenal-Vertreter darauf reagiert?
Er konnte es kaum glauben. In seiner Welt gibt es 200 Millionen TV-Einnahmen. Wir erhalten durch die Abgabe der TV-Rechte und der Bandenwerbung rund 1,5 Millionen. Klar, England ist in diesem Bereich die Speerspitze. Aber die anderen Länder wie Deutschland müssen und werden nachziehen – und so den Abstand auf uns weiter vergrössern.
Kann die Super League in diesem Konzert auf Dauer mitspielen?
Ich sehe schon Möglichkeiten. Etwa das Modell, dass Grosskonzerne die Klubs aufnehmen und alimentieren. Die Super League ist nach wie vor eine attraktive Liga, wenn man schaut, wie viele Spieler von hier in Topligen wechseln. Die Engländer sagen uns, sie beobachten sehr gerne Spieler in der Schweiz. Das sportliche Niveau ist gemessen an den finanziellen Möglichkeiten sehr hoch. Wir vereinen in der Super League verschiedene Kulturen. Aber mit der europäischen Spitze werden wir nie etwas zu tun haben.
Aber Embolo wird im Sommer in Sachen «Ablösesumme für einen Schweizer Spieler» alle bisherigen Dimensionen sprengen.
Ich spreche im Zusammenhang mit ihm nicht gerne über Geld. Wir verkaufen keine Ware, sondern die Transferrechte an einem Menschen. In allererster Linie kommt es darauf an, was der Spieler will. Wir hatten damals für Xherdan Shaqiri ein deutlich höheres Angebot als jenes von Bayern München, aber Xherdan wollte nicht nach Russland. Der Transfermarkt ist kein Computerspiel. Primär stellt sich die Frage, wo der Spieler hin will. Danach ist es unsere Aufgabe, möglichst gut aus der Nummer herauszukommen.
Embolo wäre im Winter gerne nach Wolfsburg gegangen. Wie hat er den Entscheid aufgenommen?
Sein Verhalten war ganz grosse Klasse.
Genauer?
Absolut gelassen. Er hat unsere Gründe verstanden und hat nicht im geringsten Anstalten gemacht, uns Probleme zu bereiten. Viele andere Spieler hätten das in einer solchen Situation gemacht. Er hat es glaubhaft akzeptiert, nicht nur vordergründig.
Aber Embolo hat eine Lohnerhöhung gefordert.
Auch das nicht. Aber er verdient ohnehin nicht schlecht.
Erhalten jene Personen, die Embolo beim FCB betreut und trainiert haben, eine Prämie, wenn er im Sommer für viel Geld verkauft wird?
Es gibt bei Eigengewächsen eine Vereinbarung mit der Nachwuchsstiftung: Sie partizipiert bei einem Verkauf mit einer Art Ausbildungsentschädigung. Einzelne Personen für ihre Verdienste rund um Embolo zu entlöhnen, wäre viel zu kompliziert und auch nicht gerecht.
Wie lange sind Sie noch Sportdirektor des FC Basel?
Sicher nicht bis zur Pensionierung. Die Frage kann ich nicht genau beantworten, aber in zehn Jahren bin ich sicher nicht mehr FCB-Sportdirektor.
Würden Sie den Job auch bei einem anderen Klub machen?
Das hängt von den Strukturen bei einem allfällig interessierten Verein ab. Ich profitiere beim FCB sehr von den kurzen Entscheidungswegen.
Zum Beispiel?
Ich sitze in Slowenien und es geht um viel Geld, um Andraz Sporar zu verpflichten. Innerhalb von fünf Minuten bekomme ich von meinen Verwaltungsratskollegen in der Schweiz das Okay, die Offerte zu erhöhen. Bei anderen Klubs wird in einem solchen Fall erst einmal eine VR-Sitzung einberufen. Ich spüre viel Vertrauen seitens meiner Vorstandskollegen. Solche Arbeitsbedingungen als Sportdirektor finde ich nicht so schnell wieder.
Sie haben einst gesagt, dass es Sie beim FCB nur so lange gibt, wie Bernhard Heusler Präsident ist. Setzen Sie damit nicht den Klub der Gefahr aus, dass bei Ihrem Abgang und jenem von Heusler die FCB-Erfolgsformel wegbricht?
Das glaube ich nicht. Wir haben auf der Geschäftsstelle viele hervorragende Leute und im Verwaltungsrat Kollegen, auf deren Rat wir hören. Aber ich denke, mir nach den vielen Jahren hier die Freiheit rausnehmen zu dürfen, beim FCB nicht unter einem anderen Präsidenten arbeiten zu wollen. Bernhard Heusler hat mich zum FCB geholt, also werde ich auch wieder mit ihm gehen – spätestens.
Werfen wir noch einen Blick auf die Meisterschaft: Sind Sie erstaunt, dass der Abstand zur Konkurrenz bei Saisonhälfte bereits zehn Punkte und mehr beträgt?
Vor allem, weil der FCB spielerisch keine überragende Vor runde zeigte.Auch das ist eine Luxusdiskussion. Wie viele Klubs und deren Fans wären glücklich, könnten Sie darüber diskutieren, auf welche Art und Weise die Tabellenführung entstanden ist? Stellen Sie sich das mal vor!
An diesem Luxus trägt einzig und allein der FCB die Schuld.
Momentan finanziert sich der FCB selber. Aber es ist jedes Jahr ein Tanz auf der Rasierklinge, jedes Jahr! Und das erzeugt einen grossen Druck auf alle Angestellten. Uns hat die Beibehaltung des Erfolgs zu interessieren – und darum holen wir Spieler wie Renato Steffen. Wir haben eine grosse Verantwortung gegenüber unseren Angestellten und allen, die in irgendeiner Art am Erfolg partizipieren. Da geht es um Arbeitsplätze.
Wie beurteilen Sie die Saison von GC, das auf dem zweiten Platz überwintert hat?
Als sehr gut bisher. Ich glaube, dass die Grasshoppers uns noch gefährlich werden können.
Die grossartigen Resultate gegen europäische Spitzenvereine in der CL, aber auch den Nimbus als CH-Abonnement-Meister, was natürlich auch den Neid der Besitzlosen herausfordert. Seit Jahren eine höchst professionelle Vereinsführung, was sich in den permanenten Erfolgen unübersehbar niederschlägt.
Kommt die wirklich bemerkenswerte Junioren-Abteilung hinzu, wo man zahlreiche heute int. Spitzenstars auf den Weg brachte und später teilweise zu sehr guten Konditionen verkaufen konnte.