Warum ist Schwingen so erfolgreich? Auch deshalb, weil es in der Arena werbefrei ist. Warum ist es gelungen, das Schwingen in diesem Bereich werbefrei zu halten? Weil die «Sägemehl-Ajatollahs» stur sind.
Oh, es war ein Versehen! Oh, er hat es sicher nicht absichtlich gemacht! Oh, es handelt sich doch nur um ein winziges Logo! Aber wer kleine Reglements-Verletzungen toleriert und straffrei durchgehen lässt, wird bald gegen grössere machtlos sein. Der nächste Schritt ist nämlich: Aber beim Schurtenberger hat man es ja auch toleriert!
Die Kinder der Neuzeit haben bereits vergessen, wie viel Sturheit, Standhaftigkeit, Energie und Kraft notwendig waren, um das Schwingen ab den 1980er Jahren, als auch unser Sport «amerikanisiert» worden ist, vor der Kommerzialisierung zu bewahren.
Ich habe noch die Auseinandersetzungen zwischen Obmann Ernst Marti und Ruedi Hunsperger, dem König der Könige in den 1970er Jahren, miterlebt. Es war, natürlich, eine Auseinandersetzung einer Einstellung von Vorgestern (keine Werbung, basta») gegen die Neuzeit («Geld mit Werbung verdienen»). Nahezu flächendeckend war die Kritik an Ernst Marti und seinen konservativen Gesinnungsgenossen.
Ruedi Hunsperger entzog sich durch einen frühen Rücktritt – er verliess nach dem Eidgenössischen 1974 im Alter von 28 Jahren stolz und unbesiegt die Arena – weiteren schwingpolitischen Auseinandersetzungen.
Die Zwilchhosen-Funktionäre waren damals mächtiger, stärker als der König. Das wirkte. Erst unter Obmann Dr. Ernst Schläpfer – bis heute der einzige König, der auch ins höchste politische Amt des Schwingens aufrückte – ist die Werbung vor neun Jahren ins Schwingen gekommen. Klug dosiert, nur ausserhalb der Arena toleriert und politisch schlau: Die «Bösen» müssen ihre persönlichen Werbeverträge beim Verband einreichen und darauf eine Steuer von 10 Prozent («Sägemehl-Reichtums-Steuer») in die Verbandkasse abliefern.
Ohne die Sturheit der Funktionäre, ohne die Kraft des Konservatismus im letzten Jahrhundert wäre es nicht gelungen, die Seele des Schwingens in die Moderne zu retten. Dabei spielt auch eine kluge politische Einrichtung im Verband eine wichtige Rolle: Die Ehrenmitglieder haben bei der Delegiertenversammlung ein Stimmrecht. So ist es schwer, Neuerungen gegen die Überzeugung der Gralshüter des Sägemehls durchzubringen.
Heute werden in politischen Sonntagsreden, Leitartikeln, ja in Büchern die Plage des Kommerzes mit all seinen Begleiterscheinungen und der Zerfall der Sitten im Sport gegeisselt.
Nur ein Sport behauptet sich gleich dem gallischen Dorf von Asterix und Obelix im Römischen Reich gegen den verderblichen Einfluss des grossen Geldes: das Schwingen. Nur einem Sport ist es bis heute gelungen, die Balance zwischen Geld und Geist zu wahren. Dem Schwingen. Und das ist nur mit Sturheit, mit konsequenter und kleinlicher Auslegung des Werbereglements möglich.
Ist an Sven Schurtenberger ein Exempel statuiert worden? Ja, natürlich. Es liegt in der Natur jeder Obrigkeit, mit spektakulärer Bestrafung Regeln und Reglemente zu bekräftigen.
Sven Schurtenberger ist ein «Böser». Also ein Guter. Ein eidgenössischer Kranzschwinger. Bis auf dieses Werbemissgeschick ohne Fehl und Tadel. Aber wir wollen nicht übertreiben. Ob er nächste Saison bei den grossen Festen ausserhalb seines Teilverbandes antreten darf oder nicht, hat auf das Spektakel des Schwingerjahres 2020 weniger Auswirkungen als ein umgestürzter Sack Reis in Peking. Nicht eine einzige Eintrittskarte wird deswegen weniger verkauft.
Möge der Geist Ernst Martis auch die heutigen Funktionäre in dieser Frage beseelen und standhaft machen. Aber weil wir in einer neuen Zeit leben, können sie sich einen Gnadenakt erlauben: Sven Schurtenberger wie vorgesehen für die grossen auswärtigen Feste sperren – aber nicht für das Eidgenössische Jubiläumsfest am 30. August 2020 in Appenzell.
Seine Teilnahme an diesem wichtigsten Fest der nächsten Saison wäre ein schöner Akt der Versöhnung und «Wiedereingliederung», und die Kirche bliebe trotzdem im Dorf.
Es wäre sowieso klug, Sven Schurtenberger nicht zum «Märtyrer» zu machen: Die Innerschweizer sind ja bei eidgenössischen Anlässen notorisch erfolglos. Darf Sven Schurtenberger beim Eidgenössischen Jubiläumsfest nicht antreten, können die Innerschweizer sagen, diesmal hätten sie es geschafft, wenn die «Berner Mafia» nicht dafür gesorgt hätte, dass einer ihrer «Bösesten» zu Hause bleiben muss.
Das bringts auf den Punkt, den Rest des Artikels ist unötig.