Noch immer ist der bald 37-jährige Novak Djokovic die Nummer 1 der Weltrangliste, die er schon 421 Wochen angeführt hat. Das Mass aller Dinge ist er aber nicht mehr. In der Jahreswertung belegt er nach schwachem Start in die Saison nur den zwölften Rang.
Drei Turniere hat der Serbe in diesem Jahr bestritten – und keines davon gewonnen. Gerade einmal elf Siege stehen zu Buche. Bei den Australian Open fügte ihm der spätere Sieger Jannik Sinner im Halbfinal die erste Niederlage in Melbourne seit 2018 zu – nach 33 Siegen in Folge. Danach sprach Djokovic von «einer der schlechtesten Grand-Slam-Partien, die ich je gespielt habe». Von seiner Leistung zeigte er sich «schockiert».
Besser wurde es danach nicht. Bei seinem ersten Auftritt in Indian Wells seit 2019 scheiterte der Rekordsieger (5 Erfolge) in der dritten Runde an Luca Nardi, damals die Nummer 123 der Welt, ebenfalls ein Italiener. Auf das Turnier in Miami verzichtete Djokovic. Dass er das damit begründete, er versuche, die Balance zwischen seinen privaten und beruflichen Plänen zu finden, befeuerte das Gerede, es gebe Probleme in seiner Ehe, zumal seine Frau Jelena länger nicht mehr an seiner Seite gesichtet worden war.
Nach einem Monat Pause, die er für Trainings im spanischen Marbella und der serbischen Hauptstadt Belgrad nutzte, spielte Djokovic Anfang April in Monte-Carlo. Auch dort hinterliess er einen zwiespältigen Eindruck und unterlag im Halbfinal im sechsten Duell erstmals dem Norweger Casper Ruud. Zwar gewann Djokovic das erste grosse Sandplatzturnier der Saison bisher zwei Mal, der letzte Erfolg liegt aber auch schon neun Jahre zurück.
Dass er wie 2021 und 2023 auf seine Teilnahme in Madrid verzichtete, war nicht überraschend, weil Madrid auf 700 Metern über Meer liegt und die Bedingungen damit nicht geeignet sind, um sich auf die French Open in Paris (ab 20. Mai) vorzubereiten. Dass er sich zeitgleich in der spanischen Hauptstadt aufhielt, um das Spiel zwischen Real Madrid und Barcelona zu verfolgen und am Tag darauf zum fünften Mal als Weltsportler geehrt zu werden, nahm man in der Tenniswelt einigermassen irritiert zur Kenntnis.
Wobei Irritation zum Grundrauschen gehört, seit Djokovic vor anderthalb Jahrzehnten damit angefangen hat, die Geschichtsbücher des Sports neu zu schreiben. Immer wieder hat er mit Entscheidungen überrascht, die von aussen betrachtet überraschen mögen, ihm aber neue Impulse versetzten.
Ähnliches dürfte er sich vom radikalen Umbau seines sportlichen Umfelds erhoffen. Nach dem frühen Ausscheiden in Indian Wells trennte er sich Knall auf Fall von Trainer Goran Ivanisevic. Der Kroate war ab 2018 bei 12 und damit fast der Hälfte der mittlerweile 25 Grand-Slam-Titel Djokovics an seiner Seite. Gegenüber serbischen Medien sprach Ivanisevic danach von einem «Gefühl der Müdigkeit und Sättigung», und dass sie «genug voneinander» gehabt hätten. Die Trennung aber erfolge in Freundschaft.
Die Nachfolge ist noch nicht geregelt. Wie schon zuvor begleitet der frühere serbische Doppel-Spezialist Nenad Zimonjic Djokovic an Turniere. Es war die grösste, vielleicht wichtigste Stellschraube, an der Djokovic in den letzten Monaten drehte, nicht aber die einzige. Letzten Herbst trennte er sich von seinen Agenten Edoardo Artaldi und Elena Cappellaro, an der Djokovic festgehalten hatte, obwohl sie im Zuge seiner Ausweisung aus Australien Anfang Januar 2022 falsche Angaben in seiner Reiseerklärung gemacht hatte. Die Italienerin hatte nicht deklariert, dass er sich vor der Einreise nicht nur in Spanien, sondern auch in Serbien aufgehalten hatte.
Anfang Mai erfolgte die nächste Rochade, als Djokovic verkündete, nicht mehr auf die Dienste von Fitnesscoach Marco Panichi zu zählen. Ersetzt wird der Italiener durch einen alten Bekannten: Wie zwischen 2009 und 2017 sowie 2018 und 2019 übernimmt der Österreicher Gebhard Gritsch. Nur die beiden Physiotherapeuten Miljan Amanović und Claudio Zimagila hat Novak Djokovic in den letzten Monaten (noch) nicht ausgetauscht.
Djokovic will sich beim Masters-Turnier in Rom den letzten Schliff für die French Open holen. In die Karten spielt ihm, dass die Konkurrenz zuletzt mit Problemen zu kämpfen hatte: Carlos Alcaraz (Arm) und Jannik Sinner (Hüfte) treten in Rom nicht an. Alexander Zverev und Holger Rune sind auf Formsuche, Stefanos Tsitsipas und Casper Ruud enttäuschten in Madrid.
Und French-Open-Rekordsieger Rafael Nadal (14 Titel) war in den letzten zwei Jahren praktisch dauernd verletzt oder rekonvaleszent und hat in diesem Zeitraum auch nie mehr als drei Siege in Folge feiern können. So wird Titelverteidiger Novak Djokovic trotz der Fragezeichen, für die er zuletzt gesorgt hat, in Paris wohl erneut als Kronfavorit antreten.