Endlich, 14 Uhr. In Lille warten alle mit Hochspannung auf die erste Final-Partie zwischen Stan Wawrinka und Jo-Wilfried Tsonga. «Skip the Use»-Sänger Mat Bastard rauscht ab, die Gladiatoren marschieren ein. Stan Wawrinka wirft beim Vorbeilaufen kurz einen Blick auf die hässlichste Salatschüssel der Welt. Mehr nicht.
Beim Abspielen der Nationalhymne ist der Romand hochkonzentriert. Von der grossen Nervosität, die ihn plagt, merkt man von aussen nichts. «Mir ging es gestern nicht so gut», gibt er später an der Pressekonferenz zu. «Es war für mich schwierig, mit dem Druck umzugehen.»
Pokerface! Während seine Deutschschweizer Kollegen, allen voran Roger Federer, inbrünstig mitsingen, bleiben seine Lippen geschlossen. Vollkommen fokussiert lauscht er dem Schweizer Psalm.
Dann geht's los. Und Stan beginnt unwiderstehlich. Im vierten Game nimmt er Tsonga zum ersten Mal den Aufschlag ab, dann noch einmal. Wawrinka dominiert den fehlerhaften Franzosen nach Belieben. Auch ein «Cry Baby»-Ruf – das soll Mirka Federer ihm im Halbfinal der World Tour Finals zugerufen haben – aus dem Publikum bringt ihn nicht aus der Ruhe. Nach nur 26 Minuten gehört der erste Satz dem Schweizer.
Für die französischen Fans geht alles zu schnell: Die grosse Mehrheit der 27'432 Zuschauer weiss gar nicht, wie ihnen geschieht. Mit ihren etwas zu klein geratenen Fähnchen, die im Stadion bereitliegen, winken sie zwar kräftig, doch laut wird es nur selten. Die rund 3000 Schweizer, die auf Court-Höhe und nicht obersten Rang sitzen dürfen, machen jedenfalls mehr Stimmung als die Einheimischen. Kuhglocken-Gebimmel und «Hopp Schwiiz»-Rufe beherrschen die Szenerie.
Erst als sich Tsonga steigert und Wawrinka den einen oder anderen unerzwungenen Fehler mehr macht, hört man in der umgebauten Fussball-Arena die französischen Fans mehr und mehr rufen. Beim Breakball und Tsongas Satzgewinn merkt man erstmals, dass Frankreich ja eigentlich die Heimmannschaft ist.
Das Ende des dritten Satzes bringt die Entscheidung. Wawrinka holt sich das Break zum 4:2 und vergibt bei Aufschlag Tsonga zwei Satzbälle. Der Franzose peitscht daraufhin das Publikum an. Es soll ihn endlich mehr unterstützen.
Kurzfristig hört das Publikum auf ihre Nummer 1. Doch Wawrinka bleibt cool. Von einem 0:30 kommt er zurück und holt sich den dritten Satz. Der vierte Durchgang wird ein Schaulaufen für den Romand. Gleich zu Beginn holt er sich das Break und verwandelt nach 2:26 Stunden schliesslich seinen ersten Matchball zum 6:1 ,3:6, 6:3, 6:2-Sieg.
«Es ist schon etwas enttäuschend, wenn du zu Hause spielst und man hört nur die Schweizer Fans», sagt ein leicht geknickter Tsonga nach dem Spiel. «Ich wurde im eigenen Stadion ausgepfiffen. Ich hoffe, das wird in den nächsten Partien besser.»
Wawrinka kann das egal sein. Wie zuletzt so oft tippt er sich nach verwandeltem Matchball mit dem Zeigefinger an die Stirn. «Seht her, diese Partie habe ich dank meiner mentalen Stärke gewonnen», scheint er den Zuschauern sagen zu wollen. Früher seine grosse Schwäche, lässt Stans Psyche die Schweizer jetzt erst recht von der hässlichsten Salatschüssel der Welt träumen.
Der Romand schaut jedenfalls zuversichtlich auf die kommenden Tage. «Ich habe ein gutes Team um mich herum und ich weiss mittlerweile, wie ich in wichtigen Matches spielen muss. Es war wichtig, dass ich zeigen konnte, dass ich da bin. Vielleicht haben die Franzosen etwas zu sehr auf Roger geschaut und mich vergessen.»
Crybaby? #wawrinka pic.twitter.com/sgu5chx87I
— MiniPeople.ch (@SwissMinipeople) 21. November 2014