Sie ist der Superstar des Eiskunstlaufs. Sie ist der grösste russische Exportschlager des Wintersports. Sie ist 15 Jahre alt. Eiskunstläuferin Kamila Valieva dominiert ihren Sport in beinahe schon beängstigender Art und Weise.
An den Weltmeisterschaften im vergangenen Jahr durfte sie wegen der Altersschranke noch nicht starten. An den Europameisterschaften im gleichen Jahr waren die Gegnerinnen chancenlos. Und zum Auftakt der Winterspiele in China führte sie Russland mit einer überragenden Leistung und dem ersten Vierfachsprung einer Frau in der olympischen Geschichte zu Gold im Teamwettbewerb vor den USA und vor Japan.
Apropos Russland. Weil das Land wegen des Dopingskandals an den Heimspielen 2014 in Sotschi zum vierten und letzten Mal bei Olympischen Spielen offiziell gesperrt ist, müssen die Athletinnen und Athleten unter olympischer Flagge antreten und ertönt bei ihren Siegen nicht die Nationalhymne. Nun macht es in Peking ganz den Anschein, als würde das Land sein Dopingproblem nicht los. Und käme sogar eine neue Komponente mit ins Spiel: Der Übergriff an Minderjährigen.
Am Freitag informierte die für Dopingfragen während den Spielen zuständige Internationale Testagentur ITA mit Sitz in Lausanne erstmals offiziell über die Hintergründe der verschobenen Siegerehrung im Nachgang des Eiskunstlauf-Teamwettbewerb vom 7. Februar. Bisher erklärte das Internationale Olympische Komitee dies mit «rechtlichen Gründen».
Jetzt wurde bekannt, dass just am Folgetag des Teamwettkampfs ein möglicher Dopingskandal ans Licht kam. Am 8. Februar nämlich informierte das zuständige Dopinglabor von Stockholm, das an den russischen Eiskunstlauf-Meisterschaften vom 25. Dezember 2021 die Siegerin Kamila Valieva mit der verbotenen Substanz Trimetazidin erwischt wurde.
Bei Trimetazidin handelt es sich um ein Herzmittel, das therapeutisch primär zur Linderung von Angina Pectoris eingesetzt wird. Im Sport ist es seit 2014 verboten, weil es die Blutzufuhr ans Herz unter körperlicher Belastung erhöht und dadurch letztlich die Leistungsfähigkeit erhöht.
Was allerdings dieser Wirkstoff im Körper einer 15-Jährigen – des grössten Talents im russischen Sport überhaupt – verloren hat, werden die Angeschuldigten genau erklären müssen. Erstmals in den kommenden Tagen vor dem Ad-Hoc-Ausschuss des internationalen Sportgerichtshofs. Dieser will noch vor dem Kurzprogramm der Frauen vom 15. Februar entscheiden, ob Valieva dafür gesperrt wird.
Dies war die 15-jährige Topfavoritin auf Einzelgold schon einmal für 24 Stunden. Dem Protokoll folgend suspendierte die russische Antidoping-Agentur (Rusada) die Athletin am 8. Februar nach Bekanntgabe des positiven Befunds umgehend. Deshalb wurde die Siegerehrung des gleichen Tages abgesagt. Weil Valieva noch minderjährig ist, steht sie gemäss Antidoping-Code unter Schutz. Positive Proben werden nur kommuniziert, wenn dafür ein übergeordnetes Interesse besteht.
Aufgrund der Spekulationen hielten das IOC und die ITA dies nun für angebracht. Deshalb erfährt die Öffentlichkeit jetzt auch, dass Valieva die provisorische Sperre sofort angefochten hatte. Bereits am 9. Februar hob die Disziplinarkammer der Rusada die Sperre wieder auf. So wie es die Disziplinarkammer von Swiss Olympic vor den Sommerspielen in Tokio vorübergehend auch bei Sprinter Alex Wilson getan hatte.
Das IOC hat diese Aufhebung angefochten und nun liegt der Ball beim Internationalen Sportgericht. Die Begründung zur Aufhebung der Sperre durch die russischen Juristen liegt noch nicht vor. Deshalb kennt man die Überlegungen nicht, die es plausibel machen sollen, wieso ein Herzmedikament im Körper einer 15-jährigen Spitzensportlerin gefunden wurde. Alles andere als eine Bestätigung der provisorischen Sperre durch das CAS wäre allerdings eine grosse Überraschung.
Der Fall wird nicht nur aufgrund von Alter und Status der betroffenen Athletin emotional bleiben. Wer nun definitiv Olympiasieger im Teamwettkampf sein wird, kann der Internationale Eislauf-Verband erst nach dem definitiven Urteil bekannt geben. Und bis dahin dürfte es noch Monate, wenn nicht Jahre dauern.
Minderjährige Athletinnen und Athleten erhalten in der Regel eine sehr kurze Sperre. Der Fokus in solchen Fällen wird auf das Umfeld gelegt. Und in diesem Fall heisst dieses nicht nur Trainer oder Betreuer, sondern auch wieder Russland.
Bereits der Dopingfall der russischen Bobfahrerin Nadescha Sergejewa bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang betraf die Substanz Trimetazidin. Ihre Sperre wurde nachträglich vom CAS aufgehoben, weil sie glaubhaft darstellen konnte, dass die Substanz durch kontaminierte Nahrungsmittel in ihren Körper gelangte.
Ob diese Argumentation auch bei Eiskunstlauf-Superstar Kamila Valieva herhalten muss, bleibt abzuwarten. Ein fader Beigeschmack bleibt so oder so. Wieder Russland. Wieder Trimetazidin. Und nun sogar ein Kind.
Dieses Kind kann einem nur leid tun.....