Er lauerte ihr auf, drosch mit einem Schlagstock auf ihr rechtes Bein ein und liess sie schreiend zurück. Am 6. Januar 1994 löste Shane Stant einen der grössten Skandale der Sportgeschichte aus, als er die amerikanische Eiskunstläuferin Nancy Kerrigan schwer verletzte. «Ich wusste genau, was ich tun wollte. Ich bin Rechtshänder, sie hatte mir ihren Rücken zugekehrt. So hatte ich den perfekten Winkel, um ihr gegen das rechte Bein zu schlagen», erzählte Stant im Interview mit der «Bild am Sonntag».
Die damals 24-Jährige war gerade beim Training in Detroit und bereitete sich auf die US-Meisterschaften der Eiskunstläufer vor. Es sollten die beiden Starterinnen für die Olympischen Winterspiele sechs Wochen später in Lillehammer ermittelt werden. Kerrigan stand in Konkurrenz mit Tonya Harding, mittlerweile Tonya Price, doch zu dem Duell ist es nie gekommen.
Denn als Kerrigan das Eis zwischenzeitlich verliess und in den Katakomben verschwand, folgte ihr Stant und schlug genau einmal zu. «Nach dem Treffer ging sie zu Boden. Ich blickte nicht zurück, aber ich konnte sie schreien hören», sagte er weiter. Hardings grösste Konkurrentin war ausgeschaltet, der Täter entkam zunächst unerkannt.
Acht Tage später aber stellte sich Stant dem FBI. Er sei vom früheren Ehemann Hardings, Jeff Gillooly, und dessen Kumpel Shawn Eckardt angeheuert worden. «Ich erhielt 6'800 Dollar plus Spesen. Wir sollten aber noch einen Nachschlag im Erfolgsfall erhalten – vielleicht vier-, fünfmal so viel. Sie rechneten damit, dass Tonya Harding viel mehr Sponsoren bekommen würde, wenn Kerrigan bei Olympia ausfallen würde», so Stant.
Doch es kam anders als gedacht. Kerrigans Knie heilte in Rekordzeit, und obwohl sie sich sportlich nicht qualifiziert hatte, erhielt sie vom US-Verband einen Freifahrtschein und durfte am Wettbewerb teilnehmen. Auch Harding war dabei, blieb am Ende jedoch erfolglos: Kerrigan holte Silber, Harding scheiterte an sich selbst, als ihr beim Warmlaufen zur Kür das Schuhband riss. Am Ende wurde sie nur Achte. Später wurde der prominente Fall unter dem Titel «I, Tonya» sogar verfilmt.
Die schnelle Heilung hatten die Auftragsgeber nicht erwartet und wollten laut Stant im Vorfeld ohnehin etwas anderes: «Sie schlugen vor, dass ich Kerrigan die Achillessehne durchschneide», sagte er. Stant selbst aber war der Meinung, «dass das nicht nötig wäre. Wenn es nur darum geht, dass sie nicht antreten kann, muss man ihr nicht den Fuss abschneiden.»
Dass das Attentat einmal in die Geschichte eingehen würde, hatte Stant nicht erwartet: «Direkt danach war ich ziemlich zuversichtlich, nicht erwischt zu werden. Niemand hatte mich fotografiert, es gab kein Video», sagte er. Mithilfe seines Onkels, der im Wagen vor der Detroiter Cobo-Arena wartete, war er damals geflüchtet. «Mir war klar, dass alle, die damit etwas zu tun hatten, den Mund halten würden. Tonya würde nichts sagen, ihr Mann Jeff, mein Onkel Derrick auch nicht. Natürlich dachte ich, dass auch der andere Auftraggeber Shawn Eckardt nichts sagen würde, aber das stellte sich als grosser Irrtum heraus.»
Eckardt hatte sich laut Stant verplappert, «dass in Kürze etwas Grosses passieren würde. Es würde ein Anschlag auf eine Weltklasse-Athletin passieren. Als die anderen ihm nicht glaubten und sich über ihn lustig machten, legte er nach», so Stant. Eckardt soll die Planungsgespräche aufgezeichnet haben. Stant hatte sich dann nach den TV-Bildern, in denen auch sein Onkel zu sehen gewesen sein soll, dem FBI gestellt. Er bekam 18 Monate Gefängnis, von denen er 15 Monate absass. Dazu 36 Monate auf Bewährung. Auf Tonya Harding war er selbst nie persönlich getroffen.
Harding wies damals alle Anschuldigungen gegen ihre Person zurück. Sie habe nichts geahnt, sei ebenso schockiert wie alle anderen, schwor sie damals. Erst 24 Jahre später räumte die «Eishexe» ein, doch nicht ganz so unschuldig gewesen zu sein: Sie habe im Vorfeld der Ereignisse ein Gespräch zwischen ihrem Ehemann und dem späteren Angreifer mitbekommen und geahnt, worum es gegangen sei. 1994 konnte ihr noch nichts nachgewiesen werden.
Die mittlerweile 53-Jährige wurde nach Lillehammer wegen Justizbehinderung zu drei Jahren Haft auf Bewährung und 500 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Dazu kamen Geldstrafen und der Ausschluss auf Lebenszeit vom US-Eislaufverband. Auch ihr Ansehen in der Öffentlichkeit schwand: «Leute haben meine Haustür, meinen Briefkasten und meine Trucks mit Kot beschmiert. Ich wusste, dass der Vorfall mein ganzes Leben lang mit mir verbunden sein würde», sagte die heutige Tonya Price einst.
Verwendete Quellen:
Logischerweise wird bei so einer Tat das Umfeld der direkten Konkurrenten zuerst und am stärksten durchleuchtet.