Geritten wird bei den Olympischen Spielen in Paris im Schlosspark von Versailles. So einmalig die Szenerie, so einmalig ist die Ausgangslage für die Schweizer Springreiter – die sowohl im Team wie auch im Einzel zu den Favoriten zählen. Steve Guerdat, der Olympiasieger von London 2012, sagt: «Es ist mit Abstand das stärkste Team, in dem ich geritten bin.»
Dazu zählen neben dem nun sechsfachen Olympiateilnehmer aus dem Jura der Solothurner Pius Schwizer, mit 62 Jahren der älteste Schweizer in Paris und 2008 wie Guerdat Teil der Equipe, die in Peking Bronze gewann, sowie Martin Fuchs. Der 32-Jährige war schon Europameister, holte WM-Silber und gewann den Weltcup-Final. Alle drei Schweizer führten schon die Weltrangliste an. Eine Medaille in Paris? Liegt auf dem Silbertablett.
Zwischen 1996 in Atlanta und 2012 in London hatten die Reiter vier Mal für Edelmetall gesorgt – 1996 Silber durch Willi Melliger, 2000 in Sydney Silber und 2008 in Peking Bronze im Team und 2012 in London Gold im Einzel durch Steve Guerdat. Doch seither gingen die erfolgsverwöhnten Reiter leer aus. Aus Medaillengaranten sind Sorgenkinder geworden.
Stellvertretend dafür steht Martin Fuchs. 2021 in Tokio rief er eine Medaille als Ziel aus, sein Pferd Clooney überzeugte im Training. Fuchs setzte sich danach so sehr selber unter Druck, dass er keinen Schlaf mehr fand und psychologische Hilfe in Anspruch nahm. Zwar half ihm das Gespräch, die Anspannung zu lösen. Doch mit Rang 16 blieb er unter den Erwartungen.
Diesmal, sagt Fuchs darauf angesprochen, sei alles anders. «Weil ich mit Leone Jei eine extrem gute Saison hatte, bin ich viel gelassener. Bisher habe ich auch sehr gut geschlafen und bin positiv gestimmt», sagt der 32-Jährige. Das Ziel? Eine Medaille – erst mit dem Team, dann auch im Einzel.
Ihm spiele in die Karten, dass diesmal erst das Teamspringen anstehe (am Donnerstag die Qualifikation, am Freitag der Final der zehn Besten) und erst dann das Einzel (Qualifikation am Montag, am Dienstag Final der dreissig Besten). «Wenn uns dort ein gutes Resultat gelingt, dann wirkt das befreiend für das Einzel», sagt Fuchs. «In unsere Equipe habe ich grosses Vertrauen.»
Wie auch der Solothurner Pius Schwizer. «Wir sind erfahrene Reiter und alle gut in Form. Wenn jeder abruft, was er draufhat, gewinnen wir eine Medaille», sagt der 62-Jährige. Natürlich gehöre immer auch eine Portion Glück dazu. Denn Fehler erlaubt der Modus keine. Denn anders als bei Weltmeisterschaften oder im Nationencup treten bei Olympischen Spielen nur drei statt vier Reiter an, ein Streichresultat gibt es nicht.
Steve Guerdat hat das Format in der Vergangenheit immer wieder scharf kritisiert. Gegenüber dem Weltverband FEI äusserte er schon vor Jahren seinen Unmut. Auch nach Rang 5 im Teamspringen in Tokio nahm der Jurassier kein Blatt vor den Mund. «Ich sagte damals, dass es eine Schande sei, vor allen Reitern, vor dem Präsidenten, dass wir, die Sportler, dieses Format nicht wollen.» Nun sagte er: «Ich habe meine Meinung und alles dazu gesagt. Ich möchte keine Energie für Polemik verschwenden.»
Gegenüber dieser Zeitung bestätigt Peter van der Waaij, dass das Format bei der Wahl der drei Reiter durchaus eine Rolle gespielt habe. Zwar war der Holländer vor drei Jahren noch nicht Schweizer Equipenchef, aber auch ihm ist nicht entgangen sein, dass Bryan Balsiger 2021 16 Strafpunkte zu verzeichnen hatte. Mit 24 Jahren war er damals der Jüngste im Team.
Van der Waaji sagt: «Wenn es kein Streichergebnis gibt, ist die Erfahrung noch wichtiger - bei den Pferden und bei den Reitern.» Alles Attribute, die beim 42-Jährigen Steve Guerdat auf Dynamix de Bélhème, Pius Schwizer auf Vancouver de Lanlore und Martin Fuchs auf Leone Jei zutreffen.
Sie sollen im prunkvollen Schlosspark von Versailles dafür sorgen, dass die Schweizer Springreiter, zuletzt Olympia-Sorgenkinder, wieder das werden, was sie bis vor zwölf Jahren schon waren: Medaillengaranten. (aargauerzeitung.ch)