Am Ende eines dramatischen Saisonauftakts mit zwei Trainingsstürzen ist Tom Lüthi (33) nach einem 10. Platz erleichtert.
Platz 10! Es ist sein zweitschwächster Start in eine Moto2-WM überhaupt. Nur 2013 (11.) war er im ersten Rennen noch weiter hinten klassiert. Damals beendete er die WM schliesslich auf Rang 6. Zuletzt hat er die Moto2-WM fünfmal hintereinander in Katar mit einem Podestplatz begonnen.
Diese Auflistung zeigt: der Saisonstart ist gründlich missglückt.
Dabei schien Tom Lüthi so gut wie noch nie zu sein. Alles schien zu stimmen. Viel muss also passieren, dass der WM-Topfavorit froh ist, dass es wenigstens für einen 10. Rang gereicht hat.
Nachdem die Trainings am Samstagabend vorüber sind, dreht sich nach dem miserablen Resultat (18.) alles um das Thema Technik. Tom Lüthi sagt, seine Techniker und er seien einfach nicht dazu in der Lage, die Maschine zu verstehen und die richtige Abstimmung zu finden.
Ist es nun über Nacht gelungen, fürs Rennen die richtige Abstimmung zu finden und die Höllenmaschine zu verstehen?
Der grosse alte Mann der Moto2-Klasse gibt sich alle Mühe, diesen Eindruck zu vermitteln. Das Motorrad sei in der Nacht aufs Rennen total umgebaut und das Problem gelöst worden. «Aber ich musste im Rennen eine Mammutaufgabe bewältigen: ich musste die Maschine wieder neu kennen lernen und ans Limit gehen.»
Auf hartnäckiges Nachfragen, ob denn nun die Lösung gefunden worden sei, sagt er: «Ja». Aber das Problem könne er nicht benennen. Es sei einfach gelungen, die Balance wieder zu finden. Und er betont: «Ich sage ausdrücklich, dass WIR das Problem gelöst haben. Es war Teamarbeit». Der Friede im Team ist also gewahrt. Eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Fortsetzung der Saison.
Aber in dieser Geschichte mit dem «alten Mann und seiner Höllenmaschine» bleibt eine grosse Frage: hat Tom Lüthi mit dem Mut eines Löwen im Rennen den technischen Problemen getrotzt und den Schaden im Rahmen gehalten oder war es die Weisheit der Techniker, dass es einigermassen glimpflich ausgegangen ist?
Technische Problemlösung ist im Töffrennsport eigentlich eine Mischung aus technischer Weisheit und «Voodoo». Will heissen: Tatsächlich wird nach einer Verbesserung gesucht, die sehr schwierig zu finden ist, weil es um Details geht und der Teufel im Detail steckt.
Um diesen Teufel auszutreiben, ist immer auch ein bisschen «Voodoo» unerlässlich: mit bedeutungsschweren Gesichtern in die Bildschirme der Computer gucken, anerkennend nickend um die Höllenmaschine herumstehen, so die Dämonen der Zweifel verscheuchen und so tun, als habe man endlich die Lösung gefunden. Um dem Fahrer das Gefühl zu geben, dass nun alles viel besser ist. Was sehr oft funktioniert.
War es also technische Weisheit plus ein bisschen «Voodoo» oder ganz einfach der Löwenmut des alten Piloten?
Es war wohl sehr, sehr viel «Voodoo», ein bisschen technische Detailarbeit und Tom Lüthis Löwenmut. Nach gutem Start rückt er rasch auf Rang 12 vor, erreicht bei Rennmitte zeitweise die gleichen Rundenzeiten wie die Spitze.
Aber ein weiteres Aufrücken verhindert ein technisches Problem. «Der erste Gang ist in der Anbremsphase herausgesprungen und ich konnte mit Gardner nicht mehr mithalten.» Der Sohn der australischen Töff-Legende Wayne Gardner erreichte schliesslich Rang 5.
Erst die nächsten Rennen werden zeigen, ob Tom Lüthis Schrauber tatsächlich eine Lösung gefunden haben und aus der Mischung ihrer Weisheit, «Voodoo» und dem Mut des Fahrers wieder eine Sieger-Mischung wird. Wir wissen nur, dass Tom Lüthis fahrerisches Können nicht das Problem ist.
Das Datum für die nächste Bewährungsprobe ist wegen der Virus-Weltkrise nach wie vor offen. Der nächste GP in Thailand ist bereits in den Herbst hinein verschoben worden und die Absage der nächsten Rennen in Texas (5. April) und Argentinien (19. April) wird erwartet. Möglich, dass es erst am 3. Mai in Spanien (Jerez) weiter geht.
Bis dahin wird der alte Löwe daheim im emmentalischen Linden seine «fahrerische Krallen» weiter wetzen. An ihm wird die «Operation WM-Titel» nicht scheitern.