Am Ende hatte Ferrari noch etwas zu bejubeln: Beim Formel-1-Auftakt im österreichischen Spielberg holte Charles Leclerc am vergangenen Wochenende mit Rang 2 gleich den ersten Podestplatz. Aber Feierstimmung kam bei der «Scuderia» deshalb nicht auf. Zu viel läuft beim Rennstall aus Maranello derzeit schief.
Der neue SF1000 ist eine totale Fehlkonstruktion – oder «unfahrbar», wie Sebastian Vettel erklärte. Der vierfache Weltmeister hatte in Spielberg von Beginn an Mühe, seinen Ferrari in den Kurven auf der Strecke zu halten. Immer wieder musste der Deutsche korrigieren, in Runde 31 war das Rennen für ihn nach einem Dreher schliesslich endgültig gelaufen. Er landete auf dem enttäuschenden 10. Rang.
Giro 9 di 71. Media NUOVA (partenza fuori dai top 10). Ditemi voi se questo comportamento è normale – ho letto che alcuni sostengono che la macchina sia diventata inguidabile dopo il testacoda). E non è un caso isolato. Curva 4-6 è da F14 T vibes #AustrianGP #Onboard #Vettel pic.twitter.com/gJKnndlHOh
— Alex Brunetti (@deadlinex) July 5, 2020
Die Probleme bei Ferrari sind offensichtlich: Der Motor ist zu schwach, die Aerodynamik zu schlecht. Im Qualifying war der rote Bolide im direkten Vergleich zum Vorjahr auf der exakt gleichen Strecke – mit 72 Prozent Vollgasstellung – um fast eine Sekunde langsamer. Auf den langen Geraden ist man gegen die Konkurrenz chancenlos. Leclerc war an drei von vier Topspeed-Messungen Letzter. 2019 wurde er an den gleichen Stellen um bis zu elf Kilometer pro Stunde schneller gemessen.
Der schwache Motor zieht zudem einen Rattenschwanz hinter sich her. Wegen des Leistungsdefizits muss der Anpressdruck reduziert werden, was dann auch noch Zeit in den Kurven kostet. Ein Teufelskreis, aus dem Ferrari so leicht nicht herauskommt. Doch nicht nur die «Scuderia» leidet, die Ferrari-Kundenteams Alfa Romeo und Haas werden gleich mit in den Sumpf gezogen.
Leclerc gestand nach dem Rennen ein, dass er nur mit Glück auf dem Podest landen konnte:
Er habe in jeder Runde das Maximum aus seinem Auto herausgeholt und jede Chance genutzt, die ihm seine Gegner geboten hätten. «Aus eigener Kraft konnte ich nicht überholen. Dazu sind wir zu langsam auf den Geraden.»
Ferrari-Teamchef Mattia Binotto gibt zu, dass es derzeit gravierende technische Baustellen gibt: «Wir verlieren eine Sekunde auf unsere Gegner. Drei Zehntel davon in den Kurven, sieben Zehntel auf den Geraden. Das wiederum verteilt sich auf Motorleistung und hohen Luftwiderstand.» Um diesen Rückstand zu verringern, wolle man jetzt «jeden Stein umdrehen», versicherte der Teamchef.
Wie Ferrari am Montagabend mitteilte, will der Formel-1-Rennstall nach dem verpatzten Saisonstart das erste Upgrade-Paket schneller als ursprünglich geplant einsetzen. Es soll bereits am kommenden Wochenende beim zweiten Rennen in Österreich zum Einsatz kommen. Vor allem beim Frontflügel will Ferrari nachlegen, der schon beim zweiten Rennen in Spielberg komplett anders aussehen könnte.
Weil die Windkanaldaten nicht der Realität entsprechen, muss man in Maranello in der Entwicklung einen komplett neuen Weg einschlagen. «Wir geben uns alle Mühe, so bald wie möglich das Auto zu überarbeiten. Aber wir wissen, dass kein Paket ein Zauberstab sein kann, der radikal die Hackordnung zwischen den Teams verändert», erklärte Binotto deshalb.
In den anderen Bereichen sind Ferrari bei der Weiterentwicklung des SF1000 allerdings die Hände gebunden. Für Motoren gilt im Zuge der Sparmassnahmen aufgrund der Coronapandemie bis zum Jahresende ein Entwicklungsstopp und die Zeit im Windkanal, wo bei der Aerodynamik nachgebessert werden könnte, wurde in einem ersten Schritt um 21 Prozent gekürzt. Hinzu kommt, dass im nächsten Jahr die Restriktionen noch drastischer sind und eine Budget-Obergrenze von 145 Millionen Dollar eingeführt wird.
So schnell wird Ferrari deshalb wohl nicht aus der sportlichen Krise herauskommen. Die Hauptgegner der «Scuderia» dürften in dieser Saison also nicht mehr Mercedes und Red Bull, sondern Racing Point, McLaren und Renault sein. Leclerc hat bereits die ersten Durchhalteparolen ausgerufen: «Es ist wichtig, dass wir jetzt als ein Team zusammenstehen und die Moral hochhalten», erklärte der Monegasse. (pre)