Die «Fischer Chöre» gehören zu den berühmtesten Gesangsmannschaften überhaupt. Unter der Leitung von Gotthilf Fischer hatten sie im Sport einen weltberühmten Hit: vor dem Endspiel der Fussball-WM 1974 in München sangen sie gemeinsam mit Freddy Quinn das Lied «Das grosse Spiel»
Wer unsere freundlichen Hockey-Titanen am Dienstag vor ihrem ersten Training erlebt, denkt schon wegen des Namens unseres Nationaltrainers an die «Fischer-Chöre»: Musterknaben vor dem grossen ersten Spiel (am Donnerstag gegen Kanada).
Alle sind wohlauf und so gibt es nur über ein Problem zu berichten: zu harte Betten. Sportdirektor Raëto Raffainer erzählt: «Die Betten im olympischen Dorf sind zu hart für ältere Spieler mit kleinen Gebrechen. Wir haben nun ein paar Adressen von Kaufhäusern bekommen, wo wir weichere Matrazen kaufen können.» So um die acht Matrazen werde man brauchen. Mindestens drei Spieler hätten Schwierigkeiten mit der harten Schlafunterlage. «Also ich nicht», sagt Eric Blum. Er hat japanische Wurzeln. «In Japan schläft man traditionell auf harter Unterlage, für mich passt es.» Und er berichtet gut gelaunt über die Gemeinsamkeiten zwischen der japanischen und der koreanischen Kultur.
Die Episode mit den weichen Betten passt gut zum anstehenden olympischen Turnier. Weil die NHL-Profis fehlen, wird es mit ziemlicher Sicherheit ein weiches Spektakel-Turnier, geprägt von Tempo und Technik. Denn die meisten Spieler kommen aus der grossrussischen KHL. Raëto Raffainer sagt, das sei die technisch beste Liga, die auf den grossen Eisfeldern spiele.
Ein Augenschein bei den ersten Trainings bestätigt diesen Eindruck. Die Russen mahnen beim Üben an die «Big Red Machine», an die Sowjets, wahrscheinlich bis heute die spielerisch beste Nationalmannschaft aller Zeiten, die von 1954 bis 1992 die Hockeywelt dominierte. Damals spielten die meisten bei ZSKA Moskau unter Trainer Viktor Tichonow. Jetzt kommen 15 Spieler von St.Petersburg und der Trainer auch.
Im Training brausen die Russen übers Eis wie der Wind über die kasachische Steppe. Technisch perfekt, beweglich wie Balletttänzer. Künstler. Vielleicht zu verspielt. Dagegen wirken die Kanadier und die Amerikaner wie raue, hüftsteife Hockeyarbeiter.
Und die Schweizer? Sie haben in ihrem Spiel mehr russische als nordamerikanische Elemente. Ja, so ist es: es wird ein Turnier der spielerischen Sinfonien, nicht des rauen Rock’n’Rolls. Und das müsste uns eigentlich entgegenkommen.
Nationaltrainer Patrick Fischer hat olympische Spiele bereits als Spieler erlebt. «Was der Unterschied zwischen einem olympischen Turnier als Spieler oder Trainer ist kann ich erst nach den Spielen sagen.» Die Emotionen seien nun als Trainer stärker. «Als Spieler war ich durch das Spiel abgelenkt. Als Trainer habe ich viel mehr Zeit, um mir über alles Gedanken zu machen, als während und nach des Spiels.»
Er sagt, die Vorbereitung mit einem Testspiel gegen Norwegen (4:2) eine halbe Stunde ausserhalb von Seoul sei sehr gut gewesen. Alle seien fit und gesund. «Wir sind am Donnerstag angekommen und haben gleich in einem koreanischen Restaurant gegessen. Die Schuhe mussten wir ausziehen und wir hatten gleich viel Spass, vor allem bis dann jeder wieder seine Schuhe gefunden hatte. Wir hatten bei der Vorbereitung unsere Ruhe und konnten konzentriert arbeiten. Wir sind von dort aus zur Eröffnungsfeier gefahren und sind bewusst so spät wie möglich (am Sonntag nach dem Spiel gegen Norwegen – die Red.) ins olympische Dorf gezogen.» Weil die Ablenkung im olympischen Dorf grösser sei.
Wie üblich verrät er nicht, wer im Tor stehen wird und sagt, wer die Mannschaftsaufstellung wissen wolle, solle doch einfach beim Training vorbeischauen. «Dann seht ihr, wie die Blöcke zusammengestellt sind.»
Die Schweizer wirken wie Musterknaben. Pragmatisch, freundlich, fleissig, sympathisch. Der kluge Kommunikator Patrick Fischer hat neben dem Eis alles im Griff. Polemik hat es um sein olympisches Aufgebot praktisch keine gegeben.
Ein wenig vermisst der weitgereiste, neutrale Beobachter die Beschwörung des grossen Ziels, die einst der legendäre Ralph Krueger so wunderbar zu zelebrieren verstand. So ein Motto – wie beispielsweise «Going for Gold!» oder «Gold Rush!». Ein bisschen Magie, ein bisschen Pathos fehlen schon ein wenig. Patrick Fischer ist ein charismatischer Leitwolf. Aber das Anrichten mit der grossen emotionalen Kelle im Stil von Ralph Krueger liegt dem Zauberlehrling dann doch nicht.
Noch selten sind die Schweizer auf so ruhigen Gewässern in ein grosses Abenteuer gesegelt wie hier in Südkorea. Keine äusseren Umstände stören die Harmonie. Störend sind für ein paar helvetische Eistitanen nur die harten Betten.
Im Curling erleben wir gerade in diesen Tagen, wie ein bisschen Zoff die Energie für grosse Taten liefern kann. Deshalb die bange Frage: Sind die Schweizer für einmal fast zu brav für den grossen Erfolg? Zu sehr «Fischer-Chor», zu wenig Rock’n’Roll, zu wenig AC/DC?