Schon einmal hat ein Töffstar die gesamte Sportwelt überrascht: 2005 wird 125er-Weltmeister Tom Lüthi, mit 19 Jahren noch fast ein «Töfflibueb» vor dem dreifachen Wimbledon-Sieger Roger Federer Sportler des Jahres – Federer wird im gleichen Jahr dafür Weltsportler des Jahres. Alle Experten im Wahlausschuss hatten sich für den Tennis-Weltstar ausgesprochen. Das TV-Publikum aber sorgte für eine Entscheidung des Herzens über den Verstand und sorgte dafür, dass Tom Lüthi als erstem Töffrennfahrer die Ehre zuteil wurde. Nie vorher und nachher hat die Wahl zum Sportler des Jahres so heftige Polemik ausgelöst.
Kann so etwas ein zweites Mal passieren? Der Einfluss des TV-Publikums auf die Wahl ist inzwischen etwas zurückgestutzt worden. Trotzdem hat erstmals seit 2005 wieder ein «Asphalt-Cowboy» Chancen, den Titel dieses Jahr zu gewinnen: Dominique Aegerter.
Wichtig zu wissen: Trotz weltweit stark eingeschränktem Sportprogramm gibt es auch 2020 die Wahl zum Sportler des Jahres. Die Viruskrise führt nicht dazu, dass der Titel erstmals seit seiner Einführung 1950 nicht vergeben wird. Roland Mägerle, Leiter SRF Sport & Leiter Business Unit Sport beim staatstragenden Fernsehen lässt ausrichten: «Auch 2020 soll der Schweizer Sport im Rahmen der «Sports Awards» angemessen gewürdigt werden. In welcher Form eine Gala realisiert werden kann, wägen das Projektteam der SRG und der Wahlausschuss der «Sports Awards» gemeinsam ab. Aufgrund der unberechenbaren Lage werden verschiedene Szenarien vorbereitet.» Der Ausstrahlungstermin der Livesendung am 13. Dezember 2020 auf den SRG-Sendern stehe jedoch definitiv fest. Ob und wie viele Gäste vor Ort sein werden resp. im Publikum sitzen, hänge von der aktuellen Corona-Situation ab.
Also: es wird in irgendeiner Form einen Sportler des Jahres geben. In einem Jahr ohne olympische Spiele, also ohne goldene olympische Helden und mit einer stark eingeschränkten Anzahl internationaler Titelkämpfe. Sollen wir nun einen der Skistars wählen, die noch vor der Virus-Krise ihre Künste vorgeführt haben? Oder doch einen Sporthelden, der sich während mehreren Monaten in einem harten internationalen Welt-Titelkampf bravourös durchgesetzt hat? Also einen wie Dominique Aegerter?
Soeben hat der 29-jährige Rohrbacher beim GP von Österreich seine ersten Moto2-WM-Punkte der Saison herausgefahren. Als Ersatz für Jesko Raffin, der mit gesundheitlichen Problemen ausfällt und auch beim Rennen in einer Woche auf der gleichen Strecke seinen Platz Dominique Aegerter überlässt. Auf dem Weg zu diesem 12. Platz ist Dominique Aegerter um Sekundenbruchteile einem schweren Unfall entkommen: Der vor ihm dahinrasende Hafizh Syahrin krachte in die auf der Piste liegen gebliebene Maschine von Enea Bastianini, stürzte schwer und seine Maschine wurde hoch in die Luft geschleudert. Glücklicherweise erlitt der Malaie nach ersten Informationen keine schweren Verletzungen.
Horrific crash. Hafizh Syahrin concious. Get well soon bro pic.twitter.com/X4pTL5hEbk
— Syairul Syazwin 🇲🇾 (@SyairulSyazwin) August 16, 2020
Dominique Aegerter schildert diese Schrecksekunde so: «Ich hatte Glück, dass ich nicht von der durch die Luft fliegende Maschine Syahrins getroffen worden bin.» Reflexartig sei er vom Gas gegangen, habe aber gleich wieder Vollgas gegeben. «Aber ich war schon erleichtert, dass das Rennen gleich abgebrochen worden ist.» Nach dem Neustart sind noch 13 Runden gefahren worden.
Aber bei einer Wahl zum Sportler des Jahres zählen nicht glücklich überstandene Dramen. Sondern Siege. Dominique Aegerter ist diese Saison der Star der elektrischen Töffs und führt den MotoE-Weltcup an. Die nächsten Rennen werden am 13. und 20. September in Misano ausgefahren.
Gewinnt er diesen Weltcup, dann müsste er eigentlich Sportler des Jahres werden. So wie damals Tom Lüthi. Erstens gewinnt er dann in einem Dauerwettbewerb und nicht bloss einen einzigen Wettkampf. Zweitens wird sein Triumph den TV-Zuschauern Anfang Dezember noch in frischer Erinnerung sein: Die finale Entscheidung fällt im letzten Rennen am 15. November. Und drittens, eigentlich am wichtigsten: Er würde in einem «grünen» Sport triumphieren. In einem Motorsport mit leise surrenden Elektromotoren. Seine Wahl wäre eine Anerkennung für die neue, gefragte Technologie von morgen für rassige Fahrzeuge ohne Verbrennungsmotoren und für den Klimaschutz.
P.S. Tom Lüthi fuhr auf den 7. Platz. Die Art und Weise, wie der 33-Jährige in der Schlussrunde mit Biss und Mut gegen die wilden Jungen Augusto Fernandez (23) und Aron Canet (21) noch zwei Plätze gutgemacht hat, zeigt erneut: Er wäre nach wie vor bei weitem gut genug für Spitzenplätze und Siege. Aber er muss gegen die Windmühlen der Technik kämpfen und ist das Opfer der – excusez l’expression – dilettantischen technischen Betreuung in seinem Team, die ihn nun die fünf ersten Rennen und den Kampf um den Titel gekostet hat.