In 9,84 Sekunden sprintet der Schweizer Alex Wilson am Sonntag die hundert Meter und unterbietet so den Europarekord. Der 30-Jährige ist damit nicht nur der schnellste Europäer, sondern auch der zweitschnellste Mann des Jahres 2021. Nur Trayvon Bromell rannte diese Distanz in einer schnelleren Zeit als der Basler. Auch über die 200 Meter rannte Alex Wilson mit 19,89 Sekunden eine neue persönliche Bestzeit. Eine Woche vor dem Start der Olympischen Spiele in Tokio zeigt er sich in Top-Form.
Fernsehbilder gibt es zu dem Lauf nicht, lediglich ein von der Seite gefilmtes Video ohne Zeiteinblendung. Dennoch wird Wilsons Zeit, die bei einem Ü-30-Meeting in Marietta im Bundesstaat Georgia zustande kam, in der offiziellen Weltrangliste geführt. Er wäre damit der zwölftschnellste Mensch aller Zeiten. Schafft Wilson eine solche Leistung auch in Tokio, so stünden die Chancen auf die erste Schweizer Medaille in der Königsdisziplin der Leichtathletik hervorragend.
Nur ist es nicht ganz so einfach. Seine bisherige Saisonbestleistung stand bei 10,38 Sekunden über hundert Meter und wurde nur drei Wochen vor dem Fabellauf in den USA gemessen. Unter zehn Sekunden blieb Wilson bisher noch nie. Ein solch plötzlicher Exploit wirft selbst mit Rückenwind von 1,9 Metern pro Sekunde Zweifel auf. So twittert unter anderem der angesehene amerikanische Trainer Rana Reider: «Wir wissen zu 100 Prozent, dass es nicht stimmt.»
We 100% KNOW this isn't real.
— Rana Reider (@tracnut) July 18, 2021
Im Video ist zudem zu sehen, dass die Läufer bereits gestartet sind, als der Schuss ertönt. Dies könnte aber auch mit einem verzögerten Bild zusammenhängen. Die spanische La Bolsa del Corredor berichtete, dass der spanische Leichtathletik-Experte Oscar Fernandez ebenfalls an der Zeit zweifelt. Wilson habe Probleme mit seinem Gewicht, könne aber erhebliche Fortschritte schaffen, wenn er dieses verringert. Doch den Europarekord habe laut Fernandez niemand erwartet: «Überraschend ist das mildeste Urteil, das mir dazu einfällt.»
Der Sprinter war selbst überrascht, wie er gegenüber dem Tages-Anzeiger sagte: «Ich kann es noch nicht recht glauben, ich bin sprachlos.» Sein Berater und Freund Andreas Hediger sagte gegenüber Keystone-SDA, dass Wilson die Ofiziellen gefragt habe, ob sie sich sicher seien und ob alles stimme. «Direkt nach dem Rennen dachte Alex, dass er vielleicht 10,10 Sekunden oder bestenfalls 10,00 gelaufen ist, aber niemals so schnell, wie es auf der Anzeigetafel im Stadion und in den Ranglisten zu lesen war», so Hediger.
Für Wilson ist es ein Befreiungsschlag nach einer langen Leidenszeit. Im Jahr 2020 konnte er aufgrund der Pandemie und einer Verletzung keine Rennen bestreiten, im Januar 2021 starb sein Trainer Lloyd Cowan. Es fiel ihm schwer, mit diesem Verlust umzugehen. Nun hat er zu seiner Bestform zurückgefunden und sich sogar noch verbessern können.
Eine Bestätigung der Zeit als neuer Europarekord scheint aber unwahrscheinlich, da die Startblöcke nicht mit einem Start Information System verbunden gewesen seien, wie Athletik-Trainer PJ Vazel auf Twitter schrieb. Die Zweifel an der überraschenden Leistung von Wilson bleiben bestehen. Dies wird mindestens bis zum 1. August so bleiben. Dann findet das 100-Meter-Finale in Tokio statt – mit Fernsehbildern und offizieller Zeitmessung.
(nih)