Es gibt Aufgaben, die sind derart unangenehm, man möchte gar nicht daran denken und schiebt sie so lange wie möglich auf. Doch irgendwann muss man sie halt doch tun. Steuererklärung ausfüllen und den Filter des Abzugs über dem Herd reinigen sind zum Beispiel so Sachen. Oder sich mit dem möglichen Rücktritt von Roger Federer zu befassen.
Doch der 33-jährige Tennis-Maestro lässt einem diese Woche fast keine andere Wahl. Mit der englischen Zeitung «Mirror» spricht er offen über seinen Rücktritt. «Wenn ich meine Augen schliesse und ich von meinem letzten Match träume, dann wäre das ein Final und ich würde den Titel holen», schildert er.
Auch darüber, welches Endspiel ihm denn am liebsten wäre, macht der Schweizer kein Geheimnis. «Wenn ich wählen könnte, würde ich Wimbledon nehmen. Ich hätte bereits das Break und müsste das letzte Game nur noch nach Hause servieren. Nichts Spezielles – ein Service-Winner zum Ende, das würde mir gefallen.»
Nach dem Gala-Auftritt im Viertelfinal gegen Gilles Simon, den Roger Federer in nur 95 Minuten mit 6:3, 7:5, 6:2 in die Schranken wies, rückt dieses Traum-Szenario plötzlich ganz nahe. Zwei Siege fehlen dem siebenfachen Wimbledon-Champion noch und er wäre der einzige Spieler, der das wohl prestigeträchtigste Tennis-Turnier der Welt acht Mal hätte gewinnen können. Momentan teilt sich der Schweizer diesen Rekord mit Pete Sampras.
Doch der Weg zur endgültigen Wimbledon-Unsterblichkeit ist steinig wie das Stonehenge. Der nächste Brocken, den Federer heute aus dem Weg räumen muss, heisst Andy Murray. Und der Brite ist in einer beneidenswerten Form. Die aktuelle Weltnummer 3 gewann das Vorbereitungsturnier von Queens und ist seit mittlerweile zehn Spielen ungeschlagen. Auch in Roland Garros bedeutete erst ein packender Halbfinal gegen Novak Djokovic Endstation.
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— Roger Federer (@rogerfederer) 3. Juli 2015
Wie Roger Federer auf dem heiligen Rasen von Wimbledon zu schlagen ist, das weiss Andy Murray. Das letzte Tête-à-Tête im «All England Lawn Tennis & Croquet Club» endete klar zu Gunsten des Schotten. Nach einem überaus deutlichen Dreisatzsieg (6:2, 6:1, 6:4) durfte sich Andy Murray am 5. August 2012 die olympische Goldmedaille um den Hals hängen.
Einen knappen Monat zuvor triumphierte an derselben Spielstätte jedoch Roger Federer: Mit 4:6, 7:5, 6:3, 6:4 besiegte der Baselbieter Andy Murray und holte sich seinen 17. und vorerst letzten Grand-Slam-Titel.
Drei Jahre sind seit den beiden erinnerungswürdigen Finalspielen vergangen, sechs Mal sind sich die beiden seither wieder gegenübergestanden – meistens waren die Duelle hart umkämpft. Das letzte Aufeinandertreffen der beiden endete aber derart blamabel für den Schotten, dass er sich wohl am liebsten zusammen mit dem Monster von Loch Ness für die nächsten hundert Jahre in einem See versteckt hätte.
An den World Tour Finals im vergangenen Dezember gewann Murray nur ein einziges Game und wurde von Roger Federer in nur 56 Minuten mit 6:0, 6:1 aus der O2-Arena gefegt. Richtig «peinlich» sei ihm das gewesen, meint Murray vor dem Halbfinal-Kracher rückblickend und sinnt auf Revanche.
Roger Federer will das überaus deutliche Resultat nicht überbewerten: «Er kam sehr müde an die World-Tour-Finals.» Andy Murray hatte sich nach seiner Rückenoperation im Herbst 2013 soeben wieder an die Weltspitze zurückgekämpft. «Es war nicht derjenige Andy, der normalerweise auftritt», so Roger Federer. Heute wird dem Tennis-Maestro wohl ein ganz anderer Spieler gegenüberstehen.
«Er ist einer der besten Return-Spieler der Tour», lobt ihn Federer vor dem bevorstehenden Halbinal. Und das könnte zum Problem für den Schweizer werden. Denn bis dato überzeugte Roger Federer vor allem durch ein exzellentes Aufschlagsspiel. So auch im Viertelfinal: Sass der erste Aufschlag – und das tat er in beinahe in drei von vier Fällen – , gewann der Schweizer 80 Prozent der Punkte.
Der Service von Federer ist momentan derart stark, dass er erst im zweiten Satz gegen Simon nach 116 gewonnen Aufschlagsspielen wieder einmal ein seltenes Break hinnehmen musste.
Doch Murray wird es wohl besser gelingen, das variable Aufschlagsspiel des Schweizers zu lesen als dessen bisherige Konkurrenten. Das Erfolgsrezept des Briten wird sein, Federer in längere Ballwechsel zu verwickeln und auf dessen Backhand-Seite zu spielen.
Für viele Tennis-Fans ist die einhändige Backhand des «Maestros» zwar die eleganteste Backhand aller Zeiten, dennoch wirkt sie an diesem Turnier etwas wacklig. Deshalb kommt es wohl nicht von ungefähr, dass Federer diese Woche verraten hat, dass er schon immer davon geträumt habe, die Backhand doppelhändig zu spielen. «Doch für mich ist das ein unmöglicher Schuss. Es bereitet mir Schmerzen an der linken Seite der Brust, dieser Schlag ist für mich einfach nicht natürlich. Ich bringe keine zwei davon ins Feld.»
Federer ist gegen Murray wohl mehr denn je auf seinen starken Aufschlag angewiesen. Kommt der Service, dann sind die Chancen auf die Qualifikation für seinen zehnten Wimbledon-Final intakt. Dort würde der Baselbieter wohl auf Novak Djokovic treffen, welcher in seinem Halbfinal gegen Wawrinka-Bezwinger Richard Gasquet haushoher Favorit ist.
Würde der Schweizer dann tatsächlich nach einem Service-Winner den achten Wimbledon-Titel seiner Karriere bejubeln und danach seinen Rücktritt verkünden, dann wäre dies doch irgendwie mehr als nur eine saubere Sache. Ganz im Gegensatz zur Steuererklärung und dem Filter des Abzugs über dem Herd.