Was war das für ein Start in das gestrige Halbfinal-Rückspiel zwischen Atlético und Real Madrid. «Atléti», dem niemand hier auf der watson-Redaktion noch irgendeine Chance gegeben hat, ist nach 16 Minuten plötzlich wieder voll dabei.
Saul Niguez per Kopf und Antoine Griezmann per Penalty bringen das Heimteam 2:0 in Führung und das Estadio Vicente Calderon zum Beben. Noch ein Tor und das 0:3 aus dem Hinspiel wäre wettgemacht. Nachdem ich zu Beginn ernsthaft erwägt habe, das Hockey-WM-Spiel Deutschland gegen die Slowakei der Champions League vorzuziehen, war ich nun voll dabei. Naja, bis zur 42. Minute.
Dann kamen Karim Benzema, Toni Kroos und Isco und zerstörten nicht nur Atléticos Hoffnungen, sondern auch das Spiel. Es war ein wunderschönes Tor – unglaublich herausgespielt von Benzema. Ein Tor, über das ich mich als neutraler Fussballfan normalerweise freue. Aber ich freute mich nicht. Denn die Spannung war weg. Aufgrund der Auswärtstor-Regel hätte Atlético plötzlich nochmals drei Tore gebraucht – in einer Halbzeit gegen Real ein Ding der Unmöglichkeit.
Ich fragte mich mal wieder, weshalb die Auswärtstor-Regel im Fussball immer noch existiert. Klar, sie dient vor allem dazu, langwierige Verlängerungen oder – noch schlimmer – Penalty-Lotterie zu verhindern. Leider macht diese Regel aber vor allem Rückspiele unattraktiv, das Wunder von Barcelona mal ausgenommen. Einerseits, weil im Rückspiel genau so viel Resultat-Fussball gespielt wird wie im Hinspiel. Andererseits, weil ein Auswärtstor – wie gestern in Madrid – ein Spiel töten kann.
Weshalb soll ein Auswärtstor überhaupt noch «belohnt» werden? Ist es heutzutage immer noch schwierig in fremdem Stadien ein Tor zu erzielen? Ich finde nicht. Reisestrapazen gibt es für den modernen Fussballer mit Charterflügen und modernen Manschaftsbussen nicht mehr. Und auch die Platzverhältnisse sind heutzutage meistens so gut, dass keine signifikanten Unterschiede zu spüren sind. Selbstverständlich spielt man lieber vor dem eigenen, jubelnden Anhang, statt vor einer pfeifenden Meute von Gästefans. Das alleine rechtfertigt in meinen Augen aber nicht, weshalb ein Auswärtstor in entscheidenden Moment plötzlich wertvoller sein soll.
The Isco kid may have clinched it. Bloody away goal rule kills another belting game.
— Gary Lineker (@GaryLineker) 10. Mai 2017
In der Champions Hockey League – man möge es mir verzeihen, dass ich hier die Brücke zum Eishockey schlage – gibt es in der K.o.-Phase keine Auswärtstor-Regel. Nun ist diese Liga auch nach drei Jahren immer noch ein billiger Abklatsch des Pendants aus dem Fussball, aber dieses Detail ist lobenswert.
In der CHL wird nach einer Woche Pause theoretisch beim Spielstand aus dem Hinspiel weitergespielt. Bei Gleichstand nach 120 Minuten gibt's eine 10-minütige Verlängerung und danach ein Penaltyschiessen. Anfangs war ich gegenüber diesem Modus kritisch eingestellt. Ich habe dann aber schnell gemerkt, dass mir das gefällt.
Es gibt kein mühseliges Rechnen, bei welchem Spielstand welches Team weiterkommt. Die Teams verwalten in Hin- und Rückspiel nicht nur das Resultat. Und es gibt keine Partien, die bereits vor dem Ende durch ein einziges Tor entschieden sind. Dieses Format würde auch die K.o.-Phase in der Fussball-Champions-League attraktiver machen. Und Atlético hätte am Mittwoch so auch in der zweiten Halbzeit noch einen kleinen Hoffnungsschimmer gehabt.
Sollte man dann hohe Niederlagen im Heimspiel auch abschaffen?
Wenn man das am Beispiel der Super League anschaut, anscheinend schon.
Im Moment haben 6 der 10 Teams in Heimspielen eine positive Torbilanz.
In Auswärtsspielen sind es hingegen nur gerade mal 2 Teams. Basel mit +23 und YB mit mickrigen +1.
Selbiges lässt sich auch in den anderen Ligen sehen.
Positive Torbilanzen:
Bundesliga (Heim 11/20, Auswärts 4/20)
Ligue 1 (14/20, 5/20)
Primera Division (14/20, 4/20)