Sie werden «Genny, das Biest», «Der Baron» oder «Gastone, der Jäger» gerufen. Doch ihre Gebaren haben wenig mit Indianerspielen oder Pfadilagern zu tun. Am ehesten sind sie vergleichbar mit einer entarteten Version von «Räuber und Gendarm». Am Samstag waren sie in Rom wieder im Einsatz, zumindest der Neapolitaner Gennaro de Tommaso, genannt «Genny a'carogna», und der Römer Daniele De Santis, genannt «il Gastone». Sie waren die Urheber regelrechter Schandtaten, welche Italien vor dem Cupfinal zwischen Napoli und der Fiorentina (3:1) erschütterten.
Verletzte Polizisten und Feuerwehrmänner, ein Napoli-Fan mit Schusswunden im Spital in Lebensgefahr schwebend und ein Anführer, also ein Capo, der Römer-Ultraszene, der bewusstlos in die Uniklinik gebracht worden war, ehe er dort am Sonntagmorgen verhaftet wurde. Diese Auflistung ist an sich schon alarmierend, doch was die Italiener am meisten schockierte, ist die Tatsache, dass am Samstag nicht die Verbandsfunktionäre oder die Spitzenpolitiker über Verschiebung oder Durchführung des Cupfinals entschieden, sondern der Capo der Napoli-Ultras, Gennaro de Tommaso, ein wegen Drogenhandels vorbestrafter Krimineller, der ein Sprössling eines einflussreichen Camorra-Clans ist.
Erst als De Tommaso versichert hatte, dass es während der Partie in der Napoli-Kurve zu keinen Ausschreitungen kommen würde, gab es grünes Licht für den Anpfiff. «Ein Ultra gibt das Okay zum Cupfinal», kommentierten die Zeitungen am Sonntag sarkastisch.
Dass die Capos im Calcio die Fäden im Hintergrund in der Hand haben, ist nicht neu. Der Römer Capo Daniele De Santis, der am Samstag die Ausschreitungen mit Schüssen gegen Napoli-Tifosi mutmasslich auslöste, hatte vor zehn Jahren während eines Derbys AS Roma – Lazio Rom mit sechs Ultras im Schlepptau das Spielfeld betreten und mit Romas Captain Francesco Totti über einen Spielabbruch verhandelt. Dabei streuten die Ultras das Gerücht, vor dem Stadion sei ein Kind von einem Polizeiwagen zu Tode gefahren worden. Das Derby wurde darauf tatsächlich abgebrochen, die Hintergründe sind bis heute nicht klar.
Doch nicht nur im Süden und in Rom haben die Ultras zu viel Macht. Bei der AC Milan hatten sie vor rund zehn Jahren die spannende Idee, den Ticketverkauf für Auswärtsspiele und -reisen über die Ultras abzuwickeln. Das Vorhaben scheiterte bald, weil sich der Capo Carlo Giovanni Capelli, genannt «Il Barone», auf Kosten des Klubs bereicherte, indem er die mafiösen Strukturen innerhalb der Szene nutzte und Geld veruntreute. Als die Straftat offensichtlich wurde, schritt Milans Geschäftsführer und Vizepräsident Adriano Galliani ein, erstattete Strafanzeige gegen Capelli und verhängte ein Stadionverbot über ihn. In der Folge verliess Galliani seine Villa in Monza nur noch unter Polizeischutz.
Aus strafrechtlicher Warte ist es in letzter Zeit ruhig geworden um den 63-jährigen Capelli. Doch der Capo versucht noch heute Einfluss zu nehmen auf das Geschehen rund um den Klub. Täglich meldet er sich auf Internetportalen zu Wort und betreibt Politik gegen Klubführung und/oder einzelne Spieler. Zudem ist er regelmässig Gast in mehr oder weniger seriösen Fussball-TV-Talkshows. Keine schlechte Karriere für einen Fan mit ziemlich viel krimineller Energie. (si)