Seit 32 Jahren hat die Schweiz an einer alpinen Ski-WM nicht mehr so viele Medaillen geholt wie in den letzten zwölf Tagen in Cortina d'Ampezzo. Neunmal durften eidgenössische Wintersport-Fans über Edelmetall jubeln, keine andere Nation hat mehr Medaillen geholt. Endlich sind wir im Skirennsport also wieder dort, wo wir nach unserem Selbstverständnis schon immer hingehörten: An der Spitze.
Dennoch bleibt im Land die ganz grosse Euphorie aus. Vielerorts machte sich gegen WM-Ende gar eine leise Enttäuschung breit. Doch warum ist das so? Die Antwort ist simpel. Weil die Erwartungshaltung nach dem bisherigen Saisonverlauf fast schon unanständig hoch gewesen war und am Ende noch viel mehr möglich gewesen wäre als diese neun Medaillen.
Zunächst lief alles nach Plan: Der Doppelsieg im Super-G von Lara Gut-Behrami und Corinne Suter, die Kombi-Medaillen von Loic Meillard und Michelle Gisin, das Nachdoppeln von Suter und Gut sowie der «ewige» Beat Feuz, der auch in einer Abfahrt, die alles andere als auf ihn zugeschnitten war, noch aufs Podest fuhr.
Doch in der zweiten WM-Woche kam der grosse Kater auf. In den sportlich fragwürdigen Parallel-Rennen fehlte der Schweiz das Pisten- und das Hundertstel-Glück und in den Technik-Bewerben ging bis auf den zweiten WM-Titel von Gut-Behrami eigentlich alles in die Hose, was in die Hose gehen konnte.
Wendy Holdener zerbrach am selbst auferlegten Druck und weinte am Ende bittere Tränen. Erstmals seit 2015 ging die Schwyzerin an einem Grossanlass leer aus. Marco Odermatt zahlte Lehrgeld für sein Mammutprogramm und musste mit einem vierten Platz in der Abfahrt als Bestresultat aus Cortina abreisen. Für die Slalom-Cracks setzte es am Schluss die Erkenntnis, dass die anderen Nationen nicht geschlafen haben und an den Schweizern vorbeigezogen sind.
Vorbeigezogen an den Schweizern sind im Medaillenspiegel auch die Österreicher. Obwohl die ÖSV-Athleten eine Medaille weniger holten als ihre Konkurrenz von Swiss Ski, stand die angeschlagene Ski-Grossmacht der Schweiz dank fünfmal Gold wieder vor der Sonne. Vincent Kriechmayr und Katharina Liensberger sei Dank, die beide zum richtigen Zeitpunkt ihre Bestleistung abriefen und sich wie Gut-Behrami Doppel-Weltmeister nennen dürfen.
Dass die Österreicher dabei das Hundertstel-Glück oft auf ihrer Seite hatten, tut der Schweizer Enttäuschung keinen Abbruch. Denn der Ski-Nation geht es am Ende vor allem darum, endlich wieder dauerhaft vor den Österreichern zu liegen. Und das haben wir in Cortina mal wieder verpasst.
Doch allzu lange wollen wir nicht hadern. Nach dem Rennen ist ja schliesslich vor dem Rennen, wie Sepp Herberger gesagt hätte, wenn er denn Ski- und nicht Fussball-Trainer gewesen wäre.
Die Ski-Saison ist noch längst nicht fertig. Im Weltcup stehen noch 22 Rennen auf dem Programm und es gibt noch viel zu gewinnen. Zunächst einmal kleine Kristallkugeln und grosse Kristallkugeln: Beat Feuz, Lara Gut-Behrami und Corinne Suter könnten ihre Saison krönen; Marco Odermatt, Ramon Zenhäusern, Wendy Holdener und Michelle Gisin sich für die nicht wunschgemäss verlaufene WM rehabilitieren.
Und dann ist da ja auch noch die Nationenwertung, in der die Schweiz zum zweiten Mal in Serie die Österreicher hinter sich lassen könnte. 749 Punkte beträgt der Vorsprung. Spätestens wenn Swiss Ski diese Führung über die Runden bringt, ist auch der leise WM-Frust vergessen.
Und trotz allem Pech gab es eine wahre Medallienflut. Ist doch schön, dass wir trotz den Erfolgen mehr hätten erreichen können.