Vier Spiele zur gleichen Zeit. Dies sagt aus, dass es keine WM für die Fernsehzuschauer weltweit war. Während heute die Spielpläne nicht nur für die grossen Endrunden, sondern auch für viele nationale Ligen so gestaltet werden, dass sich die Zeiten der Übertragungen nicht überschneiden.
Vieles war damals, vor 66 Jahren, aus heutiger Sicht sehr schlicht. So etwa die Eröffnungsfeier. Vor dem Match Frankreich gegen Jugoslawien in Lausanne sprachen FIFA-Präsident Jules Rimet – nach dem die WM-Trophäe, die goldene Coupe Jules Rimet benannt ist – und der Schweizer Bundespräsident Rodolphe Rubattel ein paar Worte. Damit hatte es sich fast. Es wurde auch noch ein symbolischer Eröffnungsakt inszeniert: Um Punkt 18 Uhr ertönten in den vier Stadien in Genf, Lausanne, Bern und Zürich synchron je ein langer Pfiff aus den Schiedsrichterpfeifen. Auf diese Weise wurde das WM-Turnier in der Schweiz gleichsam angepfiffen. Und schon konnte es losgehen.
Am Eröffnungstag waren die Schweizer nicht im Einsatz. Sie bereiteten sich in ihrem Mannschaftshotel auf den ersten Einsatz vor, jenen gegen das favorisierte Italien, den damals bereits zweifachen Weltmeister. Mannschaftshotel? So schlicht wie die Eröffnung waren auch die Logis der meisten der 16 Mannschaften. Keine Wellness-Oasen, keine Fünf-Sterne-Hotels, keine Luxus-Resort. Die Mannschaft von Trainer Karl Rappan war vielmehr in Magglingen untergebracht, wenige Meter, auf Hördistanz, neben den Brasilianern.
Am komfortabelsten hatten es sich vielleicht die Deutschen eingerichtet. Sie logierten im Strandhotel Belvédère in Spiez. Bis heute sprechen die Deutschen vom «Geist von Spiez», der sie zu ihrem ersten WM-Titel getragen habe. Auch den deutschen Lieblingsfilm «Das Wunder von Bern» von 2003 hat der Geist vom linken Thunersee-Ufer beseelt.
Als es also am 16. Juni losging, waren 98'000 Zuschauer in den Stadien. Die Stadien der fünf Hauptspielorte waren zum Teil topmodern. Das St.-Jakob-Stadion, das Joggeli, in Basel und die Pontaise in Lausanne wurden gerade 1954 eröffnet. In der Charmilles in Genf wurde die Kapazität mit einem Umbau von 14'000 auf 30'000 erhöht. Das Wankdorf in Bern wurde vor der WM abgerissen und neu gebaut. Das älteste Originalstadion der WM war der 1929 eröffnete Hardturm in Zürich. Die Haupttribüne musste nach 1934 neu errichtet werden, weil sie nach einem Brand eingeäschert war.
Was damals modern war, war wenige Jahrzehnte später abbruchreif. Die Charmilles war ab 2002 neun Jahre lang als Ruine ein Geisterstadion, bevor sie endlich abgerissen wurde. Das St.-Jakob-Stadion wurde 1998 abgerissen, das Wankdorf drei Jahre später. Der Hardturm ist ein brauner Fleck und wartet seit 13 Jahren auf einen Nachfolger. Nur auf der Pontaise wird – im Moment noch – gespielt. Aber die Tage des «Stade Olympique» sind gezählt. Im Juli soll das «Stade de la Tuilière» eröffnet werden. Sobald die Pontaise dann abgerissen ist, wird keines der fünf grossen und grösseren WM-Stadien von 1954 mehr stehen.
Das Wandorf war das Hauptstadion des WM-Turniers. 64'500 Zuschauer konnten sich nach damaligen offiziellen Angaben einfinden. Den Final zwischen Deutschland und Ungarn (3:2) sahen 62'500. Wer denkt, dass es noch etwas Platz gehabt hätte, irrt sich. Auf den Stehplätzen, also in den meisten Teilen des Stadions, drängten sich Leiber an Leiber. Es war, gemessen an heutigen Standards der Sicherheit, äusserst fahrlässig. Da es aber während des Finals friedlich blieb, passierte nichts Schlimmes.
In jener Zeit gab es pro Match generell mehr Tore als heute. Deshalb wunderte man sich, dass alle vier Spiele des Eröffnungsabends mit Zu-null-Resultaten ausgingen. Sollte es eine Weltmeisterschaft des Defensivfussballs werden? Nein. Am Ende des Turniers notierte man einen Schnitt von 5.38 Toren pro Spiel. Dieser Rekord dürfte nie mehr gebrochen werden. Die hohen Temperaturen spielten eine Rolle. Allein in der «Hitzeschlacht von Lausanne» am 26. Juni fielen zwölf Tore: Die Schweiz verlor den Viertelfinal gegen Österreich nach einer frühen 3:0-Führung 5:7.
Wird heute an einer WM-Endrunde 64 Mal gespielt, sahen die Zuschauer damals ein Miniturnier mit 26 Spielen. Hätten nicht zwei Entscheidungsspiele in den Gruppen ausgetragen werden müssen – eines davon gewann die Schweiz mit 4:1 gegen Italien – wäre sogar nur 24 Mal gespielt worden.
Die kleine Anzahl Spiele hing auch mit dem sonderbaren Modus zusammen. In jeder Gruppe wurden zwei Mannschaften gesetzt. Sie mussten nicht gegeneinander spielen. Auch die zwei ungesetzten Teams massen sich untereinander nicht. So war jede Gruppe nach nur zwei Spieltagen abgeschlossen. (sda)