Die Messer waren gewetzt. Ein befreundeter Boulevardjournalist hatte mir vor der Partie zwischen Basel und Zürich eine Wette angeboten: Es werde im und um das Stadion garantiert «räbeln», meinte er. Ich lehnte die Offerte ab. Nicht aus moralischen Gründen, sondern weil mir das Investment einfach nicht sehr erfolgsversprechend erschien.
Denn 140 Tage nach der Aufregung um die Fackelwürfe beim vorletzten Aufeinandertreffen der beiden Erzrivalen war wieder einmal gewaltig Feuer im Dach. FCZ-Anhänger hatten Tage vor der Partie einen Schelmen-Coup gelandet und rund um den St.Jakob-Park mehrere FCB-Kunstwerke übermalt. Ein Affront für die Basler Fan-Szene, der andernorts bereits martialisch zum «Graffiti-Krieg» hochstilisiert wurde.
Und wie es so ist im Krieg: Vergeltungsmassnahmen sind nicht ausgeschlossen. Mit einer ähnlichen Aktion, damals ging es um eine «entführte» Fahne, nahm 2011 das schwarze Zürcher Derby seinen Lauf. Wer kein Freund der überhitzten Diskussionen nach derartigen Zwischenfällen ist, musste bereits das Schlimmste befürchten.
Und dann tat die Muttenzerkurve wieder einmal exakt das Gegenteil dessen, was von ihr erwartet wurde. Will heissen: Nichts. Gemütlich standen die FCB-Anhänger am Sonntagnachmittag in der Sonne und feuerten friedlich ihre Mannschaft an.
Stattdessen waren einzelne Zürcher Fans auf Krawall gebürstet. Als Matias Delgado in der 35. Minute einen Eckball treten wollte, prasselten aus dem Gästesektor mehrere Feuerzeuge und mindestens eine Schnapsflasche rund um ihn auf den Rasen.
Ein Treffer wurde nicht vermeldet, doch Schiedsrichter Nikolaj Hänni ist kein Mann, der sich die Chance auf einen dramatischen Auftritt entgehen lässt. Im Stile eines Kevin Costners zu seinen besten Zeiten als «Bodyguard» brachte er den FCB-Captain in Sicherheit und verordnete eine Trinkpause. Als Delgado zwei Minuten später den nächsten Anlauf wagte, wiederholte sich die Szene. Hänni unterbrach das Spiel erneut und schickte die Teams in die Kabine.
War das wirklich nötig? Die Geister scheiden sich. FCZ-Haudegen Alain Nef markierte nach Spielschluss den harten Hund: «Sorry, das ist Basel gegen Zürich. Da weisst du doch, dass etwas fliegen wird. Da muss man nicht gleich unterbrechen. Das provoziert nur noch mehr. Hänni ist ein Selbstdarsteller.» Eigentlich eine erfrischende Aussage in Zeiten der weichgespülten Nonsens-Statements, mit denen uns mediengeschulte Fussballer Woche für Woche den Kopf verstopfen. Doch was wäre gewesen, wenn besagte Schnapsflasche Matias Delgado eben nicht verfehlt, sondern getroffen und verletzt hätte? Kann man die Schiedsrichter-Sanktion wirklich davon abhängig machen, wie gut oder schlecht ein promillegetränkter Werfer sein Ziel anvisiert?
Ins andere Extrem verfiel SRF-Kommentator Sascha Ruefer. Der benötigte handgestoppt nur läppische 30 Sekunden, um sich nach dem Zwischenfall zu einem wirklich haarsträubenden Statement hinreissen zu lassen: «Ich verstehe auch die Überlegung, dass man sagt, du lässt die Gästefans ganz draussen. Auch wenn du damit 99 Prozent strafst, die eigentlich normal sind. Aber das musst du dir wirklich einmal ernsthaft überlegen.» Ja, Sippenhaft gegen Unschuldige, hervorragende Idee! Haben sich in dunklen Phasen der Geschichte auch schon Andere gedacht.
FCZ-Präsident Ancillo Canepa ging aus dieser Krisensituation als einziger Gewinner hervor. Mit einer beeindruckenden Gemütsruhe schlenderte er während des Unterbruches zur Kurve und bedeutete dem Sicherheitsdienst, ihm Einlass zu gewähren. Im Gespräch mit Capo, Fanarbeiter und bierseelig schwankenden Jugendlichen deeskalierte der FCZ-Zampano die Situation höchstpersönlich und wurde dafür beim 1:1-Ausgleich mit echten Emotionen inmitten seines Fussvolks belohnt. Die Fans verhielten sich nun vorbildlich. Die Punkte gingen Canepas Mannschaft danach zwar trotzdem verloren, doch immerhin hat er die Partie wohl vor dem Abbruch bewahrt.
Mit seiner Aktion hat der FCZ-Präsident drei Dinge bewiesen. Erstens: Mut. Zwar sollte man einen Besuch in der Kurve nicht zu einem lebensgefährlichen Akt hochjazzen, doch das Verhältnis zwischen Canepa und Teilen der Fans ist traditionell stark belastet. Dass sich der körperlich hoffnungslos unterlegene Mann trotzdem mitten in den Pulk begibt, um Schaden von seinem Klub abzuwenden, ist ihm hoch anzurechnen.
Zweitens: Lernfähigkeit: Noch am 12. April hatte Canepa den Gang in die Kurve kategorisch ausgeschlossen. Damals, als Fackeln auf den Joggeli-Rasen flogen, hatte er einen solchen Vorschlag mit folgenden Worten quittiert: «Was soll ich dort? Die besoffenen Idioten hören mir eh nicht zu.» Nun regt er sich noch immer fürchterlich über die Einzeltäter auf und wird die unweigerlich folgende Busse nur mit der Faust im Sack bezahlen – doch er ist nun bereit dazu, sich dem Dialog mit den Fans zu stellen.
Drittens: Eben dieser Dialog scheint weiterhin der Königsweg im Umgang mit der durch Einzelpersonen verursachten Fanproblematik zu sein. Die SFL hat ihre Schiedsrichter als harte Erziehungsmassnahme dazu angehalten, das Spiel bei der kleinsten Störung zu unter- und im Wiederholungsfall sogar abzubrechen. Wie sehr diese Taktik die Stimmung in kritischen Situationen weiter aufheizt, liess sich gestern zwischen Delgados erstem und zweiten Eckballversuch hervorragend beobachten. Nicht auszudenken, was ohne Canepas Eingreifen rund um den St.Jakob-Park los gewesen wäre, hätte man die Partie tatsächlich abgebrochen. Falls mein Boulevard-Kollege noch einen Wettpartner gefunden hat, wäre ihm der Hunderter wohl sicher gewesen.
Deshalb: Bravo, Herr Canepa! Sie haben alles richtig gemacht.
Disclaimer: selbstverständlich verurteile ich die gestrigen Würfe.
Ich freue mich immer wieder über die differenzierten Berichte zu dieser Thematik. Aber bitte hört auf Bilder der Kurve ins Netz zu stellen oder verpixelt die Gesichter wenigstens. Klar wäre es besser, wenn dies nicht nötig wäre, doch in Zeiten, in denen jeder Kurvegänger schon fast als Hooligan gilt, ist dies leider zum Schutze der abgebildeten Fans notwendig.