«Die Menschen sagen zu mir, sie hätten mich nie betrunken gesehen», erzählt Andy Fordham dem Reporter des Telegraph, als er in einem Pub seine Geschichte erzählt. Fast drei Jahre ist er da schon trocken, nicht so in der Vergangenheit. «Es war eigentlich so, dass mich die Leute nie nüchtern gesehen haben. Um die Wahrheit zu sagen, ich war die ganze Zeit besoffen.»
In England, wo sich jeder anständige Bürger nach der Arbeit im Pub sehen lassen muss, sind grosse Alkoholmengen gesellschaftlich eher akzeptiert und geduldet. Unter den Pub-Besuchern sind so auch berühmte Sportler wie George Best oder Paul Gascoigne. Die Fussballer werden von den Fans wegen ihrer Trinkfestigkeit dafür noch mehr als Helden ihresgleichen verehrt.
Doch während der Ausübung ihres Sports hat es wahrscheinlich niemand so auf die Spitze getrieben wie Andy Fordham. Und so erfolgreich dazu: Er wird 2004 BDO-Weltmeister, sichert sich mit dem finalen Dart in die Doppel-Acht einen Scheck über 50'000 Pfund.
Dabei ist der «Wikinger», so sein Spitzname, vor der Begegnung mit Kontrahent Mervyn King voll wie eine Haubitze. Fordham hat eine Flasche Brandy und 24 Flaschen Bier intus. «Ich erinnere mich an meine ersten Weltmeisterschaften 1995, ich war so unglaublich nervös. Das Publikum, der Druck, ich war wirklich eingeschüchtert», erzählt er. «Also habe ich mich vor meinem ersten Spiel grausam betrunken. Und das Schlimmste ist eingetreten: Es hat funktioniert. Ich erreichte die Halbfinals.»
«Von da an hatte ich das Gefühl, jedes Mal wenn ich spielte, muss ich es wieder tun. Für mich half es bei der Konzentration, ich nahm die Dinge welche hinter mir abliefen, nicht mehr war. Ich konnte mich aufs Board konzentrieren. Ich weiss, es war schrecklich für meine Gesundheit, aber es schien richtig zu sein damals», erzählt Fordham weiter.
Dass Darts als Pub-Sport geboren wurde und Fordham zugleich mit seiner Frau Jenny ein Pub-Leben führt – sinnigerweise im Städtchen Dartford – machte die ganze Geschichte für ihn natürlich nicht einfacher. Mit dem Fortschritt im Darts wächst auch der Alkoholkonsum: «Vielleicht war es etwas vom Schlimmsten, Weltmeister zu werden. Ich war das Rampenlicht nicht gewöhnt. Ich war so geschockt, ich musste trinken, um es zu verdauen. Du wirst überall eingeladen und dir werden Freigetränke serviert. Ich habe das Trinken einfach genossen. Am Ende habe ich alles verprasst, was ich verdient habe.» Klingt fast wie einst bei Fussball-Legende George Best.
Obwohl man meinen müsste, der stets freundliche und zurückhaltende Riese hätte nach seinen Exzessen am nächsten Morgen stets einen schweren Kopf, ist dies nicht der Fall. Sein simpler Ratschlag: «Man muss aufhören, einen Kater zu kriegen. In Hotels, als normale Menschen Tee und Kaffee zum Frühstück hatten, nahm ich einen Brandy. Einmal hatte ich die erste Pulle am Morgen und stoppte nicht, bis es Abend war. Dabei habe ich jeweils kaum gegessen. Trotzdem wog ich am Ende durch das Trinken fast 200 Kilogramm.» Als Jugendlicher hatte Fordham kein Gramm zu viel auf den Rippen. Er joggte regelmässig, spielte dreimal in der Woche Fussball.
Fast drei Jahre nach seinem Weltmeistertitel kollabiert der «Wikinger» auf einer Toilette. «Ich konnte nicht atmen. Es war all die Flüssigkeit in meinem Körper, die auf meine Lungen drückte.» Als Fordham im Spital aufwacht, wurden ihm 18 (!) Liter Flüssigkeit aus dem Körper abgelassen. Dazu kommt die medizinische Diagnose: Leberzirrhose im fortgeschrittenen Stadium.
Die Warnzeichen gab es freilich schon zuvor. So erlitt er bereits kurz nach dem Triumph einen Zusammenbruch. Seine Frau Jenny überredete ihn damals, bei der TV-Sendung «Celebrity Fit Club» mitzumachen. Dort realisierte er, wie schlecht sein Zustand war: «Ich konnte nicht mal um ein Fussballfeld laufen.» Fordham verlor von seinen bei Serienbeginn 194 Kilos deren 19, konnte aber nach dem Ende der Show nicht an diesen Etappenerfolg anknüpfen.
Nach dem grossen Kollaps beschliesst der zweifache Familienvater, sein Leben umzukrempeln. Er verliert knapp die Hälfte seines Gewichts und rührt keinen Alkohol mehr an. Durch den massiven Gewichtsverlust stimmt beim Darts-Spielen aber die Balance nicht mehr: «Es beeinflusst dich. Du beginnst zu werfen und deine Arme bewegen sich anders. Also ist es praktisch wie ein Neustart.»
Der sympathische Koloss kann gegen Ende 2007 wieder bei Turnieren mitspielen, wobei das Selbstvertrauen analog zum Gewichtsverlust geschmolzen zu sein scheint. Immerhin muss die eigentlich dringend nötige Lebertransplantation nicht vorgenommen werden, da sich Fordhams gesundheitlicher Zustand überraschend verbessert hat.
Beim Darts findet der «neue» Wikinger den Tritt nicht trotzdem. «Die Rückkehr war sehr nervtötend. Als ich wieder aufgetaucht bin, erwarteten alle Wunderleistungen von mir: ‹Come on Andy, give us 180!› Es konnte einfach nicht klappen. Ich bin eine nervöse Person, weshalb ich mich früher ja hinter dem Alkohol versteckte. Aber ich versuche, es jetzt einfach zu geniessen.»
Fordham verdingt sich bei kleineren Turnieren und gewinnt mal da und mal dort ein paar hundert Pfund. Genau zehn Jahre nach seinem grossen Triumph gibt der inzwischen 52-jährige Fordham 2014 dank einem Boulevardblatt, das ihm eine Wildcard verschafft, ein vielbeachtetes Comeback auf einer wieder grösseren Bühne. Nach Eigenaussage ist er etwa auf 75 Prozent seines früheren Niveaus, aber er trainiere härter als zuvor. Zum Daily Mirror sagte er, dass er keine Prognosen abgeben wolle, ob er es je wieder an die Spitze schaffe. «Vor allem weil ich mich nicht erinnere, wie ich den Weltmeistertitel gewonnen habe.»
Falls jemand die Aussage von Andy Fordham anzweifeln sollte, muss er nur bei Freunden von Fordham nachfragen: «Mir wurde gesagt, dass mein Rekord 60 Flaschen Bier ist, garniert mit Spiritus.» Und er meint: «Ich bin nicht stolz darauf, aber ich kann die Zeit nicht zurückdrehen. Ich fühle mich jetzt wohler in meiner Haut als lange Zeit zuvor.»
Nach einigen Achtungserfolgen zieht Andy Fordham Ende 2017 endgültig einen Schlussstrich unter seine Darts-Karriere. Er stirbt im Juli 2021 im Alter von 59 Jahren.