Der Hochsprung-Wettkampf im Olympiastadion von Tokio hatte sein Ende gefunden, doch eine Entscheidung stand noch aus: Sowohl Mutaz Essa Barshim als auch Gianmarco Tamberi hatten die 2,37 Meter gemeistert, ein Stechen sollte nun den Olympiasieger küren. Doch soweit kam es nicht: die langjährigen Freunde aus Katar und Italien einigten sich darauf, auf einen letzten Sprung zu verzichten und sich stattdessen beide mit der Goldmedaille auszeichnen zu lassen.
«Können wir beide Gold haben?», fragte Barshim einen IOC-Funktionär, der die beiden Athleten über das Prozedere des Stechens informieren wollte. «Das ist möglich», antwortete der verblüffte Wettkampfrichter.
Es waren die Worte, auf die der Katari gehofft hatte. «Lass uns Geschichte schreiben», rief er Tamberi mit einem überglücklichen Lächeln zu, ehe der Italiener ihm völlig aufgelöst um den Hals sprang.
Was danach folgte, war pure Freude bei beiden Hochspringern. Tamberi schrie und sank ungläubig zu Boden, Barshim lief mit geballter Faust zur Tribüne und umarmte seinen Trainer. Die wenigen Zuschauer und Funktionäre im ansonsten trostlosen, leeren Tokioter Stadion bejubelten diesen menschlich als auch sportlich herausragenden olympischen Moment.
«Ich bin überglücklich», sagte Barshim nach dem Wettkampf im Gespräch mit t-online. «Niemand hat entschieden, wir haben uns einfach nur angeschaut. Er (Tamberi, Anm. d. Red.) ist einer meiner besten Freunde. Es ist wie ein Traum, der wahrgeworden ist», rekapitulierte der 30-Jährige den historischen Moment.
Auch Tamberi äusserte sich zum Doppel-Gold. «Ich war sehr fokussiert auf meine Technik und dann kam der Offizielle zu uns und hat uns gefragt, ob wir die Regeln kennen. Mutaz und ich haben uns angeschaut und mussten anfangen zu lachen und haben uns umarmt. Wir haben nicht einmal geantwortet. Wir wollten es beide so sehr, wir sind sehr gute Freunde und haben die gleiche Verletzung durchgemacht. Wir haben es uns beide erträumt und es ist passiert, es ist eine magische Nacht», schilderte der 29-Jährige den entscheidenden Moment aus seiner Sicht.
Tamberi weiter: «Ich bin auch mit anderen Athleten befreundet, aber ich hätte niemals meine Medaille mit jemand anderem geteilt. Es ist nicht so, dass ich die anderen nicht respektiere, aber Mutaz hat dasselbe erlebt wie ich (Knöchelbruch, Anm. d. Red.). Und ich weiss, was es heisst von dieser Verletzung zurückzukommen und wie frustrierend es sein kann.»
Der Italiener sparte nach dem grössten Erfolg seiner Karriere nicht an lobenden Worten für Barshim. «Er ist der grösste Hochspringer jemals», betonte Tamberi, «wenn ich einen Hochspringer zeichnen müsste, dann würde ich ihn zeichnen.» Trotz der Konkurrenz in den vielen Wettbewerben, die sie bereits gegeneinander bestritten haben, «sind wir Freunde geworden», so Tamberi: «Wir teilen die gleichen Werte, ich war auf Mutazs Hochzeit. Wir sind Freunde.»