Grosse Klappe, aber immer weniger dahinter – jetzt droht Michael van Gerwen der Absturz
Grosse Töne sind von Michael van Gerwen noch immer zu hören. Doppelweltmeister Peter Wright? «Es ist für ihn an der Zeit, seine Karriere zu beenden.» Die Deutschen, von denen keiner den Achtelfinal erreichte? «Müssen mehr trainieren und konstanter werden.» Wer Luke Littlers Angstgegner sei? «Definitiv ich. Wenn er etwas anderes sagt, lügt er.»
Vor einem Duell mit van Gerwen muss sich der 18-jährige Titelverteidiger nicht mehr fürchten. Denn der Niederländer ist im Achtelfinal ausgeschieden. Am gestrigen Dienstagabend unterlag er Gary Anderson 1:4 nach Sätzen. Van Gerwen machte kein schlechtes Spiel, doch versagten ihm in den entscheidenden Momenten die Nerven. Immer wieder verpasste er die Doppelfelder, in den Entscheidungslegs der ersten beiden Sätze versagte sein Scoring.
«Darüber ärgere ich mich enorm», sagte van Gerwen danach zu Viaplay, «in allen wichtigen Momenten habe ich mich selbst im Stich gelassen. Dann kannst du nur einer Person die Schuld geben, und das bist du selbst.» Zwar habe der 36-Jährige nicht das Gefühl gehabt, der schlechtere Spieler zu sein, doch war Anderson «in den Schlüsselmomenten schärfer».
Sportlich kommt er nicht an die besten Zeiten heran
Über das Aus des dreifachen Weltmeisters sind einige Dartsfans nicht unglücklich, nachdem van Gerwen in den letzten Tagen mit seinen Aussagen immer wieder die Schlagzeilen dominierte und auch einmal den Gegner verspottete. So sagte er im Interview nach dem 4:1-Sieg gegen Arno Merk: «War es ein Wettkampf? Für mich nicht. Ich musste nicht besonders gut spielen, um ihn zu schlagen.»
An Selbstvertrauen mangelt es van Gerwen in jedem Fall nicht. Doch was das Sportliche angeht, kommt die Weltnummer 3 längst nicht mehr an seine besten Zeiten heran. Zwischen 2014 und 2019 dominierte er die Dartswelt regelrecht, wurde nicht nur dreimal Weltmeister, sondern gewann auch andere Major-Turniere am Laufband. Gerade in den grossen Momenten konnte sich van Gerwen stets auf seinen Wurf verlassen – ganz anders, als am Dienstag gegen Anderson.
Seit nunmehr sieben Jahren wartet van Gerwen auf seinen vierten WM-Titel, dreimal verlor er seither den Final, viermal scheiterte er spätestens im Viertelfinal. Reihte er einst Major-Triumph an Major-Triumph, gelang ihm in den letzten beiden Jahren nur noch ein solcher. Seit 2020 beendete er kein Jahr mehr als Weltnummer 1, nachdem er dies seit 2014 siebenmal in Serie getan hatte.
Nach der Trennung machte er eine Pause
Dabei dürften auch private Probleme eine Rolle spielen. Ende Mai gab van Gerwen die Trennung von seiner Ehefrau nach rund 17 gemeinsamen Jahren bekannt, mit der er zwei Kinder hat. Diese erwartet mit ihrem Freund Mitte Januar bereits wieder ein Kind. Nach der Trennung machte van Gerwen eine rund einmonatige Pause.
Schon zuvor spielte er keine gute Saison, nach seiner Rückkehr kam er ebenfalls nicht wirklich auf Touren. Im Juli äusserte Vincent van der Voort, ein enger Freund van Gerwens und lange selbst Dartsprofi, in einem niederländischen Darts-Podcast seine Sorgen. Van Gerwen sehe nur noch «wie ein Schatten seiner selbst» aus. Sprühte er früher vor Energie, wirke er nun «wie eine wandelnde Leiche».
«Ich bin auch nur ein Mensch», sagte van Gerwen im September in einem Interview mit der niederländischen Zeitung AD, «irgendwann möchte man wieder an die schönen Dinge denken.» Zu verarbeiten, was er durchgemacht habe, brauche Zeit, doch «im Leben musst du weitermachen und einen Abschluss finden, auch wenn das leichter gesagt als getan ist». Van Gerwen, der in diesem Jahr deutlich abgenommen hat, scheint es aber bereits wieder besser zu gehen. Ob er nun auch auf der Bühne wieder konstanter wird?
Noch ist van Gerwen einer der besten Dartsspieler der Welt. 2026 muss er sich aber deutlich steigern, will er in der Weltrangliste, für welche das erspielte Preisgeld der vergangenen 24 Monate massgebend ist, nicht zurückgespült werden. Schon nach der Weltmeisterschaft, die am 3. Januar endet, könnte er aus den Top 3 fallen. Nur über das aktuelle Jahr gesehen, steht van Gerwen nur auf Platz 20. Im nächsten Jahr geht es für die Weltnummer 3 also darum, eine Menge Preisgeld zu verteidigen. Ansonsten droht dem einstigen Darts-Dominator der grosse Absturz.
