Am Ende stand er mit weit ausgebreiteten Armen und gegen Himmel gerichteten Augen auf dem Platz. Del Potro hatte gerade Dominic Thiem in fünf Sätzen bezwungen. Im zweiten Satz hätten wohl selbst die fanatischen argentinischen Fans auf den Tribünen kein Geld mehr auf ihn gesetzt. Mit roten Augen und blassem Gesicht schleppte sich der grosse Südamerikaner in der ersten Stunde der Partie über den Platz, wenn ihn sein österreichischer Gegner nicht gerade über den Platz scheuchte.
Womöglich gab es eine Zeit, da hätte Del Potro angesichts des hartnäckigen Virus das Handtuch geworfen. Doch der 28-Jährige hat in den letzten Jahren gelernt, dem Schmerz und den Schwierigkeiten zu trotzen. Sein unwiderstehlicher Aufstieg, der 2009 im US-Open-Titel mündete, wurde durch Probleme an den Handgelenken gestoppt und zwang ihn, nicht nur lange Zeit auszusetzen, sondern auch sein Spiel umzustellen.
2010 musste er sich am rechten Handgelenk operieren lassen, zwischen Frühjahr 2014 und Sommer 2015 gleich dreimal am linken Handgelenk, das ihm bis heute Sorgen bereitet und viel Extraarbeit abverlangt. Bis zu drei Stunden pro Tag verbringt Del Potro damit, sein linkes Handgelenk zu dehnen und zu stabilisieren, es mit diversen Übungen vorzubereiten auf die Trainings und die Matches. Natürlich stünde er in dieser Zeit lieber auf dem Platz. Die Pflege seines Handgelenks ist aber der Preis, den er bezahlen muss, um überhaupt auf die Courts gehen zu können.
2014 und 2015 konnte er nur eine Handvoll Partien bestreiten. Immer wieder musste er einsehen, dass es nicht geht, dass die Schmerzen zu gross sind. «Der schlimmste Tag war 2015 in Miami. Ich hatte gerade meine zweite Operation hinter mir und wollte es wieder versuchen. Doch es ging nicht. Ich sagte mir: 'Ich leide zu sehr, ich will dieses Leben nicht.' Danach blieb ich zwei, drei Monate daheim und tat nichts», erzählte Del Potro der Sportzeitung «L'Equipe».
Erst nach der dritten Operation ging es aufwärts. Aber auch heute noch muss er seine Einsätze dosieren. So liess er etwa Anfang Jahr das Australian Open aus. Für vereinzelte grosse Auftritte reicht es aber. Im letzten Jahr gewann er die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Rio und als Leader der argentinischen Mannschaft den Davis Cup. In der laufenden Saison tut er sich schwerer. Der Sieg gegen Thiem war erst der zweite gegen einen Top-10-Spieler in diesem Jahr.
«Die Vorhand und der Service sind noch gleich stark», bemerkte Federer zu den Veränderungen im Spiel von Del Potro, «aber mit der Rückhand spielt er viel mehr Slice.» Die Umstellung hilft Del Potro, sein linkes Handgelenk zu schonen. Sie ist aber auch ein Handicap. Seine Rückhand sei noch nicht gut genug, meinte der knapp zwei Meter lange Südamerikaner. Gegen Thiem spielte er von der Grundlinie 16 Winner mit der Vorhand und nur einen mit der Rückhand.
Dass für ihn alles etwas schwieriger geworden ist im Vergleich zu seinen Anfangsjahren auf der Tour, frustriert Del Potro nicht. «Man darf nie aufgeben. Ich habe alle meine Probleme überlebt. Wenn man es geschafft hat, die Hürden, die einem das Leben in den Weg stellt, zu überwinden, wird es viel einfacher, positiv zu sein.»
Nach dem Match gegen Thiem war Del Potro nicht nur positiv eingestellt, sondern geradezu euphorisch. «Ich bin so glücklich, dass ich gewonnen habe. Ich habe einen grossartigen Match gespielt gegen einen der besten Spieler auf der Tour.» Wie gut er nun am Mittwoch gegen Federer zurechtkommt, wird auch von seiner physischen Verfassung abhängig sein. Del Potro kündigte aber schon mal an: «Ich weiss, wie ich spielen muss, um Federer zu schlagen.» (abu/sda)