An den Olympischen Spielen gibt es durchaus Sportarten, die etwas prestigeträchtiger sind als andere. Verkommen Disziplinen wie Wasserball oder die Rhythmische Sportgymnastik hierzulande zu einer Randnotiz, werden zum Beispiel die Sprintfinals oder die Schwimmwettbewerbe zur Primetime angesetzt.
Und in diesen beiden Bereichen kann neuerdings auch die Schweiz bei der Vergabe der Medaillen mitreden. Drei der vier Schweizer Schwimmmedaillen an Olympischen Spielen stammen von den letzten beiden Austragungen. Noè Ponti und Jérémy Desplanches machten in Tokio mit zwei Bronzemedaillen den Anfang, Roman Mityukovs Bronzemedaille und Pontis vierter Platz in Paris untermauerten die positive Entwicklung im Schweizer Schwimmsport.
In der Leichtathletik gab es in Paris zwar keine Medaille, aber drei vierte Plätze. Siebenkämpferin Annik Kälin, Stabhochspringerin Angelica Moser und Weitspringer Simon Ehammer holten allesamt Leder. Auch der an Europa- und Weltmeisterschaften für die Schweiz startende Dominic Lobalu landete über 5000 m knapp neben dem Podest. Diese Resultate zeigen aber, dass sich die Schweiz auch in der Leichtathletik immer mehr an die Weltspitze herantastet. Auch dass die Schweizer Leichtathletik-Delegation mit Mujinga Kambundji die sechstschnellste Frau der Welt in ihren Reihen hat, darf positiv stimmen.
Im letzten Jahrzehnt hat sich die Schweiz im Schatten von populäreren Sportarten zu einer wahrlichen Schützinnennation gemausert. Glaubt man dem watson-Chronisten Klaus Zaugg, so hat dies viel mit den deutlichen Worten des Alt-Bundesrates Ueli Maurer zu tun, der an den Olympischen Spielen in London nach einem Besuch bei der damals enttäuschenden Schweizer Schützendelegation meinte: «Die Schützen waren mental nicht auf diese grosse Herausforderung vorbereitet. Wenn es im Kopf nicht stimmt, dann geht es nicht.»
Seit London 2012 hat sich viel getan im Verband der Schützinnen und Schützen. Die Strukturen im Leistungssportbereich wurden umgekrempelt und die Früchte dieser Veränderungen darf die Schweiz seit 2016 in Form von Medaillen ernten. 2016 gewann Heidi Diethelm-Gerber in Rio Bronze mit der Sportpistole über 25 Meter, 2021 holte Nina Christen in Tokio Gold im Kleinkaliber-Dreistellungsmatch und Bronze mit dem Luftgewehr über 10 Meter.
In Paris sorgten gleich zwei Schützinnen für Schweizer Medaillen. Sowohl die Bronzemedaille der erst 21-jährigen Jurassierin Audrey Gogniat als auch die Goldmedaille der Aargauerin Chiara Leone kamen relativ unerwartet und waren deshalb umso erfreulicher. Leones Goldmedaille – die einzige der Schweizer Delegation – hat sogar konkrete Auswirkungen für einen Politiker. Der Aargauer Regierungsrat Alex Hürzeler sagte vor den Spielen, dass er von Paris nach Hause laufen wird, sollte eine Athletin oder ein Athlet aus dem Aargau eine Medaille gewinnen. In welcher Form er sein Versprechen einlöst, wird sich zeigen.
Obschon die Schweiz ja bekanntlich keinen Meeranstoss hat, stellte sie an den Olympischen Spielen in Paris gleich zwei Topteams im Beachvolleyball, einer klassischen Strandsportart. Sowohl Tanja Hüberli und Nina Brunner als auch Zoé Vergé-Dépré und Esmée Böbner sicherten sich das Ticket für Paris 2024. Das Duo Hüberli/Brunner schied im Halbfinal gegen das kanadische Team zwar unglücklich aus, sicherte sich dafür aber im Spiel um Platz drei gegen Australien souverän die Bronzemedaille und verhinderte damit einen weiteren unglücklichen vierten Platz für die Schweizer Delegation.
Vor vier Jahren war es noch Zoé Vergé-Déprés ältere Schwester Anouk, die gemeinsam mit Joana Mäder (ehemals Heidrich) die Bronzemedaille holte. Dieses Jahr erhielt Zoé mit ihrer Doppelpartnerin den Vorzug. Von den Erfahrungen ihrer Schwester konnte sie durchaus profitieren, sagte Zoé Vergé-Depré: «Sie hat mir ein paar gute Tipps gegeben, wie es bei Olympia so ist. Immerhin war sie ja zweimal dabei.»
Der vierte Platz nervt. Noch mehr nervt, dass Schweizer Athletinnen und Athleten an den Olympischen Spielen in Paris neunmal knapp neben dem Podest landeten. Zum Vergleich: In den vier vorangegangenen Austragungen der Olympischen Spiele gab es insgesamt deren sechs.
Die vierten Plätze in der Übersicht:
So ärgerlich diese vierten Plätze auch sein mögen: Mit ein wenig Abstand betrachtet, darf sich die Sportschweiz auch über die knapp verpassten Medaillen freuen. Die neun «Ledermedaillen» und die 32 olympischen Diplome in 17 verschiedenen Sportarten zeigen, dass die Schweizer Olympiadelegation in Paris in der Breite zu überzeugen vermochte.
Die Schweizer Olympiadelegation hat ihr Ziel mit acht Medaillen eigentlich erreicht – einige Athletinnen und Athleten haben es aber verpasst, die hohen Erwartungen, die an sie gestellt wurden, zu erfüllen. So zum Beispiel der Judoweltmeister Nils Stump, der schon im ersten Kampf, nach nur 30 Sekunden auf der Olympiabühne, die Segel streichen musste. Oder die hochdekorierten Schweizer Springreiter, die im Team-Wettkampf Stange um Stange abwarfen und bereits in der Qualifikation hängenblieben.
Besonders enttäuschend aus Schweizer Sicht verliefen zudem die Mountainbike-Wettkämpfe der Frauen und der Männer. Insbesondere bei den Frauen schwang noch immer die Erinnerung an den Dreifachtriumph von Jolanda Neff, Sina Frei und Linda Indergand mit, als die Schweizerinnen in Frankreich ins Rennen starteten. Da aufgrund einer neuen Regel nur noch zwei Athletinnen eines Landes an den Start gehen durften, lagen alle Schweizer Medaillenhoffnungen auf Alessandra Keller und Sina Frei. Zweitere wurde gleich zu Beginn durch ein Problem mit der Schaltung zurückgebunden und auch Keller gelang mit dem siebten Rang kein Exploit. Auch bei den Männern blieb Mathias Flücker und Nino Schurter mit den Rängen fünf und neun der grosse Coup verwehrt. Damit blieb die Schweiz im Mountainbike erstmals seit 20 Jahren an Olympischen Spielen ohne Medaille.
Obwohl die Schweiz nach Tokio (2021) und Sydney (2000) in der Neuzeit noch nie so viele Medaillen holen konnte wie dieses Jahr in Paris, ist der Blick auf den Medaillenspiegel ernüchternd. Da am Schluss nur eine Goldmedaille zu Buche stand, klassierte sich die Schweiz im Vergleich mit den anderen Nationen nur auf Rang 48. Das ist die schlechteste Schweizer Klassierung in der Geschichte der Olympischen Spiele.
Hinzu kommt: Sogar die Nachbarn aus Österreich liegen im Medaillenspiegel vor der Schweiz. Die Nation, insbesondere in den Winterspielen eine erbitterte Rivalin der Schweiz, holte zwar nur fünf Medaillen, stand aber zweimal ganz zuoberst.