Kaum wiederzuerkennen ist Jelena Dokic wenige Monate nach ihrem Rücktritt 2014. 120 Kilogramm wiegt das einstige Tennis-Wunderkind aus Australien. «Ich fühlte mich verloren, war nicht vorbereitet auf das, was mich erwartete», sagt sie australischen Medien. Als Profi-Sportler lebe man in einer Blase, die weit von der Realität entfernt sei, und in der einem alles abgenommen werde. «Ich versteckte mich Zuhause, wollte nicht mehr raus und verlor mein Selbstvertrauen.» Den Wendepunkt erreicht sie vor zwei Jahren. «Alles in meinem Leben lief gut: ich hatte einen Freund und gerade meine Biographie veröffentlicht», sagt Dokic. Aber etwas fehlte: «Ich wollte mich wieder wohl fühlen in meiner Haut.» Es stecke kein grosses Geheimnis hinter ihrem Diät-Märchen, sagt die 36-Jährige: gesunde und ausgewogene Ernährung und genügend Bewegung. Damit verlor sie in 18 Monaten 53 Kilogramm, 30 davon im letzten Jahr.
Jelena Dokic war eines der Wunder-Kinder im Frauen-Tennis. 1999 schlug sie als 16-jährige Qualifikantin in Wimbledon in der ersten Runde die damalige Weltnummer 1, Martina Hingis, mit 6:2, 6:0 und erreichte die Viertelfinals. Im Jahr darauf stiess sie bis in die Halbfinals vor. Dokic gewann sechs Einzel-Titel und kletterte in der Weltrangliste bis auf Platz 4. Ihre Geschichte ist auch die einer Flucht. 1994 flüchtete die Familie vor dem Jugoslawien-Krieg nach Australien. Doch die Hoffnung auf ein besseres Leben erfüllt sich nicht. Die Eltern finden keine Arbeit. Es ist ein Leben in extremer Armut. Wenn das wenige Geld, das die Familie vom Staat erhält, mal wieder knapp wird, ernähren sie sich tagelang von Brot und gesalzener Margarine. Die Sport-Karriere sollte der Ausweg sein.
Doch hinter der glitzernden Fassade des Tennis-Wunderkinds verbirgt sich ein Familien-Drama. Nach der Halbfinal-Niederlage in Wimbledon findet eine Putzkraft die damals 17-jährige, zusammengekauert in einer Ecke der Kabine. «Ich habe keinen Ort zum Schlafen», sagte sie. Verängstigt und aufgelöst in Tränen, wurde sie gegen 23 Uhr vom Fahrdienst zu ihren Managern gebracht. Sie, Jelena Dokic, das 17-jährige Tennis-Wunderkind, die Wimbledon-Halbfinalistin. Ihr Vater Damir beschied ihr damals am Telefon: «Du bist eine Schande. Du kommst heute nicht nach Hause.» Nach Hause – in das Hotelzimmer, das sie mit ihrem Geld bezahlt, auf das sie keinen Zugriff hat. Das Martyrium begann damit erst. Ihr Vater prügelte sich mit Journalisten, legte sich mit Schiedsrichtern an und stürzte während Spielen betrunken auf den Platz, um die Tochter zu beschimpfen.
Den traurigen Tiefpunkt erreicht das Drama bei den Australian Open 2001, als er die Veranstalter beschuldigte, seine Tochter bei der Auslosung benachteiligt zu haben. Unter Druck gesetzt vom tyrannischen Vater, gab Jelena im Anschluss bekannt, künftig wieder für Jugoslawien zu spielen. Bis heute ist das der Schritt, den sie am meisten bereue. «Wenn ich es ungeschehen machen könnte, dann nicht die Misshandlungen und Beschimpfungen, sondern das. Dass er mich gezwungen hatte, nicht mehr für Australien zu spielen.» Zwei Jahre später kauft sie sich aus den Fängen des Vaters frei – mit einer Million Dollar, wie US-Medien damals berichten. Ein Jahr lang zieht sie sich zurück. Dokic kämpft nicht mehr um Punkte, sondern gegen Selbstmordgedanken, gegen ihr Gewicht, gegen fast alles. Doch sie gibt nicht auf. Sie kennt nichts anderes. Der einzige Ausweg, der sie einst war, war zu ihrem eigenen Weg geworden.
«Ich bin durch die Hölle gegangen», sagt Dokic, als sie 2006 zurückkehrt. Sie erreichte 2009 bei den Australian Open die Viertelfinals, wird aber nie mehr zu jener Spielerin, die sie einmal gewesen war. Im gleichen Jahr hatte sie erstmals in der Öffentlichkeit über den Horror ihrer Kindheit geredet. Als der mittlerweile in Serbien lebende Vater davon erfährt, droht er, die australische Botschafterin in Belgrad mit einer Handgranate in die Luft zu sprengen. Bei der Hausdurchsuchung findet die Polizei zwei Bomben, sieben Jagdgewehre und eine Pistole. 2014 tritt Dokic zurück. Drei Jahre später erzählt sie ihre erschütternde Geschichte im Buch mit dem Titel «Unbreakable», unzerbrechlich. Sie arbeitet nun als Expertin für das australische Fernsehen. Jelena Dokic, das einstige Tennis-Wunderkind hat sich 36-jährig zurückgekämpft. In die Blase, fernab der Norm, die zu ihrer eigenen Realität geworden ist. Diesmal mit einem Diät-Märchen.