Odermatt ist sich betreffend Belastung einiges gewohnt. Einer wie er, der in drei Disziplinen zu den Besten gehört, hat viel zu tun. 30 Rennen in etwa hat er im persönlichen Weltcup-Kalender in diesem Winter stehen. Dazu kommen die Abfahrtstrainings, das Reisen im Auto oder im Flugzeug. Viel Zeit zum Abschalten und Regenerieren bleibt während der Saison nicht.
Die ultimative Herausforderung dieser Saison, das Stress-Programm im Südtirol mit fünf Rennen innert fünf Tagen, hat selbstredend auch Odermatt alles abverlangt. Der Energie-Haushalt war nach eigener Einschätzung am Schluss zwar besser als erwartet, die mentale Müdigkeit begann aber auch der Nidwaldner zu spüren. Die Konzentration hochfahren, den Fokus auf die jeweilige Aufgabe legen, die (Körper-)Spannung immer wieder aufs Neue aufbauen, das alles zehrt an den Kräften.
Kraft hatte Odermatt offensichtlich auch für den letzten dieser fordernden Tage noch genug. Sie war jedenfalls ausreichend vorhanden für eine weitere Machtdemonstration. Odermatt war noch einmal vom ersten Schwung an bereit. Mit der Startnummer 1 legte er eine Zeit vor, mit der er die Konkurrenz um 87 Hundertstel und (deutlich) mehr distanzierte.
Odermatt spielte ein weiteres Mal seine unerreichte Klasse aus. Er verstand es erneut meisterhaft, auf jedem Meter seiner Fahrt, die vielmehr ein Tanz durch die Tore war, das Richtige zu tun. Odermatt schien mit dem Berg zu spielen, mit dieser Piste, die zum Schwierigsten gehört, was der Weltcup-Zirkus für die Sparte Riesenslalom zu bieten hat.
Diese erste Fahrt zeigte bei seinen Gegnern Wirkung. Sie waren zu noch mehr Risiko gezwungen, sie mussten noch mehr ans Limit zu gehen – oder auch darüber hinaus. Filip Zubcic, tags zuvor in einem denkwürdigen Duell mit Odermatt knapp bezwungen, sprach das aus, was im Teilnehmerfeld wohl alle dachten. «Wenn Marco (Odermatt) so stark fährt, müssen wir alles auf eine Karte setzen. Wenn du so viel riskierst, bist du aber auch anfällig auf Fehler.» Dem Kroaten unterlief im ersten Lauf ein Patzer. Trotzdem lag er nach halbem Pensum auf Platz 2. Im Schlussklassement blieb ihm hinter Schwarz und Kranjec Rang 4.
Odermatt seinerseits konnte in der Entscheidung auf das letzte Risiko verzichten. Der grosse Vorsprung erlaubte ihm zu taktieren. Im obersten Streckenteil baute er die erforderliche Prise Sicherheit ein. «Ich wusste, dass die ersten sieben, acht Tore nichts waren für mich. Da gings richtig um die Ecken. Mir war also klar, dass ich da nicht Bestzeit fahren muss.» Es reichte auch so zu einer deutlichen Bestzeit im Ziel. Odermatts Marge auf Schwarz betrug 1,05 Sekunden.
Zum vierten Mal gewann Odermatt den Klassiker auf der Gran Risa, so oft wie der legendäre Alberto Tomba. Der sechste Sieg hintereinander in einem Weltcup-Riesenslalom zog weitere Vergleiche mit einstigen Grössen des Skirennsports nach sich. Mit seiner Serie steht er nun besser da als Marcel Hirscher. Schwarz' Landsmann hatte vor sechs Jahren fünf erste Plätze aneinandergereiht. Von der Bestmarke Ingemar Stenmarks ist auch Odermatt noch ein Stück weit entfernt. Der Schwede war einst im Weltcup in 14 Riesenslaloms am Stück nicht zu schlagen gewesen.
Unschlagbar ist zurzeit auch Odermatt. Unschlagbar – der gegenwärtige Überflieger nennt es ein «komisches Wort». Jedes Rennen fange wieder bei null an. «Da kann immer etwas passieren – und du bist nicht in der Lage, um den Sieg mitzufahren», sagt Odermatt, fügt aber auch an, dass «im Moment schon sehr viel zusammenpasst».
Solange es zusammenpasst, bleibt Odermatt der Favorit. Er mag die Rolle des Gejagten. «Ich habe oft gezeigt, dass ich damit umgehen kann. Es ist ein schönes Gefühl zu wissen, auf dem Papier der Beste zu sein.» Der Beste ist Odermatt auch auf der Piste. Dieses Gefühl wiederum macht vieles leichter. Zum Beispiel, fünf Rennen an fünf Tagen durchzustehen. (abu/sda)
Muss er aber auch sein, wenn er den Gesamtweltcup wieder gewinnen will. Schwarz fährt nur wenig schlechter und der fährt auch noch Slalom. Wenn der Schwarz weiter die ganze Saison alle Rennen fährt, muss Odi das Level halten.