Am 15. März 2021 gibt Sprinter Alex Wilson eine positive Dopingprobe ab. In seinem Urin findet sich das anabole Steroid Trenbolon. Zwar ist der 32-Jährige nach einigen juristischen Unstimmigkeiten und einem Urteil des Internationalen Sportgerichthofs (CAS) seit dem 27. Juli provisorisch gesperrt. Das ordentliche Verfahren gegen Wilson ist aber nach wie vor pendent.
Dieser Umstand ist der Tatsache geschuldet, dass beide Parteien – die nationale Antidoping-Agentur als Ankläger, die Anwälte von Alex Wilson als Verteidiger – im Verlauf des Verfahrens Aufschub beantragten. Zuerst änderte der Schweizer Rekordmann die Begründung für die positive Probe.
Nicht mehr ein übermässiger Konsum von kontaminiertem Fleisch aus der Rindermast steht im Vordergrund, sondern eine mutwillige Verabreichung der Substanz durch einen Konkurrenten. Wilsons Verteidigung will dafür Beweise oder zumindest Indizien haben.
Umgekehrt benötigte Swiss Sports Integrity mehr Zeit, um die neue Theorie einzuschätzen und argumentativ darauf zu reagieren. Dazu kommt, dass Wilsons Name zu Beginn des Jahres auf einmal bei einem anderen Dopingfall auftauchte. Das FBI und die amerikanische Antidoping-Agentur Usada ermitteln gegen den texanischen Naturheilpraktiker Eric Lira.
Dieser soll die während den Olympischen Spielen gesperrte und inzwischen zu einer zehnjährigen Sperre verurteilte nigerianische Sprinterin Blessing Okagbare mit Wachstumshormonen und Epo versorgt haben. Und Lira hatte erwiesenermassen Kontakt zu mehreren weiteren Athleten, darunter auch Alex Wilson.
Dieser gab gegenüber den Ermittlern an, dass er Lira erst im Juni 2021 – also drei Monate nach seiner Trenbolon-Probe – kennengelernt und bei ihm zwei legale Behandlungen gemacht habe. Eine Therapie gegen seine akuten Rückenschmerzen im Juni und drei Wochen später einen Aufenthalt in einer Unterdruck-Kammer in Liras Wohnort El Paso als Olympiavorbereitung.
Dieser Umstand ist nicht Bestandteil des aktuellen Verfahrens vor der Disziplinarkammer von Swiss Olympic. Dort geht es in der Verhandlung am 22. Juni einzig und allein um die positive Dopingprobe. Wilsons Verteidigung beantragt beim dreiköpfigen Gericht einen Freispruch. Man glaubt auch dank der Analyse einer Barthaar-Probe des Sportlers, die eine regelmässige Einnahme von Trenbolon ausschliesst, gute Argumente zu haben.
Swiss Sport Integrity seinerseits fordert eine vierjährige Sperre, was gleichbedeutend mit dem Karriereende von Wilson wäre. Der Entscheid wird nach der Verhandlung nicht lange auf sich warten lassen. Einerseits urteilt die DK nach den Verhandlungen erfahrungsgemäss sehr schnell, andererseits schreibt das Dopingstatut vor, dass dieser Entscheid innert 20 Tagen kommuniziert werden muss. Die Öffentlichkeit wird voraussichtlich noch vor den Sommerferien Bescheid wissen.
Ob mit dem Entscheid das letzte Wort im Fall Wilson gesprochen ist, weiss man hingegen aus mehreren Gründen noch länger nicht. Einerseits kann es bis zur Publikation der ausführlichen Urteilsbegründung durch die DK bis zu drei Monate dauern. Und danach bleibt den Parteien ein weiterer Monat, um zu entscheiden, ob man das Urteil vor das CAS weiterzieht. Das Sportgericht in Lausanne würde dann – wohl erst 2023 – einen definitiven Entscheid fällen.
Andererseits wurde Alex Wilson anfangs Juni auch von der Antidoping-Organisation (AIU) des Leichtathletik-Weltverbands befragt. Und eine zweite Einvernahme steht noch an. Die Dopingermittler versuchten in der Befragung einen Zusammenhang zwischen Wilsons Kontakt zu Lira und der Trenbolon-Probe herzustellen.
Sollten weitere Anschuldigungen tatsächlich belegt werden können, würde gar eine achtjährige Sperre drohen. Allerdings gab sich ein Insider aus dem Umfeld von Wilson sehr optimistisch, dass diese Untersuchung in einer Sackgasse endet, «weil da schlicht nichts ist».
Auch das FBI soll nicht (mehr) gegen Alex Wilson ermitteln, so ein Gerücht aus den USA. Ob sich die Bundesbehörde jedoch tatsächlich während der weiterlaufenden Untersuchung gegen Eric Lira so weit aus dem Fenster lehnt, solche Aussagen zu tätigen, wird von Juristen bezweifelt. Andererseits ist auch nicht öffentlich bekannt, ob staatliche Stellen in Übersee überhaupt je gegen Wilson vorgingen, da er weder in den USA lebt noch Amerikaner ist.
Die US-Antidopingbehörde hingegen tut es garantiert. Alex Wilson selbst und seine Anwälte sollen trotzdem gemäss Insider nach wie vor felsenfest überzeugt sein, dass sie als unbescholtene Gewinner aus dem ganzen Verfahren herauskommen.
Jetzt soll ihm jemand mutwillig Drogen verabreicht haben? Bei einem Usain Bolt oder Justin Gatlin könnte man das ja noch glauben, aber bei einem Alex Wilson? Come on.