Es sind unschöne Bilder, die am Sonntag aus dem chinesischen Schneegstöber übertragen werden. Ingrid Landmark Tandrevold, eine der besten Biathletinnen der Welt, liegt kurz vor dem Ziel auf Medaillenkurs. Bronze wäre für die 25-jährige Norwegerin das erste Edelmetall bei Olympia, nachdem sie bei Weltmeisterschaften bereits sechs Mal eine Medaille gewonnen hat.
Doch als die Regie auf die Ziellinie schaltet, um die Drittklassierte einzufangen, taucht nicht Tandrevold im Bild auf, sondern ihre Landsfrau Tirill Eckhoff.
Tandrevold haben wenige hundert Meter vor dem Ziel fast alle Kräfte verlassen. Sie taumelt ins Ziel, kann sich wohl auch dank ihrer Stöcke gerade noch auf den Beinen halten. Erinnerungen werden wach an die Schweizerin Gaby Andersen-Schiess, die 1984 bei der olympischen Marathon-Premiere in der Hitze von Los Angeles das gleiche Schicksal ereilt hatte. Im Ziel fällt Tandrevold entkräftet in den Schnee, sofort helfen ihr Kolleginnen, die den Kollaps registriert haben.
«Es war zuerst einer der besten Tage meiner Laufbahn», sagte Tandrevold später, «bis er plötzlich der schlimmste wurde.» Mit etwas Abstand erklärte sie, selber nicht genau zu wissen, was ihr widerfahren sei. «Ich habe gespürt, dass ich das Ziel schwer erreichen konnte. Ich konnte meine Beine kaum nach vorne bewegen. Man ist verzweifelt, wenn man 200 Meter vor dem Ziel ist.»
Der norwegische Mannschaftsarzt konnte bereits unmittelbar nach dem Wettkampf Entwarnung geben. «Ingrid hat sich umgezogen und sitzt nun da, isst und entspannt sich», sagte Lars Kolrud. «Sie war wirklich k.o., war aber die ganze Zeit bei Bewusstsein.»
Tandrevold postete später zu einem Selfie, das gemäss ihren Angaben nicht vom Sonntag war, den Satz, dass sie einen neuen Tiefpunkt erreicht habe. Sie bedankte sich für viele nette Nachrichten, die sie erhalten habe und kündigte an: «Ich werde weiter kämpfen.»
Nach den Rängen 8 im Einzel und 5 im Sprint wird Ingrid Landmark Tandrevold an diesen Olympischen Spielen aber keinen weiteren Einsatz mehr haben. Die Staffel und das Massenstart-Rennen finden ohne sie statt. Aus gesundheitlichen Gründen entschieden die Funktionäre, sie nach Hause zu schicken. «Es tut mir sehr leid. Mein Herz ist gebrochen», sagte Tandrevold am Montag an einer Medienkonferenz mit Tränen in den Augen.
Sie sei erst 25 Jahre alt und hoffe, dass sie noch viele gute Jahre vor sich habe, sagte sie weiter. Allerdings war es nicht das erste Mal, dass ihr Körper rebellierte. Im vergangenen Winter legte sie sich während eines Rennens in Oberhof in den Schnee und gab es auf. Danach berichtete sie von Herzrhythmusstörungen und dass sie schon einmal solche gehabt habe.
Auch nach dem fünften Platz im Olympia-Sprint musste sie im Ziel ärztlich betreut werden. Tandrevold sprach danach vom «wahrscheinlich härtesten Rennen, das ich je gemacht habe», über die Kälte und über die Höhenlage. «Man balanciert auf einem Grat und wenn man darüber kippt, ist es sehr schwierig.»
Zahlreiche Biathleten klagten über äusserst widrige Umstände in Zhangjiakou. «Dieser Ort ist nicht für Biathlon gemacht», hielt der Norweger Tarjei Bö nach Gold in der Mixed-Staffel kurz und bündig fest. Und der Schweizer Teamleader Benjamin Weger ärgerte sich: «Ich dachte, es kann doch nicht sein, dass man an einem Ort wie hier, wo man weiss, dass es arschkalt und verdammt windig ist, Biathlon-Rennen macht.»
Norwegens Mannschaftsarzt Kolsrud sagte an der Medienkonferenz, man wolle keine Risiken eingehen. «Ingrid hat eine Geschichte mit ihrem Herzen. Wir wollen sie zuhause gründlich untersuchen.» Es sei sein Entscheid gewesen, die Sportlerin nicht mehr antreten zu lassen. «Manchmal muss man eine schlechte Entscheidung für die Athletin treffen, um sie zu schützen.»
Ingrid Landmark Tandrevold wird China deshalb bei nächster Gelegenheit verlassen. Ihren Platz in der norwegischen Staffel übernimmt Karoline Offigstad Knotten.